Die rechtsmissbräuchliche Abmahnung – Auswirkungen der Gesetzesänderung zur Eindämmung von Abmahnmissbrauch im UWG

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Abmahnungen, wie sie etwa im Wettbewerbs-, Marken- oder Urheberrecht, aber auch in Bereich des Persönlichkeits- oder Datenschutzrechts üblich sind, werden ausgesprochen, wenn eine Partei der Ansicht ist, eine andere handle in einer Weise rechtswidrig, die nahelegt, dass sich das Verhalten wiederholt. Abmahnen kann dann derjenige, durch das rechtswidrige Verhalten betroffen bzw. verletzt worden ist. Daneben gibt es für bestimmte Rechtsgebiete auch die Möglichkeit der Abmahnung durch Abmahnvereine, wie z.B. bestimmter Unternehmervereine im Bereich des Wettbewerbsrechts.

Zu unterscheiden sind die hier behandelten Abmahnungen insbesondere von Abmahnungen im Arbeitsrecht, welchen nur die gleiche Begrifflichkeit zu Grunde liegt.

Der Sinn einer Abmahnung besteht darin, dem Gegner vor Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens die Möglichkeit zu geben, sich zu Einstellung seines rechtswidrigen Verhaltens zu verpflichten. Sie stellt insoweit eine kostengünstigere und schnellere Alternative zu einem Klageverfahren dar. In einigen Rechtsgebieten ist daher sogar gesetzlich normiert, dass eine Abmahnung einer gerichtlichen Geltendmachung vorangehen soll. Grundsätzlich empfiehlt sich eine Abmahnung vor der gerichtlichen Geltendmachung aber bereits aus prozessökonomischen Gründen.

In der Theorie profitieren also eigentlich alle Seiten von einer Abmahnung. Für den Abmahnenden ist das Verfahren schneller, für den Anspruchsgegner kostengünstiger. Zudem werden die Gerichte entlastet. 

An dieser Stelle dürften Einwände wahrscheinlich sein. 
In unserer Kanzlei-Praxis der Beratung und Vertretung von Abgemahnten haben wir nie erlebt, dass eine Abmahnung von diesen als in irgendeiner Weise vorteilhaft verstanden wurde. Natürlich freut sich auch in anderen Bereichen regelmäßig Niemand darüber, in eine rechtliche Auseinandersetzung gezogen zu werden, im Falle einer Abmahnung können aber noch verschiedene verstärkende Aspekte hinzukommen: Die gesetzten Fristen sind oft knapp bemessen, mit der Abmahnung zusammen werden regelmäßig Rechtsverfolgungskosten geltend gemacht, die eine signifikante Höhe erreichen können und in vielen Fällen, kommt eine Abmahnung überraschend und der Abmahnende ist dem Abgemahnten nicht einmal bekannt. Dies kann den Eindruck entstehen lassen, dass hier einfach jemand Streit sucht oder „abzocken“ möchte.

Speziell im Online-Handel, z.B. beim Waren-Verkauf über Ebay kam und kommt es immer wieder zu fragwürdigen Vorfällen. Vergleichsweise kleine Online-Shops sprechen eine Vielzahl von Abmahnungen aus, welche sich auf möglicherweise sehr neue oder komplizierte Regelungen beziehen, ohne dass ein gesteigertes Interesse des Abmahnenden an der Einhaltung dieser Regelungen zwingend erscheint. Diese Abmahnungen treffen dann oft kleine Händler – im Fall von Ebay-Handel oft Personen, die der Ansicht sind, nur privat zu handeln -, die nicht ständig prüfen, ob in Folge von Änderungen in Gesetz oder Rechtsprechung Anpassungen notwendig sind. Hier kann es etwa um fehlerhafte AGB-Klauseln oder Widerrufsbelehrungen, Verletzung der Preisangabenverordnung, fehlende Anmeldung bei einem Verpackungsregister, die fehlende Zugänglichmachung von Garantiebedingungen bei Werbung mit einer Garantie oder nicht ausreichende Lebensmittelkennzeichnung gehen, um nur einige Beispiele zu nennen. Abmahnungen können hier durchaus existenzbedrohende Ausmaße annehmen.

Konkret im Wettbewerbsrecht hat der Gesetzgeber durch eine Gesetzesänderung Ende 2020 versucht, durch Regelungen über ein „Verbot der missbräuchlichen Geltendmachung von Ansprüchen“ (§ 8 c UWG) teilweise wettbewerbsrechtliche Abmahnungen zu unterbinden, die z.B.

  • „vorwiegend dazu dien(en), gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder von Kosten der Rechtsverfolgung oder die Zahlung einer Vertragsstrafe entstehen zu lassen.“
  • wenn „eine erhebliche Anzahl von Verstößen gegen die gleiche Rechtsvorschrift durch Abmahnungen geltend“ gemacht wird, „wenn die Anzahl der geltend gemachten Verstöße außer Verhältnis zum Umfang der eigenen Geschäftstätigkeit steht“
  • wenn der Abmahnende den „Gegenstandswert für eine Abmahnung unangemessen hoch ansetzt“. Der Gegenstandwert, bzw. Streitwert soll sich an der Bedeutung der Rechtsstreitigkeit orientieren und ist Basis für die Bestimmung von Anwalts- und Gerichtskosten.

Eine Abmahnung kann im Bereich des Wettbewerbsrechts dementsprechend also auch dann rechtsmissbräuchlich und daher unzulässig sein, wenn der Abmahnende in der eigentlichen Sache Recht hat, also tatsächlich rechtswidriges Verhalten des Abgemahnten angreift.

Bei rechtsmissbräuchlichen Abmahnungen im Bereich des Wettbewerbsrecht ist es zudem möglich, dass der Abgemahnte im Falle einer rechtsmissbräuchlichen Abmahnung die Kosten seines eigenen Anwalts vom Abmahnenden ersetzen lassen kann.

Die praktische Wirkung dieser Gesetzesänderung ist durchmischt. Dem Wortlaut nach ist die Regelung recht weitgehend und scheint die wesentlichsten Problemfälle tatsächlich zu erfassen. Regelmäßig dürfte dem Abgemahnten allerdings ausreichender Einblick in die Methoden des Abmahnenden verwehrt sein. Er kennt üblicherweise keine Details etwa zur Motivation es Abmahnenden oder den Umfang von dessen Geschäfts- oder Abmahntätigkeit. Auch die Standardreaktion bei eigener Unkenntnis – googeln – hilft regelmäßig nur begrenzt weiter, da sie bestenfalls eher fremde Spekulationen als Tatsachen aufdeckt.

Auch geht aus verschiedenen Gerichtsurteilen eine zurückhaltende Annahme von Rechtsmissbrauch in Wettbewerbsfällen hervor. So argumentiert etwas das OLG Frankfurt am Main in Urteil vom 12.05.2021, Az.: 6 W 23/21:

„Verhalten sich viele Wettbewerber wettbewerbswidrig, muss es grundsätzlich möglich sein, gegen alle vorzugehen, sofern die Verstöße die Marktposition des Abmahnenden in relevanter Weise beeinträchtigen können (…). Ein Mitbewerber muss gegen alle Mitbewerber vorgehen können, die sich durch einen Rechtsverstoß einen spürbaren Wettbewerbsvorteil verschaffen.“

Gegenständlich waren hier ca. 50 gleichartige Abmahnungen mit Gegenstandswerten von jeweils zwischen 50.000 € und 100.000 €. Antragsgegnerin in dem Verfahren war hier allerdings auch ein Unternehmen mit jährlich zweistelligem Millionenumsatz.

In einer Angelegenheit, in welcher Rechtsmissbrauch im Hinblick auf einen wohl auch nach Ansicht des Gerichts deutlich überhöhten Gegenstandswert in Höhe von 100.000 € pro Abmahnung im Raum stand, argumentierte das OLG Bamberg (Beschluss v. 01.02.2021, Az.: 3 W 4/21) wie folgt:

„Ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen ist nur dann anzunehmen, wenn die vollständige Betrachtung der gesamten Umstände ergibt, dass der Anspruchsberechtigte mit der Geltendmachung des Anspruchs überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgt und diese als die eigentliche Triebfeder und das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung erscheinen. Dies hat sich auch nach der Einführung der Vorschrift des § 8c UWG nicht geändert.“

und

„Da die Festsetzung des Streitwerts jedoch gem. § 51 Abs. 2 GKG im Ermessen steht, kann ein Indiz für einen Rechtsmissbrauch allenfalls angenommen werden, wenn der Gegenstandswert selbst bei vollständiger Ausschöpfung des ohnehin weiten Ermessensspielraums als nicht mehr sachgerecht einzuordnen ist. Abgesehen davon führt die unangemessen hohe Ansetzung allein regelmäßig nicht zur Annahme eines Rechtsmissbrauchs“

Vergleichbar argumentiert das OLG Celle (Beschluss vom 31.05.2021, Az.: 13 U 23/21)

„Mit der Formulierung des Einleitungssatzes „ist im Zweifel anzunehmen“ wird klargestellt, dass eine umfassende Würdigung der Gesamtumstände erforderlich ist. Die Erfüllung einer der genannten Konstellationen kommt lediglich eine Indizwirkung für einen Missbrauch zu. Der Abmahnende kann diese Indizien erschüttern (aaO).

Danach ist im Streitfall unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände nicht von einem Rechtsmissbrauch auszugehen. Zwar hält auch der Senat den bei der Abmahnung in Ansatz gebrachten Gegenstandswert von 82.500 € (11 Verstöße à 7.500 €) für übersetzt. Der Verfügungskläger hat jedoch nachvollziehbar dargetan, welche Überlegungen sein Prozessbevollmächtigter bei der Bemessung des Streitwerts angestellt hat.“

Die dargestellten Gerichtsentscheidungen sollen an dieser Stelle auf keinen Fall den Eindruck erwecken, als sei es aussichtslos, sich auf die Rechtsmissbrauchstatbestände des § 8c UWG zu berufen. Soweit aus den Entscheidungen ersichtlich, waren Gegenstand derselben durchaus nachvollziehbare Unterlassungsinteressen des Abmahnenden, also nicht solche die eher wie ein Vorwand zur Befriedigung eines aus anderen Gründen bestehenden Abmahninteresses wirken.

Bei der Entscheidung darüber, wie auf eine Abmahnung reagiert werden soll, muss aber in jedem Fall berücksichtigt werden, dass eine Berufung auf Rechtsmissbrauch in den wenigsten Fällen ein reiner Selbstläufer ist. Der Abmahnende, welcher zahleiche vergleichbare wettbewerbsrechtliche Abmahnungen versendet hat, mag sofern er sich in der Gefahr sieht, dass seine Abmahnungen als rechtsmissbräuchlich gebrandmarkt werden, insbesondere in kritischen Einzelfällen vor einer gerichtlichen Durchsetzung zurückschrecken. Zumindest insoweit bringt die Gesetzesänderung konkreten praktischen Vorteil für Abgemahnte. Wer allerdings unter Berufung auf Rechtsmissbrauch alle in der Abmahnung erhobenen Vorwürfe zurückweist oder sogar seinerseits eine gerichtliche Klärung in Form einer negativen Feststellungsklage anstrebt, muss sich in den meisten Fällen – eine exakte Prüfung ist natürlich nur im Einzelfall möglich – eines erheblichen Risikos bewusst sein. Sofern eine Klärung aus grundsätzlichen Erwägungen angestrebt wird, kann die Akzeptanz eines solchen Risikos angemessen sein, ansonsten können defensivere Strategien eine sicherer Altennative darstellen.

Zudem ist zu berücksichtigen, dass es sich bei § 8c UWG, welcher die behandelten Normen zum Rechtsmissbrauch enthält, um eine wettbewerbsrechtliche Spezialvorschrift handelt. Die Regelungen sind also nicht oder jedenfalls nicht ohne Weiteres auf Abmahnungen aus anderen Rechtsgebieten, wie dem Marken- oder dem Urheberrecht übertragbar. Soweit in anderen Rechtsgebieten der Rechtsmissbrauchseinwand bei Abmahnungen überhaupt in Betracht kommt, sind hier regelmäßig strengere Maßstäbe anzusetzen.


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