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Pelham gewinnt gegen Kraftwerk – Europäischer Gerichtshof bricht Lanze für Samples im Hip-Hop

  • 6 Minuten Lesezeit
Johannes Schaack anwalt.de-Redaktion
  • Der Europäische Gerichtshof hat einen 20 Jahre andauernden Rechtsstreit um ein Sample in dem Song „Nur mir“ von Moses Pelham und Sabrina Setlur beendet.
  • Der EuGH hat jetzt entschieden, dass keine illegale Kopie vorliegt, wenn ein Sample so eingesetzt wird, dass die originale Ton- oder Rhythmussequenz beim Hören nicht wiedererkennbar ist.
  • Zusätzlich können sich Hip-Hop-Künstler beim Sampling darauf berufen, dass sie ein Sample wie ein Zitat verwenden.

Urheberrechtliche Auseinandersetzungen in der Musikbranche sind eine spannende Angelegenheit. Und das besonders, wenn es um das Thema musikalische Plagiate geht. Hiermit – und mit dem Song „Nur mir“ aus der Hit-Schmiede von Moses Pelham, vorgetragen von Rapperin Sabrina Setlur – hatte sich kürzlich der Europäische Gerichtshof zu befassen. Das Ergebnis dürfte für die Hip-Hop-Szene wegweisend sein. Warum, soll zuerst ein kurzer Exkurs verdeutlichen:

„Aus alt mach neu“ als Fundament eines Musikgenres

Die Erfindung des Hip-Hops ist ein Paradebeispiel für das Sprichwort „Not macht erfinderisch“. Für die meisten Bewohner der schwarzen New Yorker Gettos der 1970er galten Musikinstrumente als Luxusgut. 

Man ging dazu über, seine musikalische Kreativität auszuleben, indem man mit geschickten Fingern mehrere Platten zu neuen Klangcollagen zusammenmischte. Dazu gesellte sich der markante Sprechgesang, und das Fundament für eine neue Stilrichtung war gelegt.

Erfolg als Hip-Hop-Künstler als Garant für Rechtsstreitigkeiten

Je mehr der damals neuartige Sound jedoch an Popularität gewann, desto mehr rückte eine zentrale Problematik in die Öffentlichkeit: Wer mit Klängen anderer hantiert, um ein eigenes musikalisches Werk zu kreieren, begibt sich schnell auf ein urheberrechtlich schwieriges Terrain. 

Die erste gerichtliche Auseinandersetzung über ein Sample – so wird ein einer fremden Quelle entnommenes Klangfragment genannt, das als musikalischer Baustein eines neuen Werks verwendet wird – soll im Jahr 1987 stattgefunden haben. Der Auslöser war ein ungenehmigtes Klangfragment in dem Dance-Gassenhauer „Pump Up The Volume“.

Bereits zahlreiche Rapper machten vor Gericht von sich reden

Zu weltweitem Bekanntheitsgrad brachte es die Sample-Problematik in den frühen Neunzigerjahren. Etliche Musikliebhaber erinnern sich garantiert an die rechtliche Auseinandersetzung zwischen Funk-Superstar Rick James und Rapper MC Hammer. „U Can’t Touch This“ klang James’ Hit „Superfreak“ teils zum Verwechseln ähnlich. 

Und auch die Art und Weise, mit der sich Vanilla Ice mit „Ice Ice Baby“ an dem Bass-Motiv von „Under Pressure“ von Queen bedient hatte, sorge für einen Eklat, der in die Musikgeschichte eingehen sollte. Spätestens jetzt schien es überall angekommen zu sein: Hip-Hop und ein Hang zur Klangkleptomanie gehörten untrennbar zusammen.

Zwei-Sekunden-Sample als Stein des Anstoßes

Spulen wir nun ein paar Jahre vor: 1997 erschien der Chart-Erfolg „Nur mir“ aus der Feder von Rap-Mogul Moses Pelham, seinem Co-Produzenten Martin Haas und der Rapperin Sabrina Setlur. 

In klassischer Hip-Hop-Manier ist der Song ein Klangkonstrukt aus einer Vielzahl von Samples aus mehreren Quellen. Unter anderem kommt ein zwei sekundenlanges Fragment aus dem Kraftwerk-Song „Metall auf Metall“ von 1977 zum Einsatz, das als unterstützendes Percussion-Element erklingt.

Kraftwerk klagt: eine „Tour de France“ von Gericht zu Gericht

Zugegeben: Alle Musiker aufzulisten, die sich bei Kraftwerk bedient haben, wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Dennoch hatten Pelham und Co. im Fall von „Nur mir“ Pech. Die Mitglieder von Kraftwerk wurden auf die ungenehmigte Verwendung des Samples aufmerksam. 

1999 gingen Ralf Hütter und seine Bandkollegen vor Gericht und forderten Unterlassung und Schadensersatz. Was folgte, war ein aufsehenerregender Rechtsstreit, der vor dem Landgericht Hamburg begann und zwei Runden durch sämtliche Instanzen drehte. 

Kraftwerk setzte hierbei unter anderem ein Airplay-Verbot und einen Vertriebsstopp für „Nur mir“ durch, wogegen Pelham sich wehrte. Vor dem letzten Wort des Europäischen Gerichtshofs kam der Fall unter anderem vor den Bundesgerichtshof und vor das Bundesverfassungsgericht.

Das Urteil des BGH von 2012 und die „Reproduzierbarkeit“ von Samples

Der BGH ließ im Streitfall „Metall auf Metall“ gegen „Nur mir“ eine Berufung auf das Recht zur freien Benutzung gemäß § 24 Abs. 1 UrhG nicht gelten. Dieses Recht sorgt dafür, dass ein neues Werk, das Elemente eines Werks eines anderen benutzt, in bestimmten Fällen ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werks veröffentlicht und verwertet werden darf. 

Zwar erkannte der Bundesgerichtshof die Möglichkeit zur freien Verwendung von Samples unter bestimmten Umständen an. Allerdings schloss er eine solche für den Fall aus, in dem die Möglichkeit besteht, die gesampelte Sequenz in vergleichbarer Qualität selbst zu reproduzieren – und gerade einen solchen Fall sah der Bundesgerichtshof hier als gegeben an. 

Zudem sei die Länge des Samples unerheblich – auch kürzeste Klangfetzen seien in solchen Fällen vom Recht zur freien Benutzung ausgenommen. Viele Hip-Hop-Fans sahen ihre Lieblingsmusikrichtung bereits in einem endlosen Sumpf aus Rechtsstreitigkeiten versinken. Pelham legte Verfassungsbeschwerde ein – und hatte Erfolg.

2016 mischte das Bundesverfassungsgericht die Karten neu

Die Ansichten des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) erwiesen sich als konträr zu denen des BGH. Zwar betonten die Karlsruher Richter weiterhin den hohen Stellenwert einer gerechten Abwägung der Interessen von Urheber und Sampler. Allerdings kam nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts im vorliegenden Fall der künstlerischen Freiheit ein höherer Stellenwert zu – das Urteil des BGH wurde daher aufgehoben.

Maßgeblich für die Zulässigkeit eines ungenehmigten Samples sei nämlich vielmehr die Ähnlichkeit des mit der entlehnten Sequenz versehenen Songs mit der Originalaufnahme, aus der das Klangfragment entnommen wurde. Dabei sei ausschlaggebend, ob dem „Gesampelten“ durch die Neuverwertung seines Werks wirtschaftliche Nachteile entstanden seien, indem die „Neuauflage“ mit seinem Originalwerk „in Konkurrenz trete“. Dies sei hier nicht der Fall. 

Bundesverwaltungsgericht: Die Reproduzierbarkeit von Samples ist kein Kriterium

Dem Kriterium der „Reproduzierbarkeit“ widersprachen die Karlsruher Richter in aller Deutlichkeit. Ein grundsätzlicher Schutz „kleiner und kleinster Teile“ sei letztendlich nicht gegeben. 

Am stärksten widersprach das Bundesverfassungsgericht allerdings möglicherweise seinem weitverbreiteten Klischeebild einer ewiggestrigen Instanz, indem es den Einsatz von Samples als essenziellen Bestandteil des Hip-Hops definierte. Zudem sei die authentische Auseinandersetzung mit musikalischem Quellmaterial ein wichtiger Bestandteil der Stilistik. Abschließend wurde das Verfahren an den BGH zurückverwiesen. Dieser legte den Fall dem Europäischen Gerichtshof vor. Durch dessen Entscheidung ist diesen Montag ein 20-jähriger Rechtsstreit zu seinem Ende gekommen.

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs

Die Luxemburger Richter gaben sich zuerst konsequent: Im Grunde genommen sei bereits die Übernahme kurzer Sequenzen eine Vervielfältigung eines Songs, die nur dem Inhaber der Rechte an diesem zustehe, gestanden die Luxemburger Richter ein. 

Allerdings liege keine Vervielfältigung im Sinne der EU-Richtlinie 2011/29/EG zur Vervielfältigung und Verbreitung von Tonträgern vor, wenn die Sequenz, die durch das Sampling entsteht, beim Hören nicht wiedererkennbar sei und der Musiker auf diese Weise ein neues, unabhängiges Werk schaffe. 

EuGH: Nur wenn eine Sequenz unverändert übernommen wird, besteht die Gefahr einer Rechtsverletzung

Bei Pelhams Song „Nur mir“, wo die Originalsequenz beim ersten Hören nicht wiederzuerkennen sei, könne man von einem solchen Fall sprechen. Nur ein Musikwerk, das sämtliche Töne unverändert übernimmt, könne somit eine Kopie sein, beschlossen die Richter. Zudem bestehe die Möglichkeit, dass ein unveränderter Sampler auch ein Zitat gemäß der EU-Richtlinie 2011/29/EG sein kann. 

Auch der EuGH lässt das Recht zur freien Benutzung bei Samples nicht gelten

Der Wermutstropfen: Die Richter fällten die Entscheidung, dass das deutsche Recht der freien Benutzung gemäß § 24 UrhG nicht mit dem EU-Recht vereinbar ist. Der Europäische Gerichtshof argumentierte, dass das EU-Recht die Interessen von Herstellern und Nutzern urheberrechtlich geschützter Werke höher stellt. 

Die EU-Mitgliedsstaaten dürfen aber nur höhere Schutzstandards für urheberrechtliche Werke festlegen als die EU, keine niedrigeren. Welche Auswirkungen der Ausgang des viel beachteten Rechtsstreits auf die Hip-Hop- und Rap-Szene haben wird, wird sich zeigen. Es scheint allerdings naheliegend, dass zahlreiche Produzenten und Künstler aufatmen werden.

(JSC)

Foto(s): ©Fotolia.com

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