Grob fahrlässige Herbeiführung eines Leitungswasserschadens

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Ausnahmsweise vollständiger Verlust des Versicherungsschutzes bei Leitungswasserschaden

Mit einem jetzt veröffentlichten Urteil vom 27.04.2012 (I-20 U 144/11) hat das OLG Hamm weiter zur Klärung der Frage von Obliegenheitsverletzungen im Bereich der Sachversicherungen beigetragen.

Das Problem ist das folgende: Es ist insbesondere im Sachversicherungsbereich üblich, dass der Versicherer in den Versicherungsbedingungen Verhaltenspflichten für den Versicherungsnehmer definiert, bei deren Nichteinhaltung der Versicherungsschutz berührt wird. Während nach altem Recht bei Vorliegen einer Verletzung vertraglicher Obliegenheiten der Versicherungsschutz vollständig verloren wurde, ordnet das neue Versicherungsvertragsgesetz für Versicherungsfälle ab dem 01.01.2009 an, dass die Leistung nur quotal entsprechend dem Grad des Verschuldens gekürzt werden soll.

Problematisch wird diese gesetzliche Umstellung dadurch, dass viele Versicherer von der eingeräumten Möglichkeit, ihre Versicherungsbedingungen der neuen Gesetzeslage anzupassen, nicht oder nur ungenügend Gebrauch gemacht haben. Bereits mit der Entscheidung vom 12.10.2011 (IV ZR 199/10) hat der BGH entschieden, dass der Versicherer gehindert ist, sich bei fehlender Umstellung eines Altvertrags auf die Verletzung einer vertragliches Obliegenheit zu berufen. Möglich bliebe nur die Möglichkeit aus der Verletzung einer gesetzlichen Obliegenheit - wie z.B. der vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls oder der Regelungen zur Gefahrerhöhung - ein Kürzungsrecht herzuleiten. Mehrere Obergerichte haben basierend auf dieser Rechtsprechung schon entschieden, dass dies grundsätzlich auch bei einer nicht ordnungsgemäßen Umstellung der Vertragsbedingungen gelten soll.

Das nunmehr vorliegende Urteil zeigt allerdings für eines der Hauptproblemfelder - nämlich die Leitungswasserversicherung - dass mit dieser Rechtsprechung nicht zwingend eine Besserstellung des Versicherungsnehmers verbunden ist, sondern dass - abhängig von den Geschehnissen des Einzelfalls - auch ein vollständiger Verlust des Versicherungsschutzes möglich sein kann.

In dem zu entscheidenden Sachverhalt hatte der Kläger bei der beklagten Versicherungsgesellschaft eine verbundene Wohngebäudeversicherung abgeschlossen, die auch das Risiko eines Leitungswasserschadens mit beinhaltete. Der Vertrag war vor dem 01.01.2008 geschlossen worden, bedurfte also der Umstellung durch den Versicherer. Grundlage des Vertrags waren die Allgemeinen Versicherungsbedingungen VGB 88, die in § 11 Nr. 2 Satz 1 bis 3 (sanktionierte) Verhaltensregeln für unbenutzte Gebäude entsprechend der Witterungsbedingungen zu beheizen oder alle wasserführenden Leitungen zu entleeren und abzusperren.

Das Gebäude wurde von dem Kläger im März 2008 erworben und renoviert. Die Wasserleitungen des Hauses entleerte er nicht, weil er eine im Keller befindliche Kaltwasserleitung zum Betrieb der auf dem gleichen Grundstück befindlichen Waschanlage benötigte. Anfang 2009 kam es zu Nachttemperaturen von teilweise -10 Grad, die zu Frostaufbrüchen an der Wasserleitung der Waschanlage, der hierzu gehörenden Wasseruhr, dem Wasserkessel und mehreren Heizkörpern. Die Beklagte berief sich auf eine Verletzung der vertraglichen Obliegenheiten. Diese Begründung hat das OLG Hamm mit seiner Entscheidung zurückgewiesen. Da der Versicherer die von ihm verwandten Versicherungsbedingungen nicht umgestellt hatte, war ihm ein Berufen auf die vertraglichen Obliegenheiten verwehrt. Im Ergebnis wies das Gericht die Klage jedoch ab, weil es in dem Verhalten des Versicherungsnehmers eine grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls erkannte.

Nach Ansicht des Senats - und dies dürfte nach den Hinweisen des BGH in dem oben genannten Urteil auch der Einschätzung des BGH entsprechen - kann es eine grobe Fahrlässigkeit darstellen, wenn man bei Minustemperaturen ein unbewohntes Gebäude nicht beheizt und auch die wasserführenden Leitungen nicht entleert. Gleichzeitig dürfte man auch verpflichtet sein, bei Anlass - also in einer Frostperiode - regelmäßig die Immobilie zu überprüfen. Wird diesen Anforderungen nicht genügt, so kann sich daraus ein Recht des Versicherers herleiten, die Versicherungsleistung zu kürzen. Aufgrund der Tatsache, dass der Kläger in seiner persönlichen Anhörung vor dem Landgericht eingeräumt hatte, dass er vor dem Schadenfall mit Dritten über die Notwendigkeit von Sicherungsmaßnahmen zur Vermeidung von Frostschäden gesprochen hatte, das Risiko also kannte, und dann trotz einer längeren Frostperiode keinerlei Sicherungsmaßnahmen unternahm. Darin sah der Senat eine grobe Fahrlässigkeit eines solchen Ausmaßes, dass sie „dem Vorsatz praktisch gleichstehend" zu bewerten sei. Dem folgend, kürzte der Senat die Versicherungsleistung um 100%, so dass der Kläger im Endeffekt keine Leistungen erhielt.

Die Entscheidung ist im Hinblick auf die Einlassungen des Klägers sicher eine reine Einzelfallentscheidung, da eine „normale" grobe Fahrlässigkeit in der Regel zu einer Kürzung von maximal 50% berechtigen dürfte. Hier kommt dann viel auf die konkreten Umstände des Einzelfalls und die Darstellung der Umstände im Klageverfahren an.

Beendet sein dürfte allerdings die akademische Diskussion, ob eine Kürzung „auf Null" überhaupt vom Gesetz gedeckt ist, oder ob eine Restleistung verbleiben muss. Alle Entscheidungen der jüngeren Zeit deuten darauf hin, dass die Rechtsprechung eine Kürzung auf Null akzeptiert.

Heiko Effelsberg, LL.M.

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Versicherungsrecht


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