Hausdurchsuchung bei Temposünde/Bußgeld? Grundsätzlich möglich, aber mit Augenmaß!

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Gerichte dürfen zur Aufklärung von Ordnungswidrigkeiten aus dem Straßenverkehrsbereich Hausdurchsuchungen bei den Betroffenen anordnen. Das gilt jedoch nicht ausnahmslos. Vielmehr müssen die Gerichte – wie alle staatlichen Organe – dabei den sogenannten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten und nicht nur das staatliche Verfolgungsinteresse.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) verwies die ausufernde Hausdurchsuchungsfreude der Fachgerichte nun in ihre Schranken. Gegen einen Betroffenen, der als Verdächtiger einer Geschwindigkeitsüberschreitung galt, ordnete das Amtsgericht Reutlingen innerhalb von zwölf Tagen gleich zwei Hausdurchsuchungen an. Dem bisher nicht durch Verkehrsverstöße aufgefallenen Kraftfahrer wurde vorgeworfen, außerorts die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 30 km/h überschritten zu haben (100 statt 70 km/h). Eine konkrete Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer gab es nicht. Ein Fahrverbot stand nicht in Rede, sondern lediglich ein Bußgeld in Höhe von 80 Euro.

Der Betroffene berief sich auf sein Schweigerecht. Er teilte bloß mit, der Motorradfahrer sei auf dem qualitativ hochwertigen Bild gar nicht zu identifizieren. Das Gericht wollte durch die Hausdurchsuchungen die auffällige Schutzbekleidung des Betroffenen auffinden und beschlagnahmen lassen. Beide Hausdurchsuchungen blieben in dieser Hinsicht erfolglos. Verurteilt wurde der Betroffene am Ende aufgrund eines anthropologischen Sachverständigengutachtens. Dieses ergab, dass der Betroffene zu 95 bis 99 Prozent mit der Person auf dem Blitzerfoto übereinstimmte.

Die Hausdurchsuchungen waren unverhältnismäßig und verletzten den Motorradfahrer in seinen Grundrechten, stellte das BVerfG nun fest. Zwar lagen die übrigen Voraussetzungen eines Hausdurchsuchungsbeschlusses vor: Tatverdacht sowie Geeignetheit und Wahrscheinlichkeit der Aufklärung infolge der zu erwartenden Durchsuchungsergebnisse. Jedoch konnte im Rahmen einer ergebnisoffenen Abwägung keine Angemessenheit dieses schweren Eingriffs in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der eigenen Wohnung festgestellt werden.

Eine außerörtliche Geschwindigkeitsüberschreitung von 30 km/h sei zwar keine Bagatelle. Es liege aber darin keine „beträchtliche“ Geschwindigkeitsüberschreitung schon gar kein schwerwiegender, besonders gefährlicher Verkehrsverstoß. Für das Gericht habe es naheliegen müssen, dass angesichts der guten Qualität des Beweisfotos die Einholung eines anthropologischen Sachverständigengutachtens – das letztlich Grundlage der Verurteilung wurde – als erheblich milderes Mittel zur Überführung der Hausdurchsuchung vorzuziehen war. Auch stünden die Tatsachen, dass ein Fahrverbot nicht im Raum stand, es sich um einen Ersttäter handelte und es lediglich um 80 Euro Bußgeld ging, also eine Geschwindigkeitsüberschreitung am unteren Rand, außer Verhältnis zum Eindringen in grundrechtlich besonders geschützte Privaträumlichkeiten. Dabei sei nicht zuletzt zu berücksichtigen, dass am Ende eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens lediglich eine „ernsthafte Pflichtenermahnung“ in Gestalt eines Bußgeldes steht, keine Strafe. Stets wiege der Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit weniger, als der Verdacht einer Straftat. Es bestehe ein herabgesetztes staatliches Verfolgungsinteresse (BVerfG, Beschluss vom 14.07.2016, 2 BvR 2748/14).

Der zuvor geschilderte Sachverhalt wirft ein bezeichnendes Schlaglicht auf den laxen Umgang von Gerichten mit Grundrechten. Für „Verkehrssünder“ bedeutet dieser Beschluss der Grundgesetzhüter allerdings keinen Freifahrtschein. Denn eine Abwägung der obengenannten sowie weiterer Gesamtumstände des Einzelfalls kann selbstverständlich die Angemessenheit einer Hausdurchsuchung begründen. Für die Praxis des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts ist der Beschluss aus Karlsruhe vor allem für solche Fälle interessant, in denen der gerichtlichen Überbetonung des staatlichen Verfolgungsinteresses dringend Grenzen zu setzen sind.


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