Kein vertypter Strafmilderungsgrund (§ 46a Nr. 1 StGB) bei vorsätzlichem Eingriff in den Straßenverkehr

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Der BGH hat entschieden:

Der vertypte Strafmilderungsgrund des § 46a Nr. 1 StGB ist auf den vorsätzlichen Eingriff in den Straßenverkehr nach § 315b StGB nicht anwendbar.

Kurz zum Sachverhalt:

Der alkoholbedingt fahruntüchtige Angeklagte befuhr mit seinem Pkw öffentliche Straßen, ohne dass er die erforderliche Fahrerlaubnis besaß. Als die Polizei ihn kontrollieren wollte ergriff er mit seinem Pkw die Flucht. Nachdem er an einer Einmündung anhalten musste, weil sich ihm ein Zeuge mit seinem Pkw quer in den Weg gestellt hatte, stoppten die verfolgenden Polizeibeamten ihr Dienstfahrzeug hinter seinem PKW. Die Polizeibeamtin W. stieg aus, klopfte an die Beifahrertür des Pkw und verlangte deren Öffnung. Der Angeklagte leistete der Aufforderung keine Folge, sondern rangierte sein Fahrzeug mehrmals hin und her. Dabei fuhr er der zurückweichenden Polizeibeamtin W. über den rechten Fuß und stieß gegen das Dienstfahrzeug der Polizei, wodurch ein Sachschaden (1.136,01 €) entstand. Die Polizeibeamtin trat daraufhin vor den Pkw und forderte ihn aus einem Abstand von zwei bis vier Metern zum Anhalten auf. Der Angeklagte fuhr nun, auch diese Aufforderung missachtend, mit Vollgas an und flüchtete, indem er durch eine zwischen dem Bordstein und dem Pkw des Zeugen S. bestehende breite Lücke hindurchfuhr. Die Polizeibeamtin W. konnte sich durch einen Sprung zur Seite in Sicherheit bringen. Dabei wurde sie von der vorderen rechten Stoßstange des Pkw des Angeklagten erfasst und leicht verletzt. Dem Angeklagten kam es bei seinem Vorgehen allein darauf an, sich der Polizeikontrolle zu entziehen. Als möglich erkannte Verletzungen der Polizeibeamtin W. und eine Beschädigung des Dienstfahrzeugs der Polizei nahm er jeweils billigend in Kauf. Auf seiner weiteren Fluchtfahrt stieß der Angeklagte mit seinem Pkw gegen einen Omnibus (Schaden 2.613,01 Euro) und fuhr danach ohne anzuhalten weiter.

Der Angeklagte rügte mit seiner Revision nun, dass das LG den Strafrahmen nicht gemäß $ 46a Nr. 1 StGB gemildert hatte.

Dem ist der BGH nicht gefolgt und hat klargestellt, dass der vertypte Strafmilderungsgrund des § 46a Nr. 1 StGB auf den vorsätzlichen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr nach § 315b StGB nicht anwendbar ist und daher vom LG nicht in Erwägung gezogen werden musste.

Der BGH begründet dies damit, dass § 46a StGB nach seinem Wortlaut zwar in beiden Varianten für alle Delikte gilt, sich dennoch aus den verschiedenen tatbestandlichen Voraussetzungen, die in den Nummern 1 und 2 der Bestimmung festgeschrieben sind, Anwendungsbeschränkungen ergeben.

Im Gegensatz zu § 46a Nr. 2 StGB (der vorwiegend den materiellen Schadensausgleich betrifft und deshalb hier nicht einschlägig ist) zielt § 46a Nr. 1 StGB vorrangig auf den Ausgleich der immateriellen Folgen einer Straftat ab. Dazu bedarf es eines kommunikativen Prozesses zwischen Täter und Opfer, der auf einen umfassenden, friedensstiftenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen angelegt ist.

Danach ist eine Anwendung von § 46a Nr. 1 StGB bei einem vorsätzlichen Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315b StGB grundsätzlich ausgeschlossen, da § 315b StGB die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs schützt.

Die in der Norm aufgezählten Individualrechtsgüter (Leben, Gesundheit und bedeutende Sachwerte der durch den Eingriff betroffenen Verkehrsteilnehmer) werden dabei lediglich faktisch mit geschützt und auch wenn § 315b StGB voraussetzt, dass sich die durch die tatbestandliche Handlung begründete abstrakte Gefahr für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs zu einer konkreten Gefahr für eines der genannten Individualrechtsgüter verdichtet hat und der Täter bei Eingriffen innerhalb des fließenden Verkehrs mit einem zumindest bedingten Schädigungsvorsatz gehandelt haben werden die betroffenen Verkehrsteilnehmer dadurch nicht zum Träger des bestimmenden Rechtsguts. Ein zwischen ihnen und dem Täter durchgeführter dialogischer Ausgleichsprozess kann daher grundsätzlich weder zu einem friedensstiftenden Ausgleich der durch die Straftat veranlassten Folgen, noch – wie dies von § 46a Nr. 1 StGB vorausgesetzt wird – zu einer Lösung des der Tat zugrunde liegenden Gesamtkonflikts führen (im Ergebnis wie hier Theune in LK-StGB, 12. Aufl., § 46a Rn. 21; MüKoStGB/Maier, 2. Aufl., § 46a Rn. 3; NK-StGB/Streng, 4. Aufl., § 46a Rn. 10; Schönke/Schröder-Stree/ Kinzig, StGB, 29. Aufl., § 46a Rn. 4a; a.A. Fischer, StGB, 62. Aufl., § 46a Rn. 8; SSW-StGB/Eschelbach, 2. Aufl., § 46a Rn. 20; Kaspar/Weiler/Schlickum, Der Täter-Opfer-Ausgleich, 2014, S. 26 jeweils zu § 315c StGB; Maiwald, GA 2005, 339, 345; Pielsticker, § 46a StGB, 2004, S. 118; Kasperek, Zur Auslegung und Anwendung des § 46a StGB, 2002, S. 65 f.; Schöch, 50 Jahre Bundesgerichtshof).

Auch kann die gegenüber einem einzelnen Geschädigten geleistete Wiedergutmachung grundsätzlich nicht als eine Teilwiedergutmachung oder ein Wiedergutmachungsbemühen in Bezug auf andere verletzte Rechtsgüter gedeutet werden, da jedenfalls in Bezug auf das Rechtsgut der Sicherheit im öffentlichen Straßenverkehr keine individualisierbaren Opfer gegeben sind.

Soweit der BGH in einer früheren Entscheidung eine Anwendung des § 46a StGB bei einer Verurteilung wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, gefährlicher Körperverletzung u.a. für zulässig erachtet hat, betraf dies einen Fall des § 46a Nr. 2 StGB (BGH, Beschluss vom 17.01.1995 - 4 StR 755/94 in NStZ 1995, 284).

Es empfiehlt sich als Schluss aus diesem Urteil, im Rahmen der Verteidigung darauf zu achten, dass sich das Gericht bei mehreren erfüllten Straftatbeständen und geleisteter Widergutmachung jedenfalls bei den Delikten, die eine Anwendung des 46a StGB zulassen, diesen berücksichtigt und im Übrigen mit der Wiedergutmachung oder den Bemühungen auseinandersetzt und diese – wenn auch nicht nach § 46a StPO – bei der Strafzumessung nach § 46 Abs. 2 StGB berücksichtigt und dies auch im Urteil dokumentiert.

(BGH, Urteil vom 4.12.2014 – 4 StR 213/14)


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