"Enkeltrick" - zu den Warnpflichten einer Bank

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Das Oberlandesgericht Hamm hat sich in seiner Entscheidung vom 07.08.2024, Az.: 2 O 112/24, mit der Verantwortung von Banken in Fällen von Trickbetrug – speziell dem sogenannten „Enkeltrick“ – beschäftigt. Dabei ging es um die Klage einer Kundin, die von Ihrer Bank Schadensersatz forderte. Die Klägerin trug vor, dass die Bank eine Nebenpflicht verletzt habe, indem sie den ungewöhnlich hohen Betrag von 25.000 € ausgezahlt habe, ohne sie vor möglichen Risiken zu warnen. Letztlich wurde die Klage aber abgewiesen.


Hintergrund: Was war passiert?

Die Klägerin, eine knapp 60-jährige Frau, erhielt einen sogenannten „Schockanruf“. Die Betrüger gaben sich als ihre Tochter und ein Polizist aus und behaupteten, die Tochter habe einen Unfall mit Todesfolge verursacht. Um ihre Tochter aus der Haft zu befreien, müsse die Klägerin eine Kaution von 25.000 € hinterlegen. Diese Geschichte überzeugte die Klägerin. Sie ging zur nächstgelegenen Filiale ihrer Bank, da ihre Stammfiliale geschlossen war.

In der Bank verlangte sie die Auszahlung der 25.000 € in bar, was nahezu ihr gesamtes Guthaben war. Während der gesamten Transaktion blieb die Klägerin mit den Betrügern am Telefon. Nach der Auszahlung übergab sie das Geld an die Betrüger. Später bemerkte sie, dass sie Opfer eines Betrugs geworden war.

Die Klägerin behauptete, sie sei während des Bankbesuchs sichtbar aufgelöst gewesen. Die Bankangestellten hätten das bemerken müssen und sie zumindest nach dem Zweck der hohen Auszahlung fragen sollen.


I. Die rechtliche Frage

Die zentrale Frage war, ob die Bank eine vertragliche Nebenpflicht verletzt hat, indem sie die Auszahlung ohne Nachfrage oder Warnung vorgenommen hat. Konkret ging es darum, ob Banken verpflichtet sind, Kunden vor potenzieller Selbstschädigung zu schützen – insbesondere bei ungewöhnlichen Transaktionen.



II. Das Urteil

Das Gericht entschied zugunsten der Bank. Die wesentlichen Gründe lassen sich wie folgt zusammenfassen:

1. Pflichten der Bank bei Bargeldauszahlungen

Nach deutschem Recht (§ 675o Abs. 2 BGB) ist eine Bank verpflichtet, Zahlungsaufträge ihrer Kunden auszuführen, wenn diese formal korrekt erteilt werden. Im vorliegenden Fall gab es keine Anhaltspunkte, dass der Auftrag der Klägerin ungewöhnlich oder verdächtig war.

  • Die Nervosität oder Aufgelöstheit der Kundin reichte nach Ansicht des Gerichts nicht aus, um eine Pflicht der Bank auszulösen, die Hintergründe der Auszahlung zu hinterfragen.
  • Dass die Kundin bei der Bargeldauszahlung zunächst eine falsche PIN eingegeben hatte, hielt das Gericht auch nicht dafür geeignet, einen Verdacht bei der Bank zu erwecken.

2. Warn- und Hinweispflichten der Bank

Zwar können Banken in Ausnahmefällen Warnpflichten haben, wenn objektive, klare Hinweise auf einen drohenden Schaden vorliegen. Solche Hinweise waren hier jedoch nicht gegeben:

  • Es gab keine äußeren Anzeichen, dass die Klägerin die Auszahlung nicht freiwillig vornehmen wollte.
  • Die Auszahlung war technisch korrekt und entsprach den Vorgaben des Kontovertrags.

3. Vermeidung einer Überlastung von Banken

Das Gericht betonte, dass Banken nicht verpflichtet werden können, jede ungewöhnlich erscheinende Transaktion auf ihre Plausibilität zu überprüfen. Dies würde die Geschäftsabläufe unverhältnismäßig erschweren.

  • Banken müssen eine Balance zwischen dem Schutz der Kunden und der praktischen Durchführbarkeit ihrer Aufgaben finden.
  • Die Tatsache, dass die Kundin nervös oder aufgelöst erschien, reicht allein nicht aus, um eine Warnpflicht der Bank zu begründen.

4. Zeitpunkt des Schadenseintritts

Der Schaden – der Verlust des Geldes – entstand nicht bei der Auszahlung durch die Bank, sondern erst durch die Übergabe des Geldes an die Betrüger.

  • Die inneren Beweggründe der Klägerin für die Abhebung waren für die Bank nicht erkennbar.
  • Es lag keine Pflichtverletzung seitens der Bank vor, da die Auszahlung den vertraglichen Vereinbarungen entsprach.



III. Rechtlicher Rahmen

  • § 675o Abs. 2 BGB: Diese Vorschrift verpflichtet Banken zur Ausführung von Zahlungsaufträgen, solange diese korrekt erteilt werden. Die Bank darf sich auf die formale Richtigkeit des Auftrags verlassen, ohne die Motivation des Kunden zu hinterfragen.
  • Treu und Glauben (§ 242 BGB): In Ausnahmefällen kann Treu und Glauben besondere Prüf- oder Warnpflichten begründen, wenn offensichtliche Verdachtsmomente vorliegen. Das Gericht sah solche Verdachtsmomente im vorliegenden Fall jedoch nicht.



IV. Praktische Konsequenzen für Bankkunden und Banken

1. Für Kunden

  • Kunden sollten sich bewusst sein, dass Banken in der Regel keine Schutzpflichten übernehmen, wenn es um die Motivation von Bargeldabhebungen geht.
  • Bei Unsicherheiten oder ungewöhnlichen Anfragen sollten Kunden selbst wachsam sein und Rücksprache mit Dritten (Familie, Polizei) halten.

2. Für Banken

  • Banken müssen grundsätzlich keine umfassenden Prüfungen oder Nachfragen durchführen, solange keine außergewöhnlichen Umstände vorliegen.
  • Dennoch sollten Mitarbeiter geschult werden, um in klaren Verdachtsfällen sensibel und aufmerksam zu reagieren.



V. Abwägung und Kritik

Das Urteil zeigt die Schwierigkeit, zwischen der Verantwortung der Bank und der Eigenverantwortung der Kunden zu balancieren. Einerseits ist es wichtig, Banken vor übermäßigen Pflichten zu schützen. Andererseits könnten gezielte Schulungen oder einfache Rückfragen in solchen Fällen potenziell Schaden abwenden. Hier einige Aspekte, die kritisch diskutiert werden können:


1. Reicht die bloße formale Prüfung aus?
Banken verlassen sich auf die formale Korrektheit eines Zahlungsauftrags. Kritiker könnten argumentieren, dass dies in Zeiten zunehmender Betrugsmaschen nicht mehr ausreichend ist. Gerade bei hohen Beträgen könnte eine Nachfrage angebracht sein.

2.Grenzen der Verantwortung
Das Urteil verdeutlicht, dass der Schutz vor Betrug letztlich in erster Linie beim Kunden liegt. Diese Eigenverantwortung kann jedoch in Stresssituationen, wie bei Schockanrufen, überfordert sein. Hier wäre eine stärkere Aufklärung über Betrugsmaschen hilfreich.

3. Objektive Verdachtsmomente?
Die Frage, wann „objektive Evidenz“ für einen möglichen Betrug vorliegt, bleibt schwer zu beantworten. In diesem Fall sah das Gericht keine klaren Anzeichen. Kritiker könnten jedoch argumentieren, dass die hohe Summe und das Verhalten der Kundin zumindest eine Rückfrage gerechtfertigt hätten.


VI. Fazit


Das Gericht entschied, dass die Bank keine Pflichtverletzung begangen hat. Die Entscheidung verdeutlicht, dass Banken grundsätzlich keine umfassende Schutzpflicht für Kunden vor Betrugsmaschen wie dem Enkeltrick tragen. Diese Verantwortung liegt vor allem beim Kunden selbst. Dennoch bleibt Raum für Diskussion, ob Banken in bestimmten Situationen mehr Initiative ergreifen sollten, um Kunden vor Schaden zu bewahren.




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