OLG: Keine Versicherungsschutz nach Wohnungseinbruch?

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OLG Hamm: Es besteht kein Versicherungsschutz, wenn der Wohnungseinbrecher mittels eines richtigen Schlüssels, dessen Diebstahl der Versicherungsnehmer vorher fahrlässig ermöglicht hat, in die Wohnung gelangt.

Eine auf den ersten (und zweiten?) Blick überraschende Entscheidung hat das OLG Hamm in seinem Beschluss vom 15. Februar 2017 (20 U 174/16) gefällt. Die klagende Versicherungsnehmerin hatte nach einer Betriebsfeier, auf der sie auch Alkohol konsumiert hatte, ihre Handtasche mit dem Wohnungsschlüssel in ihrem Fahrradkorb transportiert. Als sie sich auf dem Rückweg von einem Arbeitskollegen verabschiedete und mehrere Minuten abgelenkt war, wurde die Handtasche mit ihren Wohnungsschlüsseln entwendet. Die Schlüssel wurden später dazu verwendet, in die Wohnung einzudringen und Wertgegenstände zu entwenden.

Die Klägerin nahm daraufhin ihren Hausratversicherer auf die Versicherungsleistungen in Anspruch und reichte – nachdem dieser Versicherungsleistungen abgelehnt hatte – Klage ein. Das Oberlandesgericht Hamm hat in seinem oben genannten Beschluss die Ansicht vertreten, dass derjenige Versicherungsnehmer seinen Versicherungsschutz für einen Wohnungseinbruchdiebstahl verliert, der fahrlässig den Diebstahl seines Wohnungsschlüssels ermöglicht. Dies sah das Gericht vorliegend – genauso wie die erste Instanz – tatsächlich als gegeben an.

Diese Begründung mutet auf den ersten Blick seltsam an, wenn man berücksichtigt, dass das Versicherungsvertragsrecht bei schuldhafter Herbeiführung des Versicherungsfalles eine Kürzung des Versicherungsanspruches erst ab grober Fahrlässigkeit (§ 81 Absatz 2 VVG) und einen vollständigen Verlust erst bei vorsätzlicher Herbeiführung kennt (§ 81 Absatz 1 VVG). Auch die Verletzung von schadensvermeidenden Obliegenheiten schadet dem Versicherungsnehmer erst ab grober und nicht schon bei einfacher Fahrlässigkeit. Insofern scheint die Entscheidung im ersten Moment zwingenden Vorgaben des Versicherungsvertragsgesetzes zu widersprechen.

Das „Problem“ der fahrlässigen Ermöglichung des Versicherungsfalles rührt vorliegend jedoch bei näherer Betrachtung nicht aus dem Gesetz, sondern aus der Definition des Versicherungsfalles des Wohnungseinbruchdiebstahls her. Danach genügt nämlich nicht jeder Diebstahl in einer Wohnung, um die Voraussetzung des Wohnungseinbruchdiebstahles zu erfüllen. Die Definition des Versicherungsfalles setzt vielmehr voraus, dass der Diebstahl oder Raub erfolgt, nachdem der Täter in einen Raum des Gebäudes eingebrochen, eingestiegen oder mittels falschen Schlüssels oder anderer nicht zum ordnungsgemäßen Öffnen bestimmter Werkzeuge eingedrungen ist. Falsch ist ein Schlüssel dann, wenn er ohne Zustimmung des Berechtigten gefertigt worden ist, also der „typische“ Fall des heimlich gefertigten Nachschlüssels. 

Allerdings sehen – soweit ersichtlich – alle am Markt erhältlichen Versicherungsbedingungen vor, dass ein versicherter Einbruchdiebstahl auch dann vorliegt, wenn der Täter einen richtigen Schlüssel benutzt, den er zuvor durch (Einbruch-) Diebstahl oder Raub an sich gebracht hat. Außerdem soll die Benutzung eines richtigen Schlüssels ausreichen, wenn der Täter den Schlüssel durch Beraubung oder ohne fahrlässiges Verhalten des Versicherungsnehmers durch Diebstahl an sich gebracht hat. Der Wortlaut der Klauseln variiert in den verschiedenen Bedingungswerken. Gemein ist den Bedingungen dabei aber, dass die Benutzung eines richtigen Schlüssels, den der Täter durch Diebstahl an sich gebracht hat, also ohne, dass er zuvor einen Einbruch begangen hätte, nur versichert ist, wenn der Versicherungsnehmer den Diebstahl nicht fahrlässig ermöglicht hat.

Die wohl herrschende Meinung (vgl. Prölss/Martin/Knappmann, VVG, 28. Aufl., VHB 2000 § 5 Rn. 10) sieht darin eine Erweiterung des Versicherungsschutzes und die Schuldlosigkeit als eine Voraussetzung der Erweiterung an, sodass kein Widerspruch zu den §§ 28, 81 VVG vorliege bzw. ein solcher Widerspruch unbedenklich sei. Diese wohl herrschende und „althergebrachte“ Auslegung verdient jedenfalls im Hinblick auf die Entwicklungen der Rechtsprechung einer kritischen Überprüfung.

Grundsätzlich handelt es sich den AVB um allgemeine Geschäftsbedingungen i. S. d. §§ 305 ff BGB. Verstößt eine Klausel daher gegen zwingendes Gesetzesrecht, so ist sie nichtig; im Übrigen darf die Klausel für den Versicherungsnehmer auch nicht unangemessen benachteiligend oder überraschend sein.

Vorliegend stellt sich allerdings schon die Frage, wie die Regelung überhaupt rechtlich zu qualifizieren ist.

Wenn es sich um eine sog. primäre Risikobeschreibung handelt, die die eigentliche Leistungspflicht des Versicherers umschreibt, so wäre die Klausel im Hinblick auf das AGB-Recht kontrollfrei. Regelt sie jedoch die Leistungspflicht nur insoweit, als dass sie den beschriebenen Anspruch einschränkt, so unterfällt sie der Wirksamkeitskontrolle. Nach meiner Einschätzung handelt es sich bei der Gewährung von Versicherungsschutz auch bei der Verwendung eines richtigen Schlüssels um die primäre Leistungspflicht. Die Einschränkung, dass der Diebstahl des richtigen Schlüssels nicht durch Fahrlässigkeit ermöglicht worden sein darf, schränkt diese Leistungspflicht lediglich ein und unterliegt somit der Wirksamkeitskontrolle.

Daran schließt sich gedanklich die Frage an, ob es sich um eine objektive Einschränkung des Versicherungsschutzes handelt (Risikoausschluss) oder ob nicht vielmehr ein schadensvermeidendes Verhalten des Versicherungsnehmers vereinbart werden soll. Letzteres würde bedeuten, dass es sich um eine Obliegenheit handelt, deren Verletzung nur bei grober Fahrlässigkeit zu einer Kürzung und bei vorsätzlicher Verletzung zu einem Verlust des Versicherungsschutzes führen würde, § 28 VVG.

Die Rechtsprechung kennt auch eine „Mischform“ in Form der sog. verhüllten Obliegenheiten. Diese verhüllten Obliegenheiten setzen qualitativ ein schadenvermeidendes Verhalten voraus, sind jedoch so formuliert, dass sie im ersten Blick einen objektiven Risikoausschluss darstellen. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes differenziert dabei danach, ob im Kern ein bestimmtes Verhalten von dem Versicherungsnehmer gefordert wird.

Die Beantwortung dieser Frage stellt die Weiche für die spätere Entscheidung. Meines Erachtens spricht vorliegend viel dafür, in der Klausel eine verhüllte Obliegenheit zu sehen.

Zumindest im Rahmen der veröffentlichten Entscheidungen zu der Problematik geht der Fahrlässigkeitsvorwurf nämlich regelmäßig in die Richtung, dem Versicherungsnehmer die unsorgfältige Verwahrung des Schlüssels vorzuwerfen. Dies dürfte auch der in den allermeisten Konstellationen zutreffende Ansatzpunkt sein. Auf den Kern heruntergebrochen wird dem Versicherungsnehmer damit aufgegeben, den Schlüssel so zu verwahren, dass er selbst oder das Behältnis, in dem er verwahrt wird, nicht leicht entwendet werden kann. Zu denken ist hier z. B. an Fälle, in denen Schlüssel an für dritte Personen zugänglichen Orten offen herumliegen oder Jacken oder Taschen, in denen sich der Schlüssel befindet, unbeaufsichtigt an öffentlich zugänglichen Orten zurückgelassen werden. 

Im Umkehrschluss bedeutet dies aber, dass die Versicherungsnehmer gehalten sind, ihre Wohnungsschlüssel sorgfältig zu verwahren. Meinem Verständnis nach spricht dies dafür, die Regelung als verhüllte Obliegenheit einzuordnen.

Folge hiervon wäre, dass erst bei einem grob fahrlässigen Verstoß die Versicherungsleistung gemindert werden könnte.

Aber auch, wenn man die Regelung als Risikoausschluss auffassen würde, führt dies nicht automatisch dazu, dass die Klausel wirksam ist. Denn meines Erachtens spricht viel dafür, dass die Regelung für den Versicherungsnehmer unangemessen benachteiligend und damit unwirksam ist. Es entspricht der grundsätzlichen Intention des Gesetzgebers, dass der Versicherungsnehmer seinen Anspruch auf Versicherungsleistungen nicht bei jeder Fahrlässigkeit verlieren soll, sondern dass erst ein gesteigerter Verschuldensgrad zum Verlust des Versicherungsanspruchs führt. 

Dem entspricht ja gerade, dass selbst bei schuldhafter Herbeiführung des Versicherungsfalls – wenn das Verschulden also unmittelbar kausal geworden ist – leichte Fahrlässigkeit nicht zum Verlust des Versicherungsschutzes führt. Diese grundsätzliche Wertung wird jedoch unterlaufen, wenn man es ausreichen lassen würde, wenn ein fahrlässiges Vorverhalten, das nicht unmittelbar zum Versicherungsfall führt, den Versicherungsschutz entfallen lassen würde.

Aufgrund dessen erscheint die Entscheidung des OLG Hamm vorliegend zweifelhaft, auch wenn sie der wohl herrschenden Rechtsprechung entspricht.

RA Heiko Effelsberg, LL.M.

Fachanwalt für Versicherungsrecht


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