ISA (DE) 240 betreffend die Verantwortlichkeiten des Abschlussprüfers bei dolosen Handlungen

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Der „International Standard on Auditing“  ISA (DE) 240 betreffend die Verantwortlichkeiten des Abschlussprüfers bei dolosen Handlungen gilt erstmals für die Prüfung von Abschlüssen nach dem 15. Dezember 2020. Eine freiwillige vorzeitige Anwendung ist möglich. Die Prüfung gilt für Bilanzen, die nach dem 15.12.2009 beginnen, ISA (DE) 240, Rdnr. 10.

Der Standard ISA 240 ist im Hinblick auf Risiken wesentlicher falscher Darstellungen aufgrund von dolosen Handlungen anzuwenden (ISA (DE) 240, Anwendungsbereich, 1.1).

Merkmale doloser Handlungen

Zwei Arten von absichtlich falschen Darstellungen sind relevant: Solche, die aus Manipulationen der Rechnungslegung resultieren, und solche, die sich aus Vermögensschädigungen ergeben, ISA (DE) 240, Rdnr. 3. Die vorrangige Verantwortlichkeit für die Verhinderung und Aufdeckung doloser Handlungen liegt sowohl bei den für die Überwachung der Einheit Verantwortlichen als auch bei Management. Die Aufsicht schließt die Würdigung der Möglichkeit ein, dass Kontrollen außer Kraft gesetzt werden oder anderweitig unangemessener Einfluss auf den Rechnungslegungsprozess genommen wird, ISA (DE) 240, Rdnr. 4. Die Fähigkeit des Abschlussprüfers, eine dolose Handlung aufzudecken, hängt u. a. von der Geschicklichkeit des Verursachers, der Häufigkeit und dem Umfang der Manipulation und dem Grad diskursiver Kollusionen und Kollisionen in den Stellungen der Informationshierarchien ab, sinngemäß nach ISA (DE) 240, Rdnr. 6.

Risikofaktoren für dolose Handlungen sind Ereignisse und Gegebenheiten, die auf einen Anreiz oder Druck zum Begehen doloser Handlungen hindeuten oder eine Gelegenheit zum Begehen doloser Handlungen bieten, ISA (DE) 240, Verantwortlichkeiten des Abschlussprüfers bei dolosen Handlungen (WPg vom 15.05.2020, Seite 542). Ein derartiger Anhaltspunkt ist ein wichtiges Erkenntnismittel, weil Irrtümer häufig leichter aufgedeckt werden als tatsächlich absichtliche Täuschungen. Umso auffälliger ist eine potenzielle Notsituation als Täuschungsmotiv.

Der Abschlussprüfer kann zusätzliche Verantwortlichkeiten in Bezug auf die Reaktion auf identifizierte oder vermutete Verstöße gegen Rechtsvorschriften einschließlich der spezifischen Kommunikation mit dem Management und den Verantwortlichen haben, ISA (DE) 240, Rdnr. 9. Beachtlich sind neben den Rechtsvorschriften auch relevante berufliche Verhaltensanforderungen, ISA (DE) 240, Rdnr. 9.

Ziele

Die Ziele des Prüfers bestehen darin, die Risiken wesentlicher falscher Darstellungen im Abschluss aufgrund doloser Handlungen zu identifizieren und zu beurteilen, ferner, durch die Planung und Umsetzung angemessener Reaktionen ausreichende geeignete Prüfungsnachweise für den Nachweis doloser Handlungen zu erlangen, ISA (DE) 240 (Rdnr. 11).

Definitionen

Eine dolose Handlung ist eine absichtliche Handlung aus dem Kreis des Managements oder der für die Überwachung Verantwortlichen, wobei durch die Täuschung ein ungerechtfertigter oder rechtswidriger Vorteil erlangt werden soll, ISA (DE) 240, Rdnr. 12. Der Prüfer trifft keine rechtlichen Feststellungen zu der Frage, ob tatsächlich dolose Handlungen stattgefunden haben, ISA (DE) 240, Rdnr. 3.

Anforderungen

Zu den Anforderungen an den Prüfer gehört eine kritische Grundhaltung, ISA (DE) 240, Rdnr. 14. Wenn Antworten des Managements oder des Verantwortlichen inkonsistent sind, so sind die Inkonsistenzen zu untersuchen, ISA (DE) 240, Rdnr. 15.

ISA 315 erfordert die Überprüfung der Möglichkeit doloser Handlungen. ISA (DE) 240, Rdnr. 16.

Die Durchführung von Prüfungshandlungen zur Risikobeurteilung erfolgt nach den Vorgaben in den Teilziffern A 18–A 25, ISA (DE) 240, Rdnr. 17. Zunächst ist nach der Beurteilung der Risiken doloser Handlungen durch das Management zu fragen. Weiter ist nach den Gesichtspunkten zu fragen, bei denen wahrscheinlich ein Risiko doloser Handlungen besteht. Prüfungsgegenstand ist die Kommunikation des Managements gegenüber den Mitarbeitern und dessen Ansichten zu ethischem Verhalten, ISA (DE) 240, Rdnr. 18.

Die Auswirkungen von vermuteten oder behaupteten dolosen Handlungen auf die Einheit sind ebenfalls festzustellen.

Bei Vorliegen einer internen Revision sind geeignete Personen innerhalb dieser Einheit zu befragen, ISA (DE) 240, Rdnr. 20.

Zu beurteilen sind ebenfalls ungewöhnliche und unerwartete Verhältnisse, ISA (DE) 240, Rdnr. 23. Auch weitere Informationen sind daraufhin zu würdigen, ob Risiken wesentlicher falscher Darstellungen aufgrund von dolosen Handlungen bestehen, ISA (DE) 240, Rdnr. 24.

Der Abschlussprüfer hat zu beurteilen, ob die bei den anderen Prüfungshandlungen zur Risikobeurteilung und damit zusammenhängenden Tätigkeiten erlangten Informationen darauf hindeuten, dass ein oder mehrere Risikofaktoren für dolose Handlungen vorliegen, ISA (DE) 240, Rdnr. 25.

Bei der Identifizierung von Risiken falscher Darstellungen hat der Abschlussprüfer von der Vermutung auszugehen, dass bei der Umsatzrealisierung Risiken doloser Handlungen bestehen, und zu beurteilen, welche Umsatzarten, welche umsatzrelevanten Geschäftsvorfälle oder Aussagen solche Risiken zur Folge haben. Vorgeschrieben ist dafür die in Randnummer 48 die erforderliche Dokumentation, ISA (DE) 240, Rdnr. 26.

Folge: Sind Risiken gegeben, so spricht eine tatsächliche Vermutung für eine falsche Darstellung des Umsatzes.

Bei den beurteilten Risiken wesentlicher falscher Darstellungen aufgrund von dolosen Handlungen sind Kontrollaktivitäten gemäß den Teilziffern A 32 bis A 33 zu veranlassen, ISA (DE) 240, Rdnr. 28.

Es ist zunächst eine Zuordnung zu den entsprechenden Mitarbeitern vorzunehmen. Es folgt eine Beurteilung der Rechnungslegungsmethoden, ISA (DE) 240, Rdnr. 30.

In Übereinstimmung mit ISA [DE] 330 hat der Abschlussprüfer weitere Prüfungshandlungen durchzuführen, deren Art, zeitliche Einteilung und Umfang auf die beurteilten Risiken wesentlicher falscher Darstellungen aufgrund von dolosen Handlungen auf Aussageebene ausgerichtet sind, (vgl. Tz. A38–A41), ISA (DE) 240, Rdnr. 31.

Es folgt dann eine Beschreibung von Prüfungshandlungen als Reaktion auf Risiken im Zusammenhang mit einer Außerkraftsetzung von Kontrollen durch das Management, ISA (DE) 240, Rdnr. 32–34.

Bei Feststellung wesentlich falscher Darstellung aufgrund doloser Handlungen sollen Feststellungen getroffen werden über die zeitliche Einteilung und den Umfang der Prüfungshandlungen als Reaktion auf diese neu zu beurteilenden Risiken, ISA (DE) 240, Rdnr. 37.

Unmöglichkeit der Fortführung des Auftrags

Im Falle einer Mandatsniederlegung stellt der Prüfer auch fest, in welchen Fällen Aufsichtsbehörden Mitteilung zu machen ist, und zwar nach A 55–A 58, ISA (DE) 240, Rdnr. 39.

Die Wirtschaftsprüferkammer ist gemäß § 318 Abs. 8 HGB unverzüglich mit einer schriftlichen Begründung zu unterrichten.

Schriftliche Erklärungen – Information von Behörden

Der Abschlussprüfer hat schriftliche Erklärungen des Managements in Bezug auf dessen Verantwortlichkeit für dolose Handlungen einzuholen. Hierbei sind alle Tatsachen und auch Betroffenen darzustellen. Ebenfalls ist zu bestätigen, dass den Aufsichtsbehörden Mitteilung gemacht worden ist, A 59–A 60, ISA (DE) 240, Rdnr. 40.

Es folgen Mitteilungen an das Management und eine Kommunikation für die mit der  Überwachung Verantwortlichen, ISA (DE) 240, Rdnr. 41 ff.

Bei Vermutung von dolosen Handlungen muss der Prüfer prüfen, ob er die zuständige Behörde informieren muss, ISA (DE) 240, Rdnr. 44.

Aufgrund der Verschwiegenheitspflicht (§ 43 Abs. 1 WPO, § 323 Abs. 1 Satz 1 HGB, § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB) darf der Abschlussprüfer gegenüber Dritten (z. B. einzelnen Gesellschaftern, Gläubigern, Staatsanwaltschaft) grundsätzlich keine Erkenntnisse über dolose Handlungen offenbaren. Ausnahmen aufgrund gesetzlicher Regelungen sind für bestimmte Prüfungen (z. B. gesetzliche Abschlussprüfungen von Unternehmen von öffentlichem Interesse i. S. des § 319 a Abs. 1 HGB („PIE“) nach Artikel 7 der EU-Abschlussprüferverordnung (Verordnung (EU) Nr. 537/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014), Abschlussprüfungen nach § 29 Abs. 3 KWG) und bestimmte Bereiche (z. B. Meldepflicht bei Verdacht auf Geldwäsche gemäß § 43 GwG) vorgesehen.

Ein Unternehmen von öffentlichem Interesse ist danach eine kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaft gemäß § 264 d HGB (§ 264d HGB, Kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaft: Eine Kapitalgesellschaft ist kapitalmarktorientiert, wenn sie einen organisierten Markt im Sinn des § 2 Absatz 11 des Wertpapierhandelsgesetzes durch von ihr ausgegebene Wertpapiere im Sinn des § 2 Absatz 1 des Wertpapierhandelsgesetzes in Anspruch nimmt oder die Zulassung solcher Wertpapiere zum Handel an einem organisierten Markt beantragt hat, § 264d HGB.

Fazit: Weil der Prüfer keine rechtlichen Feststellungen zu der Frage trifft, ob tatsächlich dolose Handlungen stattgefunden haben, ISA (DE) 240, Rdnr. 3, kommt es nicht darauf an, ob diese dolosen Handlungen auch strafbar sind. Es genügen die absichtliche Handlung, Falschdarstellung und ungerechtfertigter Vorteil.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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