Doppelwohnsitz Deutschland-Schweiz – Teil 1/2

  • 7 Minuten Lesezeit

Dieser Artikel ist im Steueranwaltsmagazin 2018, 177 erschienen und hier aus redaktionellen Gründen inhaltlich gekürzt und in zwei Teile gegliedert.

Teil 1

In der Schweiz leben über 304.600 Deutsche. In Deutschland wohnen immerhin auch 88.600 Schweizer, was angesichts der Bevölkerungszahlen den verhältnismäßig größeren Anteil darstellt. Vereinfacht wurde die Wohnsitznahme im jeweils anderen Staat durch im Jahr 2002 in Kraft getretene Freizügigkeitsabkommen (im Folgenden: FZA). Viele der Umziehenden behalten auch noch eine Wohnung in ihrem Herkunftsstaat. Das Wort „Doppelwohnsitz“ ist nach schweizerischer Terminologie eigentlich unmöglich, denn in der Schweiz gilt, dass „niemand an mehreren Orten zugleich seinen Wohnsitz“ haben kann. Nach deutschem Verständnis ist das aber umgekehrt, im Bürgerlichen Gesetzbuch ist ausdrücklich festgehalten, dass „der Wohnsitz gleichzeitig an mehreren Orten bestehen“ kann. Wenn im Folgenden ein Überblick über die Themengebiete und die rechtlichen Wirkungen gegeben wird, ist daher also eine Konstellation gemeint, in der eine Person zwei Wohnungen jeweils zur Nutzung bereithält.

I. Motivation

Die Gründe für die Wahl eines Doppelwohnsitzes sind so vielfältig wie die Lebensentwürfe. Arbeitnehmer wählen häufig den Status des „Wochenaufenthalters“. Typischerweise wird dann am Arbeitsort im Ausland nur eine kleine Wohnung gemietet, während im Herkunftsland etwa ein Haus besteht, das man nicht aufgeben möchte. Bei Nichterwerbstätigen steht eher die Freizeitnutzung im Vordergrund, sodass beispielsweise eine Wohnung an der Ostsee und eine im Tessin vorgehalten wird und beide Wohnungen dann jahreszeitlich genutzt werden. Wenn ein Deutscher seine Wohnung im Tessin für mehr als drei Monate im Jahr nutzen möchte, benötigt er hierfür in der Schweiz eine Bewilligung. Hat er aber seinen Lebensmittelpunkt weiterhin in Deutschland, wird ihm solch eine Bewilligung nicht erteilt werden, da die schweizerischen Behörden den Lebensmittelpunkt in der Schweiz fordern. Auch der Wunsch eines Immobilienerwerbs in der Schweiz kann dazu motivieren, hier einen Wohnsitz zu nehmen. Denn während ein Immobilienerwerb Ausländern mit Wohnsitz im Ausland nach der sogenannten „Lex Koller“ nur mit einer – de facto kaum zu erhaltenden – Bewilligung erlaubt ist, sind Deutsche mit Lebensmittelpunkt in der Schweiz von der Bewilligungspflicht befreit. In solchen Konstellationen wird dann aus Rechtsgründen – manchmal auch nur formal – der Lebensmittelpunkt in die Schweiz verlegt. Daneben finden sich auch weniger offensichtliche Motive zur Beibehaltung eines Wohnsitzes im Herkunftsland, etwa eine Jagdpacht, damit zusammenhängend regelmäßig der Waffenbesitz oder schlicht laufende Leasingverträge für Fahrzeuge, die nur unter ungünstigen Bedingungen zu kündigen wären, eine Mitnahme ins Ausland aber nicht erlauben.

II. Vermeidung der Doppelbesteuerung

  • 1. Ermittlung des Ansässigkeitsstaats

Ein Doppelwohnsitz führt im Regelfall in beiden Ländern zur unbeschränkten Einkommensteuerpflicht, was bedeutet, dass das weltweite Einkommen der Person sowohl in der Schweiz also auch in Deutschland besteuert werden kann. Die daraus resultierende doppelte Inanspruchnahme soll durch das Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz (DBA D-CH) vermieden werden. Im DBA wird zunächst für die steuerpflichtige Person der „Ansässigkeitsstaat“ bestimmt. Die Ermittlung des Ansässigkeitsstaats erfolgt in Stufen. Ergibt sich auf einer Stufe noch kein Ergebnis, wird die Prüfung auf der folgenden Stufe fortgesetzt. 

  • 2. Unbeschränkte Steuerpflicht

Auf der ersten Stufe kommt es darauf an, ob nach nationalem Einkommensteuerrecht unbeschränkte Steuerpflicht vorliegt. In Deutschland reicht dafür neben dem gewöhnlichen Aufenthalt ein Wohnsitz aus. Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Ein nur gelegentliches, unregelmäßiges Verweilen zu Erholungszwecken reicht nicht aus, um einen Wohnsitz zu begründen. Die im Gesetz vorgesehenen Umstände, die auf das „Beibehalten“ schließen lassen, liegen beispielsweise bei einer beruflichen Versetzung vom In- ins Ausland vor, wenn man eine Wohnung im Inland behält, deren Benutzung jederzeit möglich ist und die so ausgestattet ist, dass sie jederzeit als Bleibe dienen kann. Der Wohnsitzbegriff setzt nicht voraus, dass sich dort auch der Mittelpunkt der Lebensinteressen befindet. Daher kann man – gleich ob im In- und/oder im Ausland – mehrere Wohnungen und mehrere Wohnsitze im steuerrechtlichen Sinne haben. Eine inländische Wohnung eines Ehegatten/Lebenspartners, die auch vom anderen Partner gelegentlich zu Wohnzwecken genutzt wird, gilt auch dann als ein gemeinsamer Wohnsitz, wenn sich einer zeitlich überwiegend im Ausland aufhält. Auf die Anmeldung beim Einwohnermeldeamt kommt es dabei grundsätzlich nicht an, da der Wohnsitzbegriff im Steuerrecht selbständig auszulegen ist. In der Schweiz wird die unbeschränkte Steuerpflicht durch Wohnsitz oder Aufenthalt begründet. Der Wohnsitz wird dadurch bestimmt, dass sich eine Person in der Absicht dauernden Verbleibens niederlässt und dort den Lebensmittelpunkt begründet.

  • 3. Ständige Wohnstätte

Wenn unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach nationalem Recht beider Staaten vorliegt, ist die Prüfung auf die folgende Stufe fortzusetzen. Auf der zweiten Stufe kommt es darauf an, ob die Person in einer der beiden Staaten eine „ständige Wohnstätte“ hat (Art. 4 Abs. 2 S. 1 DBA D-CH). Dieser – in der Praxis sehr bedeutsame – Begriff ist im Doppelbesteuerungsabkommen nicht definiert, sodass die Rechtsprechung ihn auszulegen hat. Der Bundesfinanzhof hält hierzu fest, dass man keine feste Anzahl an Tagen benennen kann, ab der eine Wohnung zu einer ständigen Wohnstätte wird. In einer Entscheidung wurde aber eine Wohnung, die an ca. 50 Tagen im Jahr genutzt wurde, als ständige Wohnstätte angesehen. Andererseits werde eine stets nur an wenigen Tagen im Jahr genutzte nicht zur ständigen Wohnstätte. Hieraus lässt sich entnehmen, dass es zwar keine feste Tagesgrenze gibt, allerdings 50 Tage schon nicht mehr als „wenige Tage“ anzusehen sind.

  • 4. Lebensmittelpunkt

Liegt in beiden Staaten eine ständige Wohnstätte vor, bestimmt sich die Ansässigkeit auf der dritten Stufe nach dem Mittelpunkt der Lebensinteressen, also dem Staat, zu dem die Person die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat (Art. 4 Abs. 2 S. 2 DBA D-CH). In der Praxis macht oft der Nachweis von persönlichen Interessen Schwierigkeiten, weshalb es zu empfehlen ist, einen Tageskalender zu führen, in dem Übernachtungsort und Aktivitäten notiert sind. Sofern beide Staaten davon ausgehen, dass der Lebensmittelpunkt bei ihnen liegt, ist in einem Verständigungsverfahren nach dem DBA eine Lösung zu suchen, was allerdings mehrere Jahre dauern kann, in denen dann zeitweise eine Doppelbesteuerung eintreten kann. In der Praxis der Verständigungsverfahren wird häufig angenommen, dass den persönlichen Interessen eine höhere Bedeutung zuzumessen sei, als den wirtschaftlichen. Dies ist allerdings weder durch den Abkommenswortlaut, noch durch die Rechtsprechung gedeckt. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass das Abkommen weitere Prüfungspunkte vorsieht, wenn der Lebensmittelpunkt nicht bestimmt werden kann oder in keinem der Staaten (Deutschland/Schweiz) eine ständige Wohnstätte besteht. Dann würde der gewöhnliche Aufenthalt oder – falls auch dies kein Ergebnis bringt – die Staatsangehörigkeit über die Ansässigkeit entscheiden. Der zu bestimmende Lebensmittelpunkt ist praktisch aber der bedeutsamste Fall.

  • 5. Überdachende Besteuerung bei ständiger Wohnstätte

Eine Besonderheit des DBA D-CH besteht in der sogenannten „überdachenden“ Besteuerung. Demnach gilt eine Sonderregelung für natürliche Personen, deren Ansässigkeitsstaat die Schweiz ist, die aber noch eine ständige Wohnstätte in Deutschland besitzen oder hier gewöhnlichen Aufenthalt von mindestens sechs Monaten im Kalenderjahr haben. Die überdachende Besteuerung führt zu einer weitgehenden Verlagerung von der Freistellungsmethode zur Anrechnungsmethode, sodass sich oftmals das höhere deutsche Steuerniveau durchsetzt. Allerdings sind hiervon die im Methodenartikel genannten schweizerischen Einkünfte ausgenommen. Die praktisch relevanteste Ausnahme sind schweizerische Lohneinkünfte, sofern die Arbeit auch in der Schweiz ausgeübt wurde. Bei internationaler Tätigkeit findet eine tageweise Aufteilung statt.

  • 6. Übergangsfrist für Einkünfte aus Deutschland

Um steuerlich motivierte Einkünfte abzufangen, wurde im DBA D-CH eine weitere Sonderregelung vorgesehen. Nach Aufgabe der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegen die aus Deutschland stammenden Einkünfte eines Wegzüglers im Jahr des Wegzugs und in den folgenden fünf Jahren weiterhin der deutschen Besteuerung, auch wenn diese grundsätzlich dem Ansässigkeitsstaat Schweiz zustehen würde. Diese Regelung gilt nicht, wenn der Wegziehende in der Schweiz ansässig geworden ist, um dort eine echte unselbständige Arbeit für einen Arbeitgeber auszuüben, an dem er weder unmittelbar noch mittelbar durch Beteiligung oder in anderer Weise wirtschaftlich wesentlich interessiert ist. Bemerkenswerterweise reicht hierfür bereits der Nachweis aus, dass man sich um eine Anstellung in der Schweiz bemüht hat. Eine weitere Ausnahme gilt für Personen, die beim Wegzug die schweizerische Staatsangehörigkeit hatten. Ferner kommt aus Billigkeitserwägungen eine Nichtanwendung in Betracht, wenn der Umzug zeitnah zu der Heirat einer Person mit schweizerischer Staatsangehörigkeit erfolgt. Bei einem Doppelwohnsitz wird allerdings in der Regel auch eine unbeschränkte Steuerpflicht bestehen bleiben, sodass diese Übergangsfrist normalerweise nicht einschlägig sein wird, jedoch beispielsweise bei einer reinen Feriennutzung einer Wohnung in Deutschland anzuwenden sein kann.

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