Wechselmodell und seine Auswirkungen - Nicht bei hoher Konfliktbelastung (OLG Karlsruhe, 16.12.2020, Az: 20 UF 56/20)

  • 8 Minuten Lesezeit

Im Falle einer Trennung und Scheidung ist in vielen Familien das bisher Selbstverständliche, nämlich der tägliche Kontakt beider Elternteile zu den gemeinsamen Kindern, schlagartig nicht mehr gegeben.

Vielmehr schlägt man sich nunmehr mit Fragen wie Umgang und Sorgerecht herum, von den finanziellen Problemen gar nicht erst zu sprechen.

Während die traditionelle familienrechtliche Rechtsprechung und auch die gesetzliche Grundlage vom sog. Residenzmodell ausgehen, d.h. der Betreuung minderjähriger Kinder durch einen Elternteil (zumeist die Mutter), gegenüber der Barunterhaltspflicht und Umgangsrecht des Anderen (zumeist der Vater),

hat sich die Gesellschaft und die entsprechende Erwartungshaltung der Eltern weitestgehend hiervon entfernt.

Immer mehr wollen gerade die bisher im täglichen Kontakt zu ihren Kindern eingeschränkten Väter, welche in der Regel lediglich ein zweiwöchiges Umgangsrecht am Wochenende hatten, mehr tatsächliche Einflussnahme auf die Entwicklung ihrer Kinder nehmen und ebenfalls Anteile der Betreuung übernehmen. Hierzu sind viele sogar bereit beruflich zurückzustecken.

Die zusätzliche Übernahme von Betreuungsleistungen kann dabei Einfluss auf die zu leistenden Unterhaltszahlungen haben, insbesondere kann ein sog. Betreuungsbonus gewährt werden.

Eine Abweichung vom Residenzmodell und der grds. einseitigen Unterhaltspflicht ist damit noch nicht erreicht.

Vom einem sog. echten Wechselmodell, d.h. Wechseln der Kinder zwischen den zwei Haushalten der Eltern, spricht man erst bei einer (annähernd) hälftigen Teilung der Betreuungsleistungen. Indiz ist der fehlende Schwerpunkt der Förderung und Fürsorge durch einen Elternteil.

Dies erfolgt zumeist in der wöchentlich abwechselnden Betreuung der gemeinsamen Kinder. Eine Aufteilung der Woche (z.B. Mo – Do und Fr – So) ist mit Vorsicht zu genießen, da bereits der eine Wochentag den Ausschlag zum Residenzmodell geben kann (vgl. BGH v. 05.11.2014, XII ZB 599/13).

Das echte Wechselmodell hat zahlreiche rechtliche Auswirkungen:

Neben der Frage der Meldeadresse der Kinder, der Auszahlung des Kindergeldes und der Auswirkung auf sozialstaatliche Leistungen sind vor allem unterhaltsrechtliche und sorgerechtliche Fragen zu bedenken.


  • Meldeadresse und Kindergeld:

Auch bei hälftigem Aufenthalt der Kinder in den jeweiligen Haushalten können die Kinder nur in einem der beiden Haushalte offiziell gemeldet sein.

Diese Meldung ist zunächst ausschlaggebend für die Zahlung des Kindergeldes an die entsprechende Person.

Abweichend von diesem Regelfall kann jedoch bei entsprechender Glaubhaftmachung einer Haushaltszugehörigkeit des Kindes und tatsächlicher Feststellung durch das Finanzamt bzw. das Familiengericht das Kindergeld auch an den anderen Elternteil, bei dem das Kind nicht offiziell gemeldet ist, ausgekehrt werden.

Insbesondere kann beim Wechselmodell ein Anspruch auf eigenständige Auskehrung des Kindergeldes bestehen, solange ein Gesamtausgleich zwischen den Eltern fehlt (vgl. BGH v. 20.04.2016 – XII ZB 45/15).

Die Auskehrung des Kindergeldes hat jedoch nach entsprechender Berechnung noch bestehender Unterhaltspflichten nur nachrangige Bedeutung, da dieses über die Unterhaltsberechnung ausgeglichen wird, sodass es letztendlich irrelevant ist, welcher Elternteil das Kindergeld erhält.


  • Kinderfreibeträge:

Im Wechselmodell, d.h. der Betreuung des Kindes durch beide Elternteile, bleibt es beim Regelfall der hälftigen Teilung der Kinderfreibeträge im Steuerrecht.


  • Sozialstaatliche Leistungen:

Leistungen nach dem SGB II (d.h. insbesondere ALG II-Leistungen) richten sich im Falle der Betreuung des Kindes durch beide Elternteile ebenfalls nach der entsprechenden Betreuungsleistung.

D.h. im Rahmen der Bedarfsgemeinschaft mit dem Kind werden die Bezüge des Kindes nicht doppelt (oder voll an den alleinig berechtigten Elternteil), sondern anteilig nach der Zeit, in der sich das Kind in der Bedarfsgemeinschaft aufhält, ausbezahlt, d.h. im Falle des echten Wechselmodells voraussichtlich hälftig.

Die erhöhten Wohnungskosten für das Kind aufgrund des erforderlichen Kinderzimmers in 2 Wohnungen stellt wiederum einen Mehrbedarf des Kindes dar, welcher seitens der zuständigen Stellen entsprechend zu leisten ist.


  • Unterhaltsrecht:

Den voraussichtlich größten Einschnitt des Wechselmodells ggü. dem Regelfall des Residenzmodells stellt das Unterhaltsrecht dar.

Die im Residenzmodell geltende Gleichwertigkeit von Betreuungs- und Barunterhalt entfällt im Wechselmodell.

Vielmehr haften beide Elternteile – ähnlich des Kindesunterhalts für Volljährige – anteilig für den Kindesunterhalt gem. § 1606 III 2 BGB.

Grund ist die Tatsache, dass aufgrund der beidseitig erbrachten Betreuungsleistungen, die seitens eines Elternteils erbrachte Betreuung nicht zur Befreiung von dessen Unterhaltspflicht führen kann.

Folge dieser Entscheidung ist zudem, dass aufgrund der beidseitig bestehenden Barunterhaltspflicht sowie der gesteigerten Erwerbsobliegenheit ggü. den minderjährigen Kindern, beide Eltern dem Grunde nach zu einer Vollzeit-Tätigkeit verpflichtet sind. Wird dies einseitig nicht erfüllt kann das fehlende Einkommen fiktiv angerechnet werden, oder auch beim anderen Elternteil ein entsprechender Einkommensanteil unberücksichtigt bleiben. Es gilt die Gleichbehandlung beider Elternteile.

Die Rechnung wird wie folgt vorgenommen (nach BGH v. 11.01.2017. XII ZB 565/15):

1. Ermittlung des Unterhaltsbedarfs des Kindes

Der unterhaltsrechtliche Bedarf des Kindes bestimmt sich beim Wechselmodell nach den zusammengerechneten, bereinigten Einkommen beider Elternteile und dem Einsatz dieses Wertes in die Düsseldorfer Tabelle.

Auf die Entscheidung des BGH (v. 16.09.2020, XII ZB 499/19) zur Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle ist dabei besonderes Augenmerk zu richten.

Diesem Betrag wird Mehrbedarf des Kindes (z.B. Schulgebühren, Nachhilfe etc.) sowie Mehrkosten aufgrund des Wechselmodells (z.B. erhöhte Wohn- und Fahrtkosten) hinzugerechnet.

Abgezogen wird im Falle minderjähriger Kinder das hälftige Kindergeld (aktuell: 1125,00 € für jedes Kind). Der andere Anteil des Kindergeldes wird bei Anrechnung des ausbezahlten Kindergeldes an den entsprechenden Elternteil berücksichtigt.

2. Anteilige Haftung (§ 1606 III 1 BGB)

Der sich so ergebende Restbedarf des Kindes ist entsprechend dem Verhältnis der um den jeweiligen angemessenen Selbstbehalt (aktuell: 1.750,00 €) bereinigten elterlichen Einkünfte anteilig zu verteilen.

Dies ergibt die jeweiligen Haftungsanteile für den Kindesunterhalt, welche im Rahmen der Berechnung nachrangiger Unterhaltspflichten vorab abgezogen werden.

Ist hingegen einer der Elternteile (ohne Verletzung seiner Erwerbsobliegenheit, s.o.) nicht leistungsfähig, d.h. hat kein Einkommen über dem Selbstbehalt von 1.750,00 €, liegt kein Fall des Wechselmodells vor, sondern eine Abweichung vom Regelfall der Düsseldorfer Tabelle, d.h.

die alleinige Haftung eines Elternteils für den Unterhalt. Die erhöhte Betreuungsleistung ist dann durch Abschlag in der Düsseldorfer Tabelle (z.B. in Abstufung in niedrigere Einkommensstufe) oder einen Betreuungsbonus, d.h. der fehlenden Berücksichtigung eines Einkommensanteils zu korrigieren (sog. Betreuungsbonus).

3. Anrechnung erbrachter Leistungen und Kindergeld:

Erbringt ein Elternteil Leistungen für das Kind, die dessen Mehrbedarf zuzurechnen sind (z.B. Kindergartenkosten) und durch beide Elternteile anteilig zu tragen sind, alleine, so werden diese von dessen Haftungsanteil abgezogen.

Das Kindergeld wird dem Haftungsanteil des Elternteils, der dieses erhält, hinzugerechnet.

Durch die im nächsten Schritt vorzunehmende hälftige Teilung der jeweiligen Überschüsse wird sichergestellt, dass die 2. Hälfte des Kindergeldes hälftig geteilt wird.

Darüber hinaus führt dies dazu, dass es egal wird, welcher Elternteil das Kindergeld letztendlich erhält.

4. Verteilung der sich so ergebenden Unterhaltsspitzen:

Zuletzt werden die sich so ergebenden Unterhaltsbeträge miteinander subtrahiert und hälftig geteilt.

Der Elternteil mit dem geringeren Haftungsanteil erhält damit den sich so ergebenden hälftigen Überschuss der Haftungsanteile.

Gerne nehmen wir im Rahmen einer Beauftragung die Berechnung des unterhaltsrechtlichen Einkommens sowie des geschuldeten Kindesunterhalts im Wechselmodell für Sie vor.


  • Sorgerecht:

Wichtigste Frage des Wechselmodells ist zumeist das Sorgerecht.

Das Gesetz besagt, dass es grundsätzlich beim Regelfall der gemeinsamen Sorge beider Elternteile verbleibt. Dies bedeutet, dass die Eltern grds. versuchen müssen ein Einvernehmen hinsichtlich Fragen bzgl. des Kindes herzustellen.

Das Wechselmodell erfordert insofern neben der normalen geteilten Sorge zusätzlich eine erhöhte Kommunikations- und Koordinationsbereitschaft beider Elternteile.

Die Herstellung des Wechselmodells ist somit grds. eine Frage des Einvernehmens beider Eltern zur Regelung des kindlichen Aufenthalts bzw. des Umgangs in dieser Form.

Kann ein Einvernehmen der Eltern nicht hergestellt werden, z.B. weil ein Elternteil ein Wechselmodell will, der andere dies aber ablehnt, kann es aufgrund dessen zur Anrufung des Gerichts hinsichtlich dieser Umgangsregelung kommen.

Entscheidend für die Entscheidung zwischen Residenz- und Wechselmodell ist immer das Kindeswohl.

Dieser wird anhand verschiedener Faktoren abgeleitet, insbesondere

  1. dem Kontinuitätsgrundsatz (wer war bisher die Hauptbezugsperson)
  2. Alter des Kindes (Je älter das Kind desto entspricht ist ein wechselnder Aufenthalt bei beiden Eltern dem Kindeswohl bzw. desto mehr ist auf den Willen des Kindes abzustellen)
  3. Förderungsprinzip (wo besteht die gleichmäßigere Erziehung? Wo erhält das Kind die bessere Förderung?)
  4. Bindungen des Kindes an seine Umwelt (Geschwister, Großeltern etc.)

Kommt man hier zu einer Gleichwertigkeit der Eignung beider Elternteile für die Erziehung und das Kindeswohl, kann auch ein Gericht ein Wechselmodell auch gegen den Willen eines Elternteils anordnen, wenn dies nach richterlicher Würdigung dem Kindeswohl am besten entspricht (vgl. BGH, v. 01.02.2017, XII ZB 601/15). Dies insbesondere wenn es um die Fortsetzung des Wechselmodells geht, welche seitens eines Elternteils abgelehnt wird.

In seiner neuen Entscheidung vom v. 16.12.2020 (Az.: 20 UF 56/20) hat das OLG Karlsruhe nunmehr beschlossen, dass die Anordnung eines Wechselmodells dann dem Kindeswohl widerspricht, wenn zwischen den Eltern eine hohe Konfliktbelastung herrscht (so auch bereits das OLG Brandenburg, v. 02.05.2017, 10 UF 2/17 zum Fehlen der Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft der Eltern).

Ein Wechselmodell ist laut dem OLG Karlsruhe nur in Betracht zu ziehen, wenn eine auf sicherer Bindung beruhende tragfähige Beziehung zu beiden Elternteilen besteht. Wesentlicher Aspekt ist zudem, vor allem bei Kindern im Jugendalter, der vom Kind geäußerte Wille.

Im Verhältnis der Eltern erfordert das Wechselmodell regelmäßig einen erhöhten Abstimmungs- und Kooperationsbedarf, sodass bei bestehender hoher elterlicher Konfliktbelastung ein Wechselmodell in der Regel nicht dem Kindeswohl entspricht.

Kommt danach ein Wechselmodell nicht (mehr) in Betracht, kann das gemeinsame Aufenthaltsbestimmungsrecht nicht beibehalten werden. Die Übertragung des alleinigen (Teil-) Sorgerechts auf einen Elternteil kann die Folge sein.

Die Entsprechende Prüfung hat anhand des jeweiligen Einzelfalls zu erfolgen.


  • Gesetzliche Vertretung des Kindes nach außen und im Verfahren

Von Bedeutung im Wechselmodell ist auch die Frage der Vertretung des Kindes nach außen.

§ 1629 BGB sieht die elterliche Vertretung an das Sorgerecht gekoppelt, sodass es im Rahmen eines gemeinsamen Sorgerechts zum gemeinsamen Vertretungsrecht der Eltern für das Kind im Außenverhältnis, d.h. ggü. Dritten, kommt.

Problematisch ist die Vertretung des Kindes für Verfahren gegen den anderen Elternteil, d.h. z.B. zur Geltendmachung noch bestehender Unterhaltsansprüche.

§ 1629 II 2 BGB regelt, dass grds. derjenige Elternteil die Vertretung des Kindes übernimmt, der den Schwerpunkt der Betreuung des Kindes übernimmt, d.h. das Kind in Obhut hat.

Liegt dieser Betreuungsschwerpunkt nun bei 50 : 50 steht keinem Elternteil die Alleinvertretungsbefugnis ggü. dem anderen Elternteil zu.

In solchen Fällen sollte, insbesondere in Scheidungsvereinbarungen, welche ein Wechselmodell für den Umgang vorsehen, bereits bestimmt werden, wer für das Kind in derartigen Verfahren vertretungsbefugt ist.

Andernfalls ist es ggf. notwendig, dass im gerichtlichen Verfahren ein Pfleger für die Vertretung der rechtlichen Interessen des Kindes bestellt werden muss, wodurch weitere Kosten zum Entstehen gelangen (vgl. BGH, v. 12.03.2014, XII ZB 234/13).

Alternativ könnte bei entsprechendem Konflikt der Eltern gem. § 1628 BGB auf Antrag die Entscheidungsmacht durch das Familiengericht einem Elternteil übertragen werden.


Gerne beraten wir Sie im Hinblick auf alle mit dem Wechselmodell zusammenhängenden Probleme.

Hierzu können Sie unter 08232/809 25-0 oder über info@kanzlei-haas.de einen persönlichen Besprechungstermin für eine Erstberatung vereinbaren.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwältin Franziska Lechner

Beiträge zum Thema