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Nach dem Unfall geflüchtet – aber keine Unfallflucht begangen?

  • 6 Minuten Lesezeit
Sandra Voigt anwalt.de-Redaktion

Nach einem Verkehrsunfall ist der Schock erst einmal groß. Viele Verkehrsteilnehmer reagieren dann rein instinktiv: Flucht – nichts wie weg. Wer aber einfach davonbraust, braucht sich nicht wundern, wenn er in der Folgezeit Post von der Staatsanwaltschaft bekommt. Denn im Zweifel hat man sich wegen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort – kurz: Unfallflucht oder Fahrerflucht – gemäß § 142 Strafgesetzbuch (StGB) strafbar gemacht. Das gilt jedoch nicht immer.

Zwei Autos – aber nur eine Parklücke

Eine Frau war spätabends mit ihrem Wagen unterwegs und auf der Suche nach einem Parkplatz. Sie fand rechts neben der Fahrbahn eine Lücke – fuhr jedoch zunächst daran vorbei, um dann rückwärts einzuparken. In der Zwischenzeit hatte die Autofahrerin hinter ihr den Parkplatz ebenfalls entdeckt. Sie fuhr schnurstracks in die Lücke und blieb dort schräg – teilweise auf dem Gehweg – stehen. Die rückwärtsfahrende Verkehrsteilnehmerin hatte diesen Vorgang aus Unachtsamkeit nicht mitbekommen und fuhr gegen das bereits in der Parklücke haltende Kfz.

Unfall mit Folgen

Nach dem Zusammenstoß stiegen beide Frauen aus und überprüften ihre Autos auf Schäden. Die Fahrzeugführerin, die rückwärts hatte einparken wollen, entdeckte an ihrem weißen Wagen eine große schwarze Schramme und kündigte an, die Polizei zu rufen. Ihre Unfallgegnerin dagegen war trotz der herrschenden Dunkelheit davon überzeugt, dass beide Pkw bei der Kollision keine Schäden davongetragen hatten – die Schramme müsse von einem anderen Unfall stammen.

Autofahrerin will ihre Personalien nicht nennen

Die Eigentümerin des in der Parklücke stehenden Wagens weigerte sich, ihre Personalien zu nennen, setzte sich in ihren Pkw und wartete auf die Polizei. Anstatt die Gesetzeshüter zu rufen, entschied sich die andere Autofahrerin jedoch, Fotos von der Unfallstelle und den beiden Kfz zu machen. Auch öffnete sie wiederholt die Fahrertür des fremden Autos und verlangte von dessen Eigentümerin die Herausgabe ihrer Personalien. Die hatte irgendwann die Nase voll und fuhr davon. Erst zwei Tage später erstattete die Fahrerin des weißen Autos Anzeige gegen die „geflüchtete“ Unfallgegnerin, die prompt wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort angeklagt wurde.

Keine Unfallbeteiligung der Angeklagten?

Das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg sprach die angeklagte Autofahrerin von jedem Vorwurf frei. So war nämlich bereits unklar, ob sie überhaupt Unfallbeteiligte gewesen ist.

Unfallbeteiligt nach § 142 V StGB ist eine Person nämlich nur, wenn die Möglichkeit besteht, dass sie mit ihrem Verhalten den Unfall (mit)verursacht hat. Das ist zweifellos der Fall, wenn jemand aktiv handelt und z. B. sein Kfz gegen ein anderes lenkt. Problematischer ist jedoch der Fall, wenn die Person das Unglück selbst nicht herbeigeführt hat – dafür aber die Gefahrenlage, die letztlich den Unfall zur Folge hatte. Hier liegt eine Unfallbeteiligung nur vor, wenn sich die betreffende Person verkehrswidrig verhielt, als sie die Gefahrenlage schuf.

Beispiel: Ein Fußgänger steht nachts mitten auf der Fahrbahn an einer unübersichtlichen Stelle herum und wird von einem Auto angefahren. Den Unfall hat hier aktiv der Fahrzeugführer verursacht – der Fußgänger dagegen hat die Gefahrenlage geschaffen, als er verkehrswidrig auf der Straße stand, anstatt sie schnell und auf kürzestem Weg zu überqueren bzw. wieder zu verlassen.

Die Richter wiesen vorliegend darauf hin, dass die Angeklagte lediglich mit ihrem Fahrzeug in der Parklücke gestanden hat, als die Unfallgegnerin aus Unachtsamkeit deren Wagen rammte. Dass sich die parkende Fahrzeugeigentümerin dabei verkehrswidrig verhalten hat, war für die Richter nicht erkennbar.

Verkehrswidriges Parken auf dem Gehweg?

Zwar stand die Angeklagte mit ihrem Auto teilweise auf dem Gehweg, was nach § 12 IV, IVa StVO unzulässig ist. Nach dieser Vorschrift sollen aber die Fußgänger, die den Gehweg nutzen, geschützt werden, keine Autofahrer, die ebenfalls in die nunmehr besetzte Lücke einparken wollten. Eine Gefahrenlage, die zu dem Unfall geführt haben könnte, wurde mit dem schrägen Parken daher nicht geschaffen.

Parklücke „geklaut“?

Im Übrigen lag kein Verstoß gegen § 12 V StVO vor. Danach wird dem Autofahrer der Vorrang an einem Parkplatz eingeräumt, der ihn zuerst erreicht. Fährt also ein Verkehrsteilnehmer erst an der Lücke vorbei, um dann rückwärts einzuparken, darf sein Hintermann seinen eigenen Wagen währenddessen nicht rücksichtlos in die Lücke lenken.

Allerdings war für die Richter vorliegend nicht ganz klar erkennbar, ob ein derartiger Verstoß vorlag. Er durfte daher nicht zulasten der Angeklagten Beachtung finden.

Unfall: Müssen die Personalien angegeben werden?

Doch selbst wenn die Angeklagte Unfallbeteiligte gewesen sein sollte, war eine Verurteilung wegen Unfallflucht nicht möglich.

Nach § 142 I Nr. 1 StGB ist ein Unfallbeteiligter verpflichtet, dem anwesenden Unfallgegner aktiv mitzuteilen, dass er an dem Unfall beteiligt ist – mehr nicht. Um aber dem Unfallgegner die Möglichkeit zu geben, etwaige zivilrechtliche Ansprüche – z. B. auf Schadenersatz – durchzusetzen, muss der Unfallbeteiligte ferner die Feststellung seiner Personalien, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung am Unfall dulden.

Das heißt: In verkehrsrechtlicher Hinsicht haben Unfallbeteiligte gemäß § 34 I Nr. 5b StVO auf Verlangen insbesondere die Personalien preiszugeben – anders jedoch im Strafrecht. Eine Pflicht, diese Informationen aktiv herauszugeben, findet sich in § 142 StGB nicht. Verweigert also der Unfallbeteiligte diese wichtigen Auskünfte, bleibt dem feststellungsberechtigten Unfallgegner nichts anderes übrig, als die Polizei zu rufen.

Muss auf die Polizei gewartet werden?

Ob und wie lange man an der Unfallstelle warten muss, hängt auch davon ab, ob die Polizei gerufen wurde.

Überlegungszeit erlaubt?

Zunächst ist zu berücksichtigen, dass der Unfallbeteiligte, der seine Angaben verweigert, nicht einfach weiterfahren darf, wenn sein Unfallgegner sich nicht sofort zum Anruf bei der Polizeistation durchringen kann. Vielmehr ist eine gewisse Überlegungszeit durchaus zulässig. Wird die Polizei dagegen nicht gerufen und der feststellungsberechtigte Unfallgegner verlässt die Unfallstelle, darf sich auch der „verschlossene“ Unfallbeteiligte entfernen.

Polizei wird gerufen

Hat der feststellungsberechtigte Unfallgegner die Polizei gerufen, muss der andere Unfallbeteiligte warten, bis die Polizei erscheint. Ferner muss er den Ordnungshütern seine Personalien nennen. Erst dann darf er weiterfahren.

Polizei wird nicht gerufen – Unfallgegner verlangt dennoch Nennung der Personalien

Wird die Polizei nicht gerufen, befinden sich die Parteien in einer vertrackten Lage. Denn der verschwiegene Unfallbeteiligte muss die Personalien nicht preisgeben, der feststellungsberechtigte Unfallgegner darf ihre Nennung dagegen nicht verlangen. Er darf also den wortkargen Unfallbeteiligten deswegen z. B. nicht belästigen, indem er ständig die Fahrertür öffnet oder ihn etwa festhält. Der Unfallbeteiligte darf vielmehr – ohne strafrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen – davonfahren.

Schließlich macht der feststellungsberechtigte Unfallgegner hier bewusst nicht von seinem Recht Gebrauch, die Polizei zu rufen. Eine andere Möglichkeit, um an die Personalien des anderen Verkehrsteilnehmers zu kommen, existiert nicht. Es gibt dann also auch keinen Grund für den verschwiegenen Unfallbeteiligten, länger am Unfallort zu bleiben.

OLG Hamburg: Angeklagte war freizusprechen

Vorliegend hat die Eigentümerin des verschrammten Kfz zwar gedroht, die Polizei zu rufen, dies aber letztlich nicht getan. Stattdessen hat sie nur die Unfallstelle und das gegnerische Auto samt Kennzeichen fotografiert, was ihr letztlich sogar die Identifikation der Unfallgegnerin ermöglichte. Diese musste daher nicht mehr länger an der Unfallstelle bleiben, sondern durfte weiterfahren, ohne sich nach § 142 I Nr. 1 StGB strafbar zu machen.

(OLG Hamburg, Beschluss v. 30.05.2017, Az.: 2 Rev 35/17)

(VOI)

Foto(s): Fotolia.com

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