Pflichtteilsreduzierung durch Schenkung unter Wohnrechtsvorbehalt?

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Anmerkung zu OLG München, Urteil vom 08.07.2022, 33 U 5525/21


Pflichtteilsansprüche sind durch rechtzeitige Schenkung reduzierbar

Eins ist dem Praktiker im Erbrecht klar: Pflichtteilsansprüche sind unvermeidbar. Erblasser dürfen ihre Kinder und Ehegatten enterben, deren Pflichtteilsansprüche haben allerdings in aller Regel mit Ausnahme von seltenen und krassen Fällen (z.B. Mordversuch des Pflichtteilsberechtigten am Erblasser) Bestand. Um etwaige Pflichtteilsansprüche zu reduzieren, müssen Maßnahmen zu Lebzeiten ergriffen werden, zum Beispiel die Verringerung des späteren Nachlasses durch Schenkung einer Immobilie an den späteren Erben. Wird rechtzeitig geschenkt, also mindestens 10 Jahre vor dem Erbfall (vgl. Paragraf 2325 BGB), zählt die Immobilie erstens nicht mehr zum Nachlass und zweitens auch nicht zum sogenannten Ergänzungsnachlass und löst deshalb auch keine Pflichtteilsergänzungsansprüche aus.

Ausnahme: Vorbehalt eines umfassenden Nutzungsrechts wie das Nießbrauchsrecht

Dies gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Behält sich der Schenker an der geschenkten Immobilie ein umfassendes Nutzungsrecht vor, zum Beispiel das Nießbrauchsrecht gemäß § 1030 BGB, läuft nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes die 10-Jahres-Frist des § 2325 Abs. 3 BGB nicht an (BGH, Urteil vom 27.04.1994, IV ZR 132/93). Denn aufgrund des vorbehaltenen umfassenden Nutzungsrechts gibt der Schenker den „Genuss“ der verschenkten Immobilie nicht auf. Zwar ist der Schenker nicht mehr Eigentümer der Immobilie, das von ihm vorbehaltene Nießbrauchsrecht erlaubt ihm jedoch weiterhin, die Immobilie allein unter Ausschluss des Beschenkten wie ein Eigentümer selbst zu nutzen oder auch anderen Personen zu vermieten oder unentgeltlich zur Nutzung zu überlassen. In diesem Fall ist es einfach nicht gerechtfertigt, die Immobilie bei der Bezifferung der Pflichtteilsforderung unberücksichtigt zu lassen.

Rückausnahme: Vorbehalt nur eines Wohnungsrechts ermöglicht Pflichtteilsreduzierung

Wiederum anders ist es, wenn sich der Schenker nicht das umfassende Nutzungsrecht an der Immobilie vorbehält, sondern nur ein Wohnungsrecht gemäß  § 1093 BGB. Grundsätzlich erlaubt das vorbehaltene Wohnungsrecht dem Berechtigten die Nutzung der Immobilie nur zu eigenen Wohnzwecken, die Vermietung oder unentgeltliche Nutzungsüberlassung an andere Personen ist nicht möglich. Weil das Wohnungsrecht gegenüber dem Nießbrauchsrecht grundsätzlich also nur eingeschränkte Nutzungsrechte an der Immobilie gewährt, gehen der Bundesgerichtshof (Urteil vom 29.06.2016, IV ZR 474/15) und das OLG Karlsruhe (Urteil vom 15.01.2008, 12 U 124/07) davon aus, dass die Schenkung unter Vorbehalt eines Wohnungsrechts die 10-Jahres-Frist des § 2325 Abs. 3 BGB beginnen lässt. Damit ist die Schenkung einer Immobilie unter Vorbehalt eines Wohnungsrechts grundsätzlich geeignet, Pflichtteilsansprüche zu reduzieren.

…wobei der Teufel wieder einmal im Detail steckt 

Allerdings gilt dies nicht uneingeschränkt, wie das OLG München im Urteil vom 08.07.2022, 33 U 5525/21 entschied. Nämlich dann, wenn sich das Wohnungsrecht nicht auf einzelne Räume oder eine einzelne Wohnung in einem Mehrfamilienhaus erstreckt, sondern an allen Räumen der fraglichen Immobilie besteht und dem Berechtigten damit die alleinige Nutzung unter Ausschluss des Eigentümers erlaubt, ist nach Auffassung des OLG München der Unterschied zum Nießbrauch so geringfügig, dass der wohnungsrechtsberechtigte Schenker ebenfalls den „Genuss“ der Immobilie nicht aufgibt und damit die 10-Jahres-Frist des Paragraf 2325 Abs. 3 BGB nicht anläuft.

Aktuelle Entwicklung ist bei der Gestaltung zu berücksichtigen 

Ausnahmen, Rückausnahmen und Rück-Rückausnahmen in Bezug auf die rechtlichen Wirkungen pflichtteilsreduzierender Maßnahmen erfordern fachlich fundierte Beratung. Derartige Gestaltungsmaßnahmen müssen unter Berücksichtigung der aktuellsten Entwicklungen in der Rechtsprechung konzipiert und umgesetzt werden, anderenfalls wird die beabsichtigte Gestaltungswirkung, nämlich die deutliche Verminderung etwaiger Pflichtteilsansprüche, schlicht nicht erreicht. Unsere Fachanwältinnen und Fachanwälte stehen Ihnen bundesweit mit fachlich fundiertem Rat und dem aktuellsten Know-how gern für Ihr Gestaltungsanliegen zur Verfügung.

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