Veröffentlicht von:

Equal pay - BAG 14.12.2010 – Besteht eine rückwirkende Beitragspflicht in der Sozialversicherung?

  • 3 Minuten Lesezeit

Die Spitzenorganisationen der deutschen Sozialversicherungsträger vertreten in einer Pressemitteilung vom 18.03.2011 die Auffassung, dass aufgrund des o.g. Urteils automatisch rückwirkende Beitragspflichten bestehen. Diese Auffassung ist aber nicht ohne Bedenken.

(Pressemitteilung: (http://www.deutsche-rentenversicherung.de/sid_804F8B723F41E57B1A078B973AA9388B.cae03/DRV/de/Inhalt/Presse/Pressemitteilung/2011/2011_3_18_gemeinsame_presseerklaerung.html?nn=28142))

Hintergrund ist die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 14.12.2010 (1 ABR 19/10). Danach ist die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) keine Spitzenorganisation, die in eigenem Namen Tarifverträge abschließen kann. Aus dieser Entscheidung schließen die Spitzenorganisationen der deutschen Sozialversicherungsträger dass alle mit der CGZP geschlossenen Tarifverträge von Anfang an unwirksam seien und deshalb Leiharbeitnehmer genauso bezahlt werden müssten wie die Stammbelegschaft des Betriebs, in dem sie eingesetzt werden. Diese Ansprüche seien zugleich die Bemessungsgrundlage für die zu entrichtenden Sozialversicherungsbeiträge. Die Spitzenorganisationen meinen, dass die Leiharbeitgeber, die die unwirksamen CGZP-Tarifverträge angewendet haben beziehungsweise anwenden, gesetzlich verpflichtet seien, auf Grundlage des „Equal pay"-Anspruches für ihre Beschäftigten Beiträge nachzuzahlen und Entgeltmeldungen und Lohnnachweise entsprechend zu korrigieren.

Diese Ansicht wird nicht einhellig geteilt. Denn es wird inzwischen die begründete Auffassung vertreten, dass die Entscheidung des BAG zunächst nur Auswirkungen für die Zukunft, nicht jedoch für die Vergangenheit hat. Vor diesem Hintergrund müssen im Zusammenhang mit Beitragsforderungen der Sozialversicherungsträger, die für die Vergangenheit geltend gemacht werden, drei Fallkonstellationen unterschieden werden:

  • Der Arbeitgeber ist bereit, einen Anspruch auf höheres Entgelt tatsächlich zu erfüllen, die betroffenen Leiharbeitnehmer erhalten eine Nachzahlung oder
  • Der Leiharbeitnehmer fordert ein höheres Entgelt (ggf. gerichtlich) ein, der Arbeitgeber lehnt die Nachzahlung jedoch ab oder
  • Der Leiharbeitnehmer stellt von sich aus überhaupt keine Nachforderungen.

Im erstgenannten Fall sind die Entgelte selbstverständlich zu verbeitragen. In den beiden anderen Fällen ist folgendes zu beachten:

Ob ein Entgeltanspruch für die Vergangenheit tatsächlich besteht, ist fraglich. Die Entscheidung des BAG gilt nach dem Wortlaut der Entscheidungsgründe ausdrücklich nicht für die Vergangenheit. Solange die fehlende Tariffähigkeit der Gewerkschaft nicht auch für die Vergangenheit in einem speziellen Beschlussverfahren durch ein Arbeitsgericht festgestellt worden ist (§ 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG), sind Arbeitnehmer und Arbeitgeber an den Tarifvertrag gebunden. Die Arbeitsgerichte dürfen die Frage der Tariffähigkeit nicht einmal im Rahmen eines anderweitigen Prozesses klären. Stattdessen müssen sie, wenn die Entscheidung eines Rechtsstreits davon abhängt, ob eine Vereinigung tariffähig ist, das Verfahren bis zur Erledigung des Beschlussverfahrens nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 aussetzen. Solange die fehlende Tariffähigkeit einer Vereinigung nicht für den fraglichen Zeitraum festgestellt wird, bleibt es bei der Bindung an den Tarifvertrag.

Von dieser Rechtslage ausgehend hat z.B. das Arbeitsgericht Freiburg durch Beschluss vom 13.04.2011 ein Verfahren, in dem ein ehemaliger Leiharbeitnehmer gegen den Verleiher auf Zahlung des Lohns vergleichbarer Arbeitnehmer des Entleihers nach dem Lohn- und Gehaltsrahmentarifvertrag für das Schreinerhandwerk in Baden-Württemberg ab 01.01.2007 klagt, ausgesetzt und ausdrücklich betont, dass das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 14.12.2010 die Tarifunfähigkeit der CGZP nicht rückwirkend geklärt habe. Das BAG habe lediglich festgestellt, dass die CGZP gegenwartsbezogen tarifunfähig ist. Auf das Urteil vom 14.12.2010 könnten rückwirkende Entgeltansprüche somit nicht gestützt werden.

(VG Freiburg: http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&Datum=2011&nr=14174&Blank=1)

Was bedeutet dies für die gesetzliche Sozialversicherung?

Der Rechtsgrund für die nachträgliche Erhebung von Beiträgen für nichtgezahlte Entgelte ist das sogenannte Entstehungsprinzip. Maßgebend für die Entscheidung über die Versicherungspflicht, die Beitragspflicht und die Beitragshöhe ist das tariflich geschuldete und nicht lediglich das tatsächlich gezahlte (ggf. niedrigere) Arbeitsentgelt. Es kommt also auf den "entstandenen" Anspruch an (deshalb Entstehungsprinzip). Solange die Tarifunfähigkeit einer Gewerkschaft nicht für die Vergangenheit festgestellt wurde, gelten Tarifverträge weiter und es besteht eben kein Anspruch auf die Nachzahlung von Entgelten, somit auch keine Ansprüche auf höhere Beiträge. Bis zum Beschluss des BAG vom 14.12.2010 wären Klagen auf erhöhte Lohnzahlungen (equal-pay) unbegründet gewesen (diese Auffassung vertreten z.B. Plagemann/Brand in: NJW 2011, 1488). Desgleichen wären rückwirkende Beitragsansprüche unbegründet.

Beitragsforderungen, die sich auf einen Equal-Pay-Anspruch stützen, sollten daher nicht ungeprüft erfüllt werden.

Dieser Beitrag dient zur allgemeinen Information und entspricht dem Kenntnisstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung. Eine individuelle Beratung wird dadurch nicht ersetzt. Jeder einzelne Fall erfordert fachbezogenen Rat unter Berücksichtigung seiner konkreten Umstände. Ohne detaillierte Beratung kann keine Haftung für die Richtigkeit übernommen werden. Vervielfältigung und Verbreitung nur mit schriftlicher Genehmigung des Verfassers.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Peter Koch

Beiträge zum Thema