Legasthenie – Vermerk im Zeugnis laut Bundesverwaltungsgericht zulässig
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In dieser Woche ist das Schuljahr auch in den letzten Bundesländern vorbei. Ab dem Wochenende können sich dann auch die bayerischen Schüler über die Sommerferien freuen. Bei so manchem trübt die Freude jedoch das am letzten Schultag vergebene Jahreszeugnis. Wenig erfreut über ihre schon etwas früher vergebenen Abiturzeugnisse waren auch drei bayerische Schüler. Sie verlangten Hinweise auf ihre jeweils vorhandene Lese- und Rechtschreibschwäche zu streichen. Nun hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in letzter Instanz entschieden. Der Fall bewegt sich dabei zwischen verbotener Benachteiligung behinderter Menschen und der Wahrung der allgemeinen Chancengleichheit.
Schüler befürchten spätere Benachteiligungen
Geht es nach den klagenden Schülern, so befürchten sie durch die Hinweise auf ihre Rechtschreibschwäche im Zeugnis vor allem Nachteile im späteren Berufsleben. Schließlich dürfe man eine Behinderung gegenüber einem möglichen Arbeitgeber verschweigen. Und zudem finden sich für viele andere Behinderungen ja auch keine Hinweise in den Zeugnissen.
Zeugnisgestaltung obliegt bisher dem Ministerium
Zwei der klagenden Schüler besuchten eine Privatschule, der dritte Schüler ein staatliches Gymnasium. Da allerdings auch nach bayerischem Schulrecht Privatschulen die für öffentliche Schulen geltenden Regeln anzuwenden haben, spielt das keine Rolle für die rechtliche Behandlung.
Unter anderem überlässt das Bayerische Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) dabei die Gestaltung der Zeugnisse dem für Bildung und Kultus zuständigen Staatsministerium. Das vorhandene Muster lässt dabei auch Platz für allgemeine Bemerkungen. Genutzt wird diese unter anderem für den Hinweis auf eine als Legasthenie bezeichnete Lese- und Rechtschreibschwäche (LRS) oder Rechenschwäche (Dyskalkulie). Sie sind von der WHO als Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten anerkannt. Im Einzelfall stellt ihr Vorliegen ein Facharzt fest.
Kein Hinweis nur mit Verzicht auf Förderung
Das ärztliche Attest ist wiederum Grundlage für einen Antrag auf besondere Förderung betroffener Schüler. Damit geht jedoch eine entsprechende Zeugnisbemerkung einher. Diese finden sich insbesondere in Abschlusszeugnissen. Wer das vermeiden will, muss zugleich auf Förderung und Privilegierung verzichten. Vor diese Wahl werden Schüler bislang durch die bayerischen Legasthenieregelungen gestellt. So landet etwa bei allen Schülern, die bei einer Leistungserhebung in der Oberstufe eine Vergünstigung in Anspruch genommen haben, eine entsprechende Bemerkung in ihrem Zeugnis der allgemeinen Hochschulreife. Eine Möglichkeit einer solchen Vergünstigung ist, wie im Fall der bayerischen Schüler, dass keine Rechtschreibfehler in Deutsch oder einer Fremdsprache in die Bewertung einfließen.
Hinweise im Zeugnis nur bei Notenschutz zulässig
Bei den verschiedenen Maßnahmen ist dabei zwischen sogenanntem Notenschutz und Nachteilsausgleich zu unterscheiden. Beim Notenschutz kommt es zu einer unterschiedlichen Leistungsbewertung. Er führt zu einer Privilegierung gegenüber anderen Schülern. Auf die unterschiedlichen Maßstäbe bei der Benotung ist daher im Zeugnis hinzuweisen. Ein Rechtsanspruch auf Notenschutz besteht dabei nicht.
Das ist beim sogenannten Nachteilsausgleich anders. Bei diesem erhalten Schüler Hilfe wie eine Schreibzeitverlängerung, leichter lesbare Texte bzw. dürfen sie Hilfsmittel wie einen Computer nutzen. Anders als der Notenschutz gilt das nicht als Privilegierung. Der Nachteilsausgleich soll vielmehr dafür sorgen, dass alle Schüler vergleichbare Chancen haben, ihre Leistung zu erbringen. Die Bewertung bleibt dagegen gleich. Dementsprechend darf das Zeugnis nicht auf einen gewährten Nachteilsausgleich hinweisen. Auf ihn besteht zudem ein Anspruch, der seine Grundlage im Grundrecht auf Gleichbehandlung findet.
VGH hielt Rechtsgrundlage für Hinweis für ungenügend
Von diesen rechtlichen Grundlagen geht auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) aus. Allerdings störte er sich in seiner Berufungsentscheidung insbesondere daran, dass Grundlage für den Notenschutz und den Legasthenievermerk eine Verordnung des Ministeriums sei. Aus Sicht der Richter gehört die Gewährung von Notenschutz jedenfalls bei für den weiteren Werdegang wichtigen Abschlussprüfungen aber zu den wesentlichen Entscheidungen im Schulwesen. Diese dürfe nur der Gesetzgeber selbst und damit der Bayerische Landtag treffen. Mangels einer ausreichenden Rechtsgrundlage verpflichtete der VGH daher den beklagten Freistaat zur Streichung des Zeugnisvermerks.
Kein Anspruch auf Notenschutz ohne Dokumentation
Das sah das Bundesverwaltungsgericht in seiner Revisionsentscheidung nun etwas anders. Auch die Leipziger Bundesverwaltungsrichter bestätigen die Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage für den Notenschutz. Fehle sie, seien solchermaßen entstandene Noten deshalb auch rechtswidrig.
Trotzdem gibt das betroffenen Schülern keinen Anspruch darauf, dass zumindest der Vermerk auf die abweichenden Bewertung entfällt, ihre Note aber bestehen bleibt. Notenschutz lässt sich damit dem Bundesverwaltungsgericht zufolge nicht ohne dessen Dokumentation beanspruchen. Lediglich der Hinweis auf eine ärztlich festgestellte Legasthenie gehe zu weit. Auch wenn sich durch den verbleibenden Hinweis auf die nicht gewerteten Rechtschreibfehler beim Lesen des Zeugnisses eine Rechtschreibschwäche erschließt, ist laut Bundesverwaltungsgericht kein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot behinderter Menschen gegeben. So betrachtet geht das Bundesverwaltungsgericht ohne weiteren Hinweis in seiner Pressemitteilung vermutlich davon aus, dass Legastheniker durch den Notenschutz im Vergleich zu ihren Mitmenschen bei Prüfungen nicht schlechter, sondern besser gestellt werden, da die abweichende Bewertung ihnen mitunter erst deren Bestehen ermöglicht.
(BVerwG, Urteil v. 29.07.2015, Az.: 6 C 33.14, 6 C 35.14)
(GUE)
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