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Proteste in Charlotte – Tödliche Schüsse durch die Polizei in den USA

  • 4 Minuten Lesezeit
Christian Günther anwalt.de-Redaktion

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Erneut sorgt der Fall eines durch Polizeischüsse getöteten Afroamerikaners in den USA für massive Proteste. Ort des Vorfalls ist Charlotte, eine Stadt im US-Bundesstaat North Carolina. Zwei Nächte in Folge kam es dort nun zu gewalttätigen Ausschreitungen, während derer ein weiterer Mann durch einen Unbekannten erschossen wurde. Seit Donnerstagabend gilt nun eine Ausgangssperre in der 800.000-Einwohner-Stadt. Viele gingen dennoch auf die Straßen, blieben jedoch weitgehend friedlich.

Umstände der tödlichen Schüsse unklar

Bei dem am Dienstag Getöteten handelt es sich um Keith Lamont Scott (43). Eines der wenigen offiziell bekanntgegebenen Details ist, dass der ebenfalls schwarze 26-jährige Polizist Brentley Vinson auf ihn geschossen habe. Das soll vermutlich den Eindruck erwecken, dass es sich um keinen Fall rassistischer Polizeigewalt handele. Dennoch sorgte der Fall wegen seiner noch unklaren Umstände für Aufruhr.

Nach Darstellung seiner Familie hatte Scott ein Buch auf dem Rücksitz gelesen, als die Polizei ihn erschoss. Dabei habe er gerade auf seinen Sohn gewartet, den er von der Schule abholen wollte. Die Polizei war zufällig anwesend, weil sie gerade einen gegen eine andere Person gerichteten Haftbefehl vollstrecken wollte, mit der Scott aber nichts zu tun hatte.

Die Tochter streamte das Geschehen nach den Schüssen über ihr Smartphone live auf Facebook, von wo sich die Nachricht schnell verbreitete. Sie behauptete dabei, die Polizei habe viermal auf ihren Vater geschossen, weil er schwarz gewesen sei. Er habe keine Waffe gehabt. Nachdem sie feststellte, dass ihr Vater tot war, schrie sie laut während des Streamings.

Polizei will Video nicht veröffentlichen

Der Vorfall wurde zudem von den in den USA bei Polizisten verbreiteten Body-Cams auf Video aufgezeichnet. Die Polizei will dieses jedoch mit dem Verweis auf laufende Ermittlungen nicht veröffentlichen. Nur die Familie des Getöteten, ihr Anwalt und die Bürgermeisterin von Charlotte durften die Aufzeichnung bislang sehen. Die Meinung der Familien und ihres Anwalts sowie die Meinung der Polizei gehen danach weiter auseinander. Die Familie fordert die Polizei auf, das Video zu veröffentlichen.

Laut Aussage der Polizei fand sich kein Buch am Tatort. Wie der örtliche Polizeichef Kerr Putney zudem mitteilte, sei jedoch eine Handfeuerwaffe vor Ort sichergestellt worden. Aussagen anderer Polizisten zufolge habe Scott den Wagen zuvor mit einer solchen Waffe verlassen und sei dann damit wieder eingestiegen. Aus Sicht der Polizei habe er daher eine „imminent threat“ (unmittelbare Bedrohung) dargestellt. Als Scott erneut aus dem Auto ausstieg, habe er polizeiliche Anweisungen missachtet, woraufhin es zu den Schüssen auf ihn gekommen sei. Der Polizeichef weist dabei darauf hin, dass das Recht von North Carolina den Rückschluss auf eine unmittelbare Bedrohung auch bereits anhand von Gesten einer Person, ihrem aggressiven Verhalten und anderen Gründen zulasse.

Notwehrrecht in den USA

Auch sonst lässt das US-Recht der Polizei erheblichen Spielraum beim Waffengebrauch. Nur wenige Polizisten müssen sich in den USA überhaupt vor Gericht verantworten. Fälle, in denen es doch zu einer Anklage kommt, enden nicht selten mit Freispruch – die dann regelmäßig erneut für Proteste sorgen.

Bei Privatleuten hängt das Ausmaß der erlaubten Notwehr stark vom jeweiligen US-Bundesstaat ab. In etwas mehr als der Hälfte von ihnen existieren sogenannte „Stand-your-ground-Laws“ verschiedener Ausprägung. Gemeinsamer Nenner ist das vorrangige Recht zur Verteidigung anstelle des Rückzugs auch wenn diese tödlich endet. Vor allem, was die Verhältnismäßigkeit angeht, variiert die rechtmäßige Verteidigung von Staat zu Staat. Vorreiter eines gesetzlich verankerten und besonders stark ausgeprägten „Stand-your-ground“-Rechts war dabei im Jahr 2005 der US-Bundesstaat Florida. Wie weit dieses Recht zur Verteidigung reicht, werden dortige Gerichte nun an folgendem Fall klären müssen: Im Januar 2014 ärgerte sich ein Polizist im Ruhestand in einem Kino darüber, das ein Mann während der Filmvorschauen seiner Tochter Textnachrichten sendete. Er forderte ihn auf, damit aufzuhören. Der weigerte sich, es kam zum Streit, worauf der Kinobesucher dem ehemaligen Polizisten Popcorn ins Gesicht warf. Dieser zog darauf eine Waffe aus der Tasche an seinem Sitzplatz und schoss dem Popcornwerfer in die Brust, der darauf starb. Der Polizist berief sich auf das Notwehrrecht, der Getötete habe ihn körperlich bedroht. Dabei habe er nicht erkennen können, dass es sich um harmloses Popcorn gehandelt habe. Über die Anklage wegen „second degree-murder“ (Mord aus Affekt) wird aktuell noch verhandelt (State of Florida vs Curtis Reeves, Az. 140216CFAES).

Keine Schüsse auf Fliehende

Für Polizisten sind dagegen zwei Entscheidungen des höchsten US-Gerichts, dem US Supreme Court, von Bedeutung. Im Fall Tennessee v. Garner stellte dieser fest, dass es Polizisten nicht erlaubt ist, auf fliehende Verdächtige zu schießen, um deren Flucht zu verhindern. Mit Blick auf eine Notwehrlage machte der Supreme Court allerdings auch Folgendes klar: Sie kann bereits dann vorliegen, wenn ein Polizist glaubhaft vorbringt, dass die Person gewalttätig erschien und von ihr eine tödliche Bedrohung bzw. die Gefahr ernsthafter Schäden für die Gemeinschaft auszugehen schien.

Eine weitere Entscheidung (Graham v. Connor) hat diese Schwelle weiter herabgesenkt. Danach genügt das Vorbringen, ein vernünftig handelnder Polizist habe in der konkreten Situation auch tödlich endende Gewaltanwendung für notwendig erachten dürfen. Die kurze Zeit, in der Polizisten ihre Entscheidungen treffen müssen, wertete der Supreme Court dabei zugunsten der Polizei. Dabei trägt die in den USA auf dem sogenannten Fallrecht (case law) basierende Rechtsordnung dazu bei, dass andere Gerichte diese Prinzipien bei ihren eigenen Fällen anwenden.

(GUE)

Foto(s): ©Fotolia.com

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