Die Beistandschaft des Jugendamtes (§§ 1712 ff. BGB) – Droht ein Verlust von Ansprüchen?

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Bei Zeugung eines Kindes außerhalb einer partnerschaftlichen Beziehung oder bei Trennung der Eltern ist regelmäßig die erste Frage die finanzielle Absicherung des Kindes mittels Kindesunterhalts durch den anderen Elternteil.

Steht der rechtliche Vater eines Kindes nicht bereits fest, d. h., wurde keine Vaterschaftsanerkennung abgegeben oder besteht keine Vaterschaft aufgrund Gesetzes, ist zur Klärung dieser Frage vorab die Vaterschaft für das Kind zu klären. Dies ist essentielle Voraussetzung eines Unterhaltsanspruches sowohl des Kindes als auch der Kindsmutter aufgrund der Betreuung des Kindes.

Die Rechte des Kindes ggü. einem Elternteil durchzusetzen, kann schwierig sein.

Seit dem 1. Juli 1998 ist es alleinsorgeberechtigten (oder tatsächlich allein sorgenden) Elternteilen neben der allgemeinen Beratung des Jugendamtes möglich, zur Unterstützung bei der Feststellung der Vaterschaft des Kindes oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von Kindesunterhaltsansprüchen eine freiwillige Beistandschaft des an seinem Wohnort zuständigen Jugendamtes zu beantragen.

Das minderjährige Kind wird dann in den entsprechenden Verfahren vom Jugendamt rechtlich vertreten und der Elternteil dadurch entlastet.

Die Beratung und Unterstützung im Jugendamt, auch in Form der Beistandschaft, ist freiwillig und kostenlos.

Die Beistandschaft hat folgende Voraussetzungen:

  • Beistandschaft ist nur möglich zur  
    • Feststellung der Vaterschaft und/oder
    • Geltendmachung und Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen
  • Schriftlicher Antrag des Elternteils, dem die elterliche Sorge für das Kind allein zusteht oder bei dem das Kind lebt.
    • Nicht von Bedeutung ist das tatsächliche alleinige Sorgerecht des beantragenden Elternteils, d.h. eine Beistandschaft ist auch bei fortbestehender gemeinsamer Sorge nach einer Trennung möglich
  • Beistandschaft wird nur für 
    • minderjährige Kinder,
    • die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben

gewährt.

Mit Eingang des Antrags wird das Jugendamt sofort Beistand des Kindes. Es bedarf keiner Zustimmung, Genehmigung oder Bestätigung durch das Jugendamt.

Eine Beistandschaft hat folgende Wirkungen:

  • Der Beistand ist dann (neben dem beantragenden Elternteil) gesetzlicher Vertreter des Kindes in den übertragenen Aufgabenkreisen, d.h. der Beistand vertritt das Kind und kann für das Kind außergerichtlich und gerichtlich tätig werden.

Die Aufgaben des Beistands werden durch einen Mitarbeiter des Jugendamtes wahrgenommen.

  • Die elterliche Sorge wird durch die Beistandschaft nicht eingeschränkt, d. h., innerhalb der auf den Beistand übertragenen Aufgaben vertreten der Beistand und auch der antragstellende Elternteil in vollem Umfang zur Vertretung des Kindes befugt. 
    • Ausnahme:

Im gerichtlichen Verfahren hat der Beistand gegenüber dem Elternteil Vorrang um widersprüchliche Erklärungen zu vermeiden.

Die Beistandschaft endet:

  • Mit jederzeit möglicher schriftlicher Erklärung durch den beantragenden Elternteil
  • Entfallen der Voraussetzungen der Beistandschaft, d.h. insbesondere
    • Volljährigkeit des Kindes
    • Umzug des Kindes ins Ausland
    • Entzug der elterlichen Sorge beim beantragenden Elternteil

Die Beistandschaft beim Jugendamt bietet also eine kostengünstige Möglichkeit Ansprüche des Kindes gegen den anderen Elternteil durchzusetzen.

Insbesondere, wenn für das Kind Sozialleistungen gewährt werden (z. B. UVG-Leistungen, sonstige Sozialleistungen), bietet sich die Beistandschaft des Jugendamtes an.

Dies aus folgendem Grund: Werden als Ausgleich ausbleibender Unterhaltsleistungen Sozialleistungen gewährt, gehen die Ansprüche des Kindes in dieser Höhe auf die Sozialträger über, d. h. im Falle von Unterhaltsvorschussleistungen (UVG) auf das zuständige Jugendamt. Es kann daher sinnvoll sein, die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen (Rückständiger Unterhalt als Anspruch des Sozialträgers und laufender Unterhalt als noch bestehender Anspruch des Kindes) in einer Hand zusammenzuführen.

Entscheidet sich der Elternteil für die Einrichtung einer Beistandschaft statt der Beauftragung eines Rechtsanwaltes, kümmert sich der Beistand um den rückständigen und den laufenden Unterhalt. Er garantiert insbesondere eine rechtmäßige Verteilung eingehender Unterhaltszahlungen.

Auch für den Unterhaltspflichtigen hat dies den Vorteil, dass er sich nur noch mit einer Stelle auseinandersetzen muss, die Unterhalt für sein Kind von ihm fordert.

Welche Nachteile können dann durch eine Beistandschaft entstehen?

Diese Frage wurde zum Teil bereits angesprochen. Die Beistandschaft endet erst mit Wegfall der Voraussetzungen oder entsprechender Erklärungen des Elternteils und im Falle eines gerichtlichen Verfahrens haben Erklärungen des Jugendamtes Vorrang.

Möglich ist also, dass insbesondere in gerichtlichen Verfahren, Entscheidungen des zuständigen Jugendamtes auch zu Lasten des allein sorgenden Elternteils wirksam werden.

Dies auch unter der Tatsache, dass Mitarbeiter des Jugendamtes zwar in ihren Aufgaben geschult werden, jedoch am Ende des Tages keine ausgebildeten und im Besonderen im Familienrecht erfahrenen und tätigen Rechtsanwälte ersetzen können.

Eine Beistandschaft des Jugendamtes kann daher im Einzelfall zu einem erheblichen Anspruchsverlust des Kindes bzw. des Elternteils führen, wie die durch uns vertretene Mandantin in einem aktuellen Fall vor dem AG Dillingen a. d. Donau (Az. 001 F 473/19) erfahren musste.



Im vorliegenden Fall vor dem AG Dillingen an der Donau (Az. 001 F 473/19) lebten die hier vertretene Mandantin (geb. im Jahr 2000; zum Zeitpunkt der Mandatierung inzwischen volljährig) und deren jüngere Schwester nach der Trennung der Eltern im Jahr 2014 beim Kindsvater.

Dieser beantragte im August 2015 beim zuständigen Jugendamt eine Beistandschaft für seine Töchter zur Geltendmachung der Kindesunterhaltsansprüche ggü. der barunterhaltspflichtigen Kindsmutter.

Daneben erhielt der Kindsvater zu diesem Zeitpunkt zwar Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) für die jüngere Tochter, jedoch nicht für die hier vertretene Mandantin aufgrund der damaligen rechtlichen Lage und deren Alters von zum damaligen Zeitpunkt bereits 15 Jahren.

Das Jugendamt wurde zunächst auch tätig und forderte die Kindsmutter zur Auskunft über Ihre Einkünfte und zur Zahlung des Mindestunterhalts auf, wozu diese aufgrund ihrer erhöhten Erwerbsobliegenheit ggü. den minderjährigen Töchtern verpflichtet war, und machte, nachdem diese hierauf nicht reagierte, – jedoch erst ca. 2,5 Jahre nach Errichtung der Beistandschaft – den Auskunfts- und Unterhaltsanspruch in einem vereinfachten Unterhaltsverfahren geltend.

Hierauf legte die Kindsmutter die Einwendung ein, aus ihrer Teilzeit-Tätigkeit lediglich ein geringes Einkommen zu haben.

Das Jugendamt errechnete aus den unvollständigen Gehaltsnachweisen, welche die Kindsmutter übersandte, ein Einkommen der Kindsmutter in Höhe von ca. 1.250 € und bestimmte nun, dass lediglich eine Leistungsfähigkeit in Höhe von 122 € für beide Töchter vorhanden war.

Im gleichen Zuge stellte das Jugendamt der Kindsmutter – ohne Rücksprache mit dem Kindsvater – in Aussicht, aufgrund der bestimmten geringen Leistungsfähigkeit einen Vollstreckungsverzicht für den geschuldeten Unterhalt bis auf die entsprechende Summe der Leistungsfähigkeit auszusprechen, sollte diese ihre Einwendungen gegen das vereinfachte Unterhaltsverfahren zurücknehmen.

Dies wurde seitens der Kindsmutter nun auch veranlasst, sodass Ende 2018, kurz nach der Volljährigkeit der hier vertretenen Mandantin endlich der Unterhaltstitel hinsichtlich des geschuldeten Mindestunterhalts erlassen wurde.

Das Jugendamt übersandte die vollstreckbare Ausfertigung des Titels und eine Aufstellung des geschuldeten rückständigen Mindestkindesunterhalts (über 14.000 €) unter Beendigung der Beistandschaft aufgrund der Volljährigkeit der hier vertretenen Mandant an diese und wies diese darauf hin, dass sie sich nunmehr selbst um die Geltendmachung kümmern müsse.

Die Geltendmachung des titulierten Unterhalts gegenüber der inzwischen Vollzeit-tätigen Kindsmutter erwies sich jedoch insofern als problematisch, als diese sich auf den versprochenen Vollstreckungsverzicht berufen hatte und lediglich die Summe von ca. 2.800 € als rückständig bestätigte.

Auf Nachfrage beim zuständigen Jugendamt hinsichtlich eines etwaigen, weder der hier vertretenen Mandantin noch deren Vaters bekannten Vollstreckungsverzichts, erklärte dieses „nunmehr“, d. h. nach Beendigung der Beistandschaft, den versprochenen Vollstreckungsverzicht, welcher jedoch u.E. aufgrund der nicht mehr vorhandenen Vertretungsmacht ohne Genehmigung der hier vertretenen Mandantin unwirksam war.

Es folgten daher die Zwangsvollstreckung aus dem vorhandenen Titel, welche mit Vollstreckungsabwehrklage seitens der Kindsmutter angefochten wurde.

Vor Gericht wurde der Vollstreckungsverzicht thematisiert, wobei das Gericht feststellte, dass aufgrund des Vorrangs der Erklärungen des Beistands die hier vertretene Mandantin an den in Aussicht gestellten Vollstreckungsverzicht gebunden wäre und eine Vollstreckung insofern wegen des Vertrauens der Kindsmutter gegen Treu und Glauben verstoßen würde.

Der seitens des Jugendamtes ausgesprochene Vollstreckungsverzicht führte also zu einem Verlust des rückständigen Unterhaltsanspruches der hier vertretenen Mandantin.

Dies aus folgendem Grund:

  • Zum einen wurden für die hier vertretene Mandantin keine UVG-Leistungen bezahlt, sodass keine Unterhaltsansprüche auf das Jugendamt kraft Gesetz übergegangen sind.

Bei der hier vertretenen Mandantin verzichtete das Jugendamt daher anders als bei deren jüngeren Schwester nicht auf eigene Ansprüche, sondern auf Ansprüche der hier vertretenen Mandantin.

Dies geht zu Lasten des Kindsvaters, welcher während der Minderjährigkeit seiner Tochter, neben seiner Betreuungsleistung durch Vollzeit-Erwerbstätigkeit auf den Barunterhalt sicherstellte.

Des Weiteren verkannte das Jugendamt bei Inaussichtstellen des Vollstreckungsverzichtes,

  • zum einen, dass eine Auskunft durch unvollständige Gehaltsabrechnungen, eben nicht erfüllt ist. Das Jugendamt hätte auch lückenlosen Nachweis der Gehaltsnachweise bestehen müssen.
  • Zum anderen, dass die Kindsmutter gegenüber ihren minderjährigen Kindern eine erhöhte Erwerbsobliegenheit innehatte.
  • Des Weiteren, dass der Selbstbehalt der Kindsmutter spätestens ab der Wiederheirat mit deren leistungsfähigen neuen Ehepartner durch diesen gedeckt war und daher eine erhöhte Leistungsfähigkeit bestand.

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH wäre die Kindsmutter daher zu einer Vollzeit-Tätigkeit, oder – sollte dies aufgrund der Schichtdiensttätigkeit im Betrieb nicht möglich sein – zumindest zur Aufnahme einer Nebentätigkeit verpflichtet gewesen, um den Mindestkindesunterhalt sicherzustellen. Bei Nichterfüllung dieser Pflicht wäre ihr das erzielbare Einkommen zusätzlich fiktiv angerechnet worden.

Dies wurde seitens des Jugendamtes nicht beachtet, sondern aufgrund des durch unzureichende Erwerbstätigkeit zu niedrigen Einkommens der Vollstreckungsverzicht ausgesprochen.

Der hier vertretenen Mandantin wurde dadurch die Möglichkeit genommen, im Falle einer nachträglichen Verbesserung der Einkünfte der Kindsmutter den rückständigen Unterhalt geltend zu machen.

Auf eben jene Problematik, sowie die Möglichkeit weiterer Verfahren zur Geltendmachung von Regressansprüchen ggü. dem Jugendamt wies das Gericht in unserem Verfahren ausdrücklich hin.

  • Eine Beendigung der Beistandschaft durch den Kindsvater wäre zwar jederzeit möglich gewesen, jedoch hatte dieser aufgrund fehlender Information über etwaig beabsichtigte Verzichte des Jugendamtes keinerlei Veranlassung an der Rechtmäßigkeit des Handelns des Jugendamtes zu zweifeln.
  • Last but not least dauerte es von der Errichtung der Beistandschaft bis zum tatsächlichen Erlass des gerichtlichen Unterhaltstitels trotz des vereinfachten Unterhaltsverfahrens (!) etwa 3 Jahre. Eine nicht zu verantwortende Verfahrensdauer.

Unter Berücksichtigung der entsprechenden Unsicherheiten und des Prozesskostenrisikos des vorliegenden sowie weiterer Verfahren, schlossen die beteiligten Parteien schließlich einen Vergleich, welcher die Zahlung des in etwa hälftigen rückständigen Kindesunterhalts durch die Kindsmutter beinhaltete.

Dies stellte sich zwar nicht als der gewünschte Gesamterfolg dar, war jedoch der hier vertretenen Mandantin aufgrund des in Aussicht gestellten Unterliegens im vorliegenden Verfahren wegen des gegen sie geltenden Verzichts des Jugendamtes zu raten.

Zum Abschluss dieses Rechtstipps möchten wir darauf hinweisen, dass obige Falldarstellung u.E. zwar einen bedauerlichen Einzelfall darstellt und keinesfalls die Fähigkeit aller Jugendämter zur ordnungsgemäßen Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen anzweifeln darf.

Letztendlich ist vorliegender Fall jedoch ein Beispiel dafür, dass die Mitarbeiter des Jugendamtes gerade keine ausgebildeten Juristen sind und nicht immer nach der einschlägigen Rechtsprechung des BGH handeln.

Der insoweit dennoch geltende Vorrang von Erklärungen des Jugendamtes ggü. Erklärungen des betreuenden Elternteils kann daher zu einem Anspruchsverlust derer führen, deren Rechte eigentlich durch die Beistandschaft gewahrt werden sollen.

Um derartige Folgen zu vermeiden, empfehlen wir – auch wenn dies mit der Entstehung von Gebühren verbunden ist – die Prüfung Ihrer Ansprüche auf Unterhalt durch einen im Familienrecht tätigen Rechtsanwalt.

Über die Möglichkeit Beratungshilfe bzw. Verfahrenskostenhilfe in Anspruch zu nehmen, beraten u. a. die zuständigen Stellen der Gerichte.

Gerne können Sie zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen Ihrerseits bzw. der durch Sie betreuten minderjährigen Kinder einen Beratungstermin in unserer Kanzlei vereinbaren.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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