Hunderecht – Leinenzwang für Hunde

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Leinenzwang für Hunde: Mit dem Tierschutzgesetz vereinbar?

§ 2 des deutschen Tierschutzgesetzes besagt, dass derjenige, der ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, dieses seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen muss und die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken darf, dass diesem Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden. Nach Artikel 20a des Grundgesetzes schützt der Staat überdies die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.

Leider hält sich nicht jeder Tierhalter an diese Vorgaben, indem er mit seinem Tier verantwortungslos umgeht oder es bewusst quält. Aber auch staatliche Institutionen kommen ihrem verfassungsmäßigen Auftrag nicht nach, die Tiere entsprechend zu schützen. Das gilt für den Gesetzgeber ebenso wie für Verwaltungen und die Gerichte.

Beispielhaft zeigt das ein Fall der Stadt Hannover, auf den ich hier eingehen möchte:

Die Normgeber der Landeshauptstadt haben nämlich – im Gegensatz zu den meisten anderen Kommunen der Region – in ihrer Hundeverordnung (nachfolgend VO) einen sehr restriktiven Leinenzwang festgelegt, der es dem hundehaltenden Bürger so gut wie unmöglich macht, seinen Hund artgerecht i. S. d. Tierschutzgesetzes zu halten.

Zwar könnte man beim oberflächlichen Lesen der VO meinen, der Leinenzwang beschränke sich nur auf bestimmte Bereiche der Stadt. Hierfür hätte bestimmt jeder Hundehalter Verständnis, würde es sich dabei um Einkaufszentren, Kindertagesstätten, Schulen, Spielplätze oder ähnlich zentral frequentierte Orte handeln. Aber nicht nur diese Plätze sind mit einem Leinengebot belegt worden, vielmehr gleich der gesamte Bereich des Stadtbezirks Mitte, ohne jegliche Ausnahmen. Und selbst dabei hat es nicht sein Bewenden. Darüber hinaus nimmt die Stadt den Hundehaltern die Möglichkeit, wenigstens außerhalb des mit einer speziellen Karte ausgewiesenen Bereichs ihren Hunden artgerechten Auslauf zu bieten.

Die VO belegt nämlich noch alle Grünanlagen im Sinne der Straßen- und Grünanlagenverordnung mit einem Leinengebot. Hierzu zählt dann jede noch so kleine Rasenfläche im Stadtgebiet. Und spätestens hier zeigt sich, dass der Leinenzwang in Hannover faktisch einem generellen Leinenzwang gleichkommt. Denn in allen Grünanlagen, wo Hunde einmal ihrem Freiheitsdrang nachkommen könnten, ist dies nicht erlaubt. Die ausgewiesenen Flecken, die sich so schön „Hundefreilaufflächen“ nennen, sind ganz rar gesät und von nur geringem Ausmaß und Wert. Mathematisch gesehen beträgt die Gesamtfläche der Hundeauslaufflächen im Gebiet Hannovers gerade einmal 0,1 Prozent des Stadtgebietes, geht man von den seitens der Stadtverwaltung bezifferten 250.000 qm Auslaufflächen bei einer Gesamtgebietsfläche der Stadt von 204.000.000 qm aus.

Eine Konzentration aller Hunde des Stadtgebietes auf diese „Freilaufflächen“ würde nicht funktionieren, da sich die Gesamtpopulation an Rüden und Hündinnen, ohne sich dort ausweichen zu können, nicht mehr friedfertig gegenüberstehen könnten.

Überlegt dann der z. B. in der Stadtmitte Hannovers wohnende Hundehalter, wo er sein Tier überhaupt noch freilaufen lassen kann, kommt er zu dem Ergebnis, dass dies eigentlich nur auf den außerhalb der kartografisch bezeichneten Fläche liegenden Straßen und Gehwegen der Fall ist, also im Straßenverkehrsbereich. Welcher verantwortungsbewusste Hundehalter wird aber sein Tier in einer solchen Gefahrenzone frei laufen lassen, geschweige denn dort mit ihm spielen, es ausbilden oder mit anderen Artgenossen toben lassen? Dies hätten die normgebenden Organe der Landeshauptstadt Hannover doch sehen müssen!

Ein so vorgegebener Leinenzwang auf allen Grün- und Parkanlagen und die damit verbundene dauernde Einschränkung für den Hund, seinem Bewegungsbedürfnis nachzukommen oder – ohne Stress – die arttypische Kommunikation mit anderen Hunden aufzunehmen, hat Verhaltensfehlentwicklungen zur Folge, die als Schäden i. S. d. Tierschutzgesetzes anzusehen sind.

Durch die fehlende Befriedigung des Bewegungsbedürfnisses kommt es zum Sinken der Reizschwelle. Hunde, die sich ausschließlich an der Leine bewegen dürfen, werden somit in jedem Fall gefährlicher als Hunde, die sich ausreichend bewegen dürfen. Es ist daher damit zu rechnen, dass der Anteil der Vorfälle mit Hunden durch den Leinenzwang im Gebiet der Landeshauptstadt eher steigt als sinkt, wobei voraussichtlich in erster Linie Bissvorfälle in der eigenen Familie, die ja auch jetzt schon den größten Anteil an Bissvorfällen ausmachen, gehäuft auftreten werden.

Führende Kynologen haben wissenschaftlich bestätigt, dass die Aggressionsbereitschaft von Hunden, die an der Leine geführt werden, höher ist als bei freilaufenden Hunden. Dies hat zum einen seinen Grund darin, dass Hunde, die durch die Leine festgehalten werden, weniger Möglichkeit haben, einer für den Hund bedrohlich erscheinenden Annäherung durch andere Hunde, Menschen oder Objekte auszuweichen. Bei zu starker Annäherung kann es dadurch zu ansonsten vermeidbarer Verteidigungsaggression kommen. Zum anderen fühlen sich Hunde, die an der Leine geführt werden, durch den Besitzer am anderen Ende der Leine gestärkt. Das kann im Einzelfall dazu führen, dass sie eine Auseinandersetzung mit einem anderen Hund, der sie aus Gründen der Selbsterhaltung an sich ausweichen würden, annehmen, was wiederum eine vermeidbare Gefahrensituation zur Folge hat.

Es würde also durch stets angeleinte Hunde die Gefahr eines Vorfalls sogar erst provoziert werden. Der Leinenzwang ist deshalb für den eigentlichen Zweck, Gefahren unterbinden zu sollen, das ungeeignete Mittel (so auch Prof. Dr. Hansjoachim Hackbarth, Institut für Tierschutz und Verhalten an der Tierärztlichen Hochschule Hannover sowie die Fachtierärztin für Verhaltenskunde, Frau Dr. Feddersen-Petersen, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel).

Des Weiteren ist es so, dass Hunde hochsoziale Lebewesen sind, die durch den Leinenzwang daran gehindert werden, sich in artgemäßer Weise mit anderen Hunden auseinander zu setzen. Imponiergesten, Umeinanderlaufen, Anal- und Nasalkontrolle, Sozialspiele etc. werden erschwert bzw. ganz unmöglich gemacht. Hunde müssen lernen, miteinander umzugehen. Wie sollen sie das, wenn sie die Leine daran hindert? Der hier verordnete Leinenzwang verstößt somit gegen das Erfordernis einer artgerechten Haltung.

Die Politiker sollten aufhören, den seit Jahrhunderten treusten Begleiter des Menschen als potenten Angreifer zu diffamieren und ihn „von oben“ an die Leine legen zu wollen. In einer Veröffentlichung aus dem Jahre 1997 kommt sogar der Deutsche Städtetag zu dem Schluss: „Nach wie vor gilt die Feststellung, dass der immer wieder – namentlich durch Berichte der Medien – zu verzeichnende Eindruck, Hunde in Deutschland seien zu einem hohen Anteil gefährlich, aufgrund der tatsächlichen Zahlen der Vorfälle nicht zutrifft.“

Der verantwortungsvolle Hundehalter – und der ist die Regel – wird seinen Hund in entsprechenden Situationen bereits selbst und aus eigener Verantwortung für andere und sein eigenes Tier anleinen, wenn es die Umstände erfordern. Die schwarzen Schafe, also diejenigen, die sich an eine ordnungsgemäße Tierhaltung nicht halten und die es in allen Bevölkerungsschichten gibt, können in ausreichender Weise mit Maßnahmen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts belegt werden.

Schade, dass auch die Gerichtsbarkeit – als eigentlich unabhängiges Kontrollorgan – oft voreingenommen reagiert, wenn Leinenverordnungen zur Prüfung anstehen. Wenn sich z. B. Amtsrichter von freilaufenden Hunden bei einem Spaziergang im Georgengarten bedroht fühlen, kann das Urteil für die Hunde ja nur heißen: An die Leine!


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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