Gesetzesänderung nach 152 Jahren: Die Maskenpflicht und die Strafjustiz

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278 StGB: Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse

Ärzte und andere approbirte Medizinalpersonen, welche ein unrichtiges Zeugniß über den Gesundheitszustand eines Menschen zum Gebrauche bei einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft wider besseres Wissen ausstellen, werden mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

  1. Januar 1872 „zum Gebrauche bei einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft“

Seit 1872 galt, dass Mediziner sich strafbar machen, wenn sie ein falsches Attest ausstellen, das gegenüber einer Behörde oder einer Versicherungsgesellschaft verwendet wird.

Aktuell wurde die Vorschrift im Rahmen der Maßnahmen zur Eindämmung der SARS-Pandemie (Corona). Es gab über Monate verschiedenste Vorschriften, die das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes vorgeschrieben haben. In der Hochzeit in der kompletten Öffentlichkeit, an Bushaltestellen, in öffentlichen Gebäuden.

Gleichzeitig wurde aber auch, zur Vermeidung der Virusausbreitung, die telefonische Krankschreibung erlaubt.

Es geht nicht um die medizinische Seite, die Frage des Sinns einer solchen Maskenpflicht, insbesondere betreffend FFP-2-Masken. Die stammen aus dem Arbeitsschutz und es gibt sehr genaue Regelungen zur Nutzung. Es sind Schulung erforderlich, die Dauer der Nutzung ist zeitlich begrenzt. Beides war keinerlei Thema, als der Maskenzwang gesetzlich verpflichtend eingeführt wurde.

Es geht heute um die reine Vorschrift. Was ist, wenn ein Mensch mit einem schweren psychischen Trauma, ein Mensch mit Erstickungsängsten aus welchem Grund auch immer, seinem Arzt telefonisch oder per E-Mail sein Leiden schildert – um die Praxen möglichst leer zu halten.

Und der Arzt nimmt den Patienten ernst und erklärt, dass er von aus medizinischen Gründen von der Maskenpflicht zu befreien ist und erstellt ein Attest. Würde der Arzt anders entscheiden, wenn der Patient in seiner Praxis sitzt und ihm sein Trauma schildert? Es handelt sich nicht um eine äußerlich erkennbare Erkrankung oder um eine Erkrankung, die mit bildgebenden Untersuchungen erkennbar wäre.

Wenn der Patient in die Praxis kommt, dann glaubt der Arzt ihm und erklärt die Befreiung. Ist das dann ein falsches Attest? Hier, immerhin, hat sich die Rechtsprechung geäußert und derartige Atteste anerkannt – mittlerweile.

Was aber, weil Pandemiezeit, wenn der Arzt den Patienten nicht persönlich gesehen hat? Nun, dann gibt es zahlreiche Gerichte, viele Staatsanwaltschaften, die von einem falschen Attest, Gesundheitszeugnis sprechen.

Das würde aber ja nur einen Teil des 278, geltend bis November 2021 betreffen. Denn der Arzt müsste ja noch davon ausgehen, dass der Patient das Attest, die Befreiung vom Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes einer Behörde oder eine Versicherungsgesellschaft vorlegt.

Schon der gesunde Menschenverstand würde dies verneinen – nicht aber Juristen und vor allem Gesetzeshüter.

Dort wird argumentiert, dass der Patient bereit sei ein solches Attest bei einer polizeilichen Kontrolle vorzulegen. 

Muss der Arzt davon ausgehen?

Legt wirklich jeder ein solches Attest vor? Jeglicher Protest wurde vehement bekämpft, Bürger, die nur ihre Meinung äußern wollten, wurden eingeschüchtert. Wer gegen auch nur eine Maßnahme etwas gepostet hat, musste mit zahlreichen bösen Kommentaren rechnen, weil er rücksichtslos die Gesundheit der anderen gefährden würde.

Wohnungen wurden durchsucht, wenn der Verdacht bestand, jemand würde eine Impfung nur vortäuschen.

Selbst, wenn einfach nur kritisch hinterfragt wurde, s. Arbeitsschutz). Darf wirklich unterstellt werden, dass ein einfacher Bürger ein solches Attest bei einer behördlichen Kontrolle vorlegen würde?

Ist es nicht wahrscheinlicher, dass der Bürger das Attest für das tägliche Leben verwendet. Einkäufe, Besuch bei Verwandten mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder sogar einfach nur zum Spaziergehen an der frischen Luft?

Das wird zwar bis heute von Staatsanwaltschaften anders beurteilt, aber der Gesetzgeber hatte wohl doch Bedenken an einer solchen Unterstellung.

Darum ist der Gesetzestext, der seit 1872 galt, im Jahr 2021 verändert worden und es ist strafbar ein falsches Attest auszustellen, zur Verwendung im „Rechtsverkehr“. Das bedeutet natürlich alles, der Kaufvertrag, der im Lebensmittelladen geschlossen wird, der Dienstleistungsvertrag im Bus oder beim Friseur.

Damit war der Weg offen, jedem Arzt zu unterstellen, eine Befreiung von der Maskenpflicht von Patienten, die der Arzt nicht gesehen hat, ist falsch und somit strafbar.

Das ist für Ärzte existenzbedrohend. Nicht nur, weil die Gerichte hier gleich zu Freiheitsstrafen gegriffen haben (was der Strafrahmen, Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis 2 Jahren, gar nicht so benennt). Selbst bei der Verhängung einer Geldstrafe kann die Aprobationsüberwachung die Aprobation entziehen. Vor allem, wenn der Vorwurf die Ausübung des ärztlichen Berufs betrifft: beim Attest sicher der Fall. Ärzte unterliegen nicht nur der Aufsicht der Ärztekammer, sondern eben auch der staatlichen Überwachung der Aprobation in Gesundheitsämtern oder Bezirksregierungen.

Und die Patienten?

Wer vor dem 24.11.2021 ein solches Attest schriftlich oder telefonisch erbeten hatte, dem kann – und wird – vorgeworfen werden, dass er den Arzt angestiftet hat, wenn es keinen Nachweis gibt, dass der Patient das Attest einer Behörde gegenüber gezeigt hatte.

Eine Anstiftung zur Befreiung von der Maskenpflicht.

Dieses Konstrukt unterstellt, dass der Patient das Attest gegenüber Behörden (Polizeikontrolle) bereit ist zu verwenden und dass der Arzt den Patienten genauso einschätzt. Den Patienten, dem er kein Attest hätte ausstellen dürfen, weil er ihn nicht gesehen hat, aber dem er eine Gesinnung und eine gewisse Abgebrühtheit unterstellen darf und sogar muss, damit es strafbar ist.

Zudem sagt § 279, dass die Verwendung eines solchen, falschen Attest bis 23.11.2021 vor Behörden und danach im Rechtsverkehr auch eine Straftat darstellt, mit denselben Folgen (Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahre).

Es handelt sich jeweils um denselben Strafrahmen, wie bei einer Beleidigung, ein ganz einfaches Delikt ohne große kriminelle Energie. Und dennoch wurden und werden Bürger zu Freiheitsstrafen verurteilt, die telefonisch oder schriftlich eine Befreiung erbeten haben und eine solche bekommen haben.

Es lohnt sich für alle Beschuldigte in diesem Zusammenhang einen Strafverteidiger zu beauftragen, der mit guten Argumenten den Vorwurf entkräften kann. Solange es - leider- immer noch derartige Strafverfahren gibt.

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Foto(s): Christina Glück

Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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