Gesetzliche Erbfolge: Wer erbt, wenn kein Testament vorhanden ist?
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Kein Testament? Erfahren Sie alles zur gesetzlichen Erbfolge in Deutschland:
Ordnungen, Ehegattenerbrecht & Pflichtteil. Ihr Anwalt für Erbrecht klärt auf!
Gesetzliche Erbfolge:
Wer erbt nach dem Gesetz, wenn kein Testament vorliegt?
Ein Todesfall in der Familie ist emotional belastend. Neben der Trauer müssen sich die Hinterbliebenen oft mit komplexen rechtlichen Fragen auseinandersetzen. Eine der zentralsten Fragen im deutschen Erbrecht lautet:
Wer erbt, wenn der Verstorbene (Erblasser) keine letztwillige Verfügung – also kein Testament oder keinen Erbvertrag – hinterlassen hat?
In diesen Fällen greift die gesetzliche Erbfolge, die im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) detailliert geregelt ist. Doch auch bei vorhandenen, aber unwirksamen oder unvollständigen Testamenten kann sie relevant werden.Dieser Artikel erklärt die Grundprinzipien der gesetzlichen Erbfolge nach deutschem Recht und zeigt auf, wer in welcher Reihenfolge zum Erben berufen ist.Wann kommt die gesetzliche Erbfolge zur Anwendung?
Die gesetzliche Erbfolge tritt immer dann ein, wenn der Erblasser seine Erbfolge nicht oder nicht vollständig durch eine Verfügung von Todes wegen (Testament oder Erbvertrag) geregelt hat. Die häufigsten Fälle sind:
* Kein Testament/Erbvertrag vorhanden: Der Erblasser hat zu Lebzeiten keine Regelung getroffen.
* Unwirksame Verfügung: Ein vorhandenes Testament ist aus formellen oder inhaltlichen Gründen ungültig (z.B. nicht handschriftlich verfasst, Sittenwidrigkeit).
* Angefochtene Verfügung: Eine letztwillige Verfügung wird erfolgreich angefochten.
* Ausschlagung durch testamentarische
Erben: Alle im Testament eingesetzten Erben schlagen die Erbschaft aus (z.B. wegen Überschuldung des Nachlasses).
* Unvollständige Verfügung: Das Testament regelt nur einen Teil des Nachlasses; für den Rest gilt die gesetzliche Erbfolge.
Das System der Ordnungen: Wer erbt in welcher Reihenfolge?
Das deutsche Erbrecht teilt die Verwandten des Erblassers in verschiedene Ordnungen ein (§§ 1924 ff. BGB). Dieses System basiert auf dem Parentelprinzip, d.h. es geht von den Abkömmlingen des Erblassers aus und arbeitet sich dann zu entfernteren Verwandten vor.
Es gilt der Grundsatz: Eine niedrigere Ordnung schließt alle Angehörigen einer höheren Ordnung von der Erbfolge aus. Solange also ein Erbe einer niedrigeren Ordnung vorhanden ist, erben Verwandte höherer Ordnungen nichts.
* Erben der 1. Ordnung (§ 1924 BGB): Abkömmlinge des Erblassers * Dazu zählen Kinder (eheliche, nichteheliche, adoptierte), Enkel, Urenkel usw.
* Repräsentationsprinzip: Ein Kind erbt zu gleichen Teilen. Ist ein Kind bereits vor dem Erblasser verstorben, treten dessen eigene Abkömmlinge (also die Enkel des Erblassers) an seine Stelle und teilen sich dessen Erbteil (Eintrittsprinzip nach Stämmen).
* Beispiel: Erblasser E hinterlässt zwei Kinder, K1 und K2. K1 lebt, K2 ist vorverstorben und hat zwei Kinder (Enkel E1, E2). K1 erbt ½. E1 und E2 teilen sich den Erbteil von K2, erben also jeweils ¼. *
Erben der 2. Ordnung (§ 1925 BGB): Eltern des Erblassers und deren Abkömmlinge
* Sind keine Erben der 1. Ordnung vorhanden, kommen die Eltern des Erblassers und deren Abkömmlinge (Geschwister, Neffen/Nichten des Erblassers) zum Zug.
* Leben beide Elternteile noch, erben sie zu gleichen Teilen (je ½).
* Ist ein Elternteil vorverstorben, treten dessen Abkömmlinge (also die Geschwister bzw. Halbgeschwister des Erblassers) an seine Stelle nach den Regeln der 1. Ordnung.
* Sind beide Eltern vorverstorben, erben deren Abkömmlinge (Geschwister, Neffen/Nichten etc.).
* Beispiel: E hinterlässt keine Kinder. Sein Vater V lebt, seine Mutter M ist vorverstorben. M hatte neben E noch eine Tochter S (Schwester von E). V erbt ½. S erbt als Abkömmling von M deren Hälfte, also ebenfalls ½.
* Erben der 3. Ordnung (§ 1926 BGB): Großeltern des Erblassers und deren Abkömmlinge
* Gibt es weder Erben der 1. noch der 2. Ordnung, erben die Großeltern und deren Abkömmlinge (Onkel/Tanten, Cousins/Cousinen des Erblassers).
* Es erben zunächst die vier Großelternteile zu je ¼.
* Ist ein Großelternteil vorverstorben, treten dessen Abkömmlinge an seine Stelle. Sind von einem Großelternpaar beide Teile verstorben und haben keine Abkömmlinge hinterlassen, fällt deren Anteil dem anderen Großelternpaar bzw. dessen Abkömmlingen zu.
Erben der 4. Ordnung (§ 1928 BGB) und weitere Ordnungen (§ 1929 BGB):
* Hierzu zählen die Urgroßeltern und deren Abkömmlinge usw.
* Ab der 4. Ordnung gilt nicht mehr das Eintrittsrecht nach Stämmen, sondern das Gradualsystem: Derjenige erbt, der dem Grad nach am nächsten mit dem Erblasser verwandt ist.
* Diese Ordnungen kommen in der Praxis seltener zum Tragen.
* Staatliches Erbrecht (§ 1936 BGB):
* Finden sich keine Verwandten der genannten Ordnungen und auch kein Ehegatte/Lebenspartner, erbt der Staat (das Bundesland, in dem der Erblasser seinen letzten Wohnsitz hatte). Der Staat kann die Erbschaft nicht ausschlagen, haftet aber nur beschränkt für Nachlassverbindlichkeiten.Das gesetzliche Erbrecht des Ehegatten / Eingetragenen Lebenspartners (§ 1931 BGB)Der überlebende Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner hat ein eigenes gesetzliches Erbrecht, das neben dem Erbrecht der Verwandten besteht.
Die Höhe seines Erbteils hängt davon ab, welche Verwandten welcher Ordnung neben ihm erben:
Neben Verwandten der 1. Ordnung (Kinder, Enkel): Der Ehegatte erbt ¼ des Nachlasses.
Neben Verwandten der 2. Ordnung (Eltern, Geschwister) oder neben Großeltern: Der Ehegatte erbt ½ des Nachlasses.
* Sind weder Verwandte der 1. oder 2. Ordnung noch Großeltern vorhanden:
Der Ehegatte erbt die gesamte Erbschaft.
Wichtig: Einfluss des Güterstandes auf den Erbteil des Ehegatten!Die oben genannten Quoten können sich durch den ehelichen Güterstand erhöhen!
Zugewinngemeinschaft (gesetzlicher Güterstand): Lebten die Ehegatten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft (was der Regelfall ist, wenn kein Ehevertrag geschlossen wurde), erhöht sich der gesetzliche Erbteil des überlebenden Ehegatten pauschal um ein weiteres ¼ (§ 1371 Abs. 1 BGB).
Folge: Neben Erben 1. Ordnung erbt der Ehegatte dann ¼ + ¼ = ½.
Folge: Neben Erben 2. Ordnung oder Großeltern erbt der Ehegatte dann ½ + ¼ = ¾. *
Gütertrennung: Hier gilt die Regelung des § 1931 Abs. 4 BGB. Neben einem oder zwei Kindern erbt der Ehegatte zu gleichen Teilen wie die Kinder (also bei einem Kind je ½, bei zwei Kindern je ⅓). Bei drei oder mehr Kindern bleibt es beim gesetzlichen Erbteil von ¼. Die pauschale Erhöhung nach § 1371 BGB entfällt. * Gütergemeinschaft: Hier gehört dem Ehegatten ohnehin bereits die Hälfte des Gesamtgutes. Er erbt dann nach den allgemeinen Regeln des § 1931 BGB aus der anderen Hälfte (dem Anteil des Verstorbenen am Gesamtgut) – die Erhöhung nach § 1371 BGB entfällt ebenfalls.
Voraussetzungen für das Ehegattenerbrecht: Die Ehe bzw. eingetragene Lebenspartnerschaft muss zum Zeitpunkt des Erbfalls bestanden haben. Hatte der Erblasser die Scheidung beantragt oder ihr zugestimmt und waren die Voraussetzungen für die Scheidung gegeben, entfällt das gesetzliche Erbrecht (§ 1933 BGB).Der "Voraus" des Ehegatten (§ 1932 BGB): Zusätzlich zu seinem Erbteil erhält der überlebende Ehegatte die zum ehelichen Haushalt gehörenden Gegenstände (Möbel, Geräte etc.) und die Hochzeitsgeschenke als sogenannten "Voraus".
Neben Erben der 1. Ordnung jedoch nur, soweit er sie zur Führung eines angemessenen Haushalts benötigt.Warum eine individuelle Regelung oft sinnvoll istDie gesetzliche Erbfolge stellt zwar eine klare Regelung dar, entspricht aber oft nicht den individuellen Wünschen und Bedürfnissen des Erblassers oder den familiären Gegebenheiten. Häufige Nachteile sind:
Ungewollte Erbengemeinschaften: Mehrere gesetzliche Erben bilden eine Erbengemeinschaft, die den Nachlass gemeinsam verwalten und auseinandersetzen muss. Dies birgt erhebliches Konfliktpotenzial.
Fehlende Versorgung bestimmter Personen: Der Lebensgefährte ohne Trauschein geht leer aus, Stiefkinder erben nicht automatisch.
Zerschlagung von Vermögenswerten: Um die Erbteile auszuzahlen, müssen oft Immobilien oder Unternehmen verkauft werden.
Steuerliche Nachteile: Die gesetzliche
Erbfolge berücksichtigt keine erbschaftsteuerlichen Optimierungen.Durch ein Testament oder einen Erbvertrag können Sie von der gesetzlichen Erbfolge abweichen und selbst bestimmen, wer Ihr Vermögen erhalten soll. Sie können Erben einsetzen, Vermächtnisse anordnen, Testamentsvollstreckung anordnen oder Teilungsanordnungen treffen, um Streit zu vermeiden.
Haben Sie Fragen zur gesetzlichen Erbfolge oder möchten Sie Ihre eigene Nachfolge individuell gestalten?Die gesetzliche Erbfolge ist komplex und berücksichtigt Ihre persönlichen Wünsche nicht.
Eine frühzeitige und fundierte Planung durch ein Testament oder einen Erbvertrag schafft Klarheit, vermeidet Streit und sichert Ihr Vermögen für die nächste Generation.
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FAQ – Häufig gestellte Fragen zur gesetzlichen Erbfolge
* F: Was passiert, wenn es gar keine Verwandten und keinen Ehegatten gibt? * A: In diesem seltenen Fall erbt das Bundesland, in dem der Erblasser seinen letzten Wohnsitz hatte (Fiskalerbrecht gemäß § 1936 BGB).
* F: Erben Stiefkinder oder Schwiegerkinder nach der gesetzlichen Erbfolge?
* A: Nein. Stiefkinder und Schwiegerkinder sind mit dem Erblasser nicht verwandt und haben daher kein gesetzliches Erbrecht. Sie können nur durch ein Testament oder einen Erbvertrag bedacht werden. Eine Ausnahme besteht, wenn der Erblasser das Stiefkind adoptiert hat.
* F: Erbt mein nichtehelicher Lebenspartner? *
A: Nein. Unverheiratete Lebenspartner haben kein gesetzliches Erbrecht, unabhängig davon, wie lange die Beziehung gedauert hat. Eine Absicherung ist nur über Testament oder Erbvertrag möglich. *
F: Was ist mit Schulden? Werden die auch vererbt? *
A: Ja, Erben treten nicht nur in die Rechte, sondern auch in die Pflichten des Erblassers ein. Sie erben das Vermögen, aber auch die Schulden. Ist der Nachlass überschuldet, können die Erben die Erbschaft innerhalb einer Frist von 6 Wochen ausschlagen (§ 1944 BGB).
F: Mein Onkel ist kinderlos verstorben, seine Eltern leben nicht mehr. Er war nicht verheiratet. Wer erbt? *
A: Hier greifen die Erben der 2. Ordnung. Da die Eltern (als primäre Erben der 2. Ordnung) vorverstorben sind, treten deren Abkömmlinge an ihre Stelle. Das sind die Geschwister des Onkels (Ihre Eltern bzw. weitere Onkel/Tanten) oder, falls diese auch verstorben sind, deren Kinder (Sie und Ihre Cousins/Cousinen).
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