Schwerbehindertenrecht: Feststellung des Merkzeichens „H“

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Sachverhalt:

Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren um die Entziehung des Merkzeichens H nach den Vorschriften des SGB IX. Bei der 1996 geborenen Klägerin war mit Bescheid von 20.01.2010 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 sowie – unbefristet – das Merkzeichen H festgestellt worden. Als Funktionsstörung hatten dem „autistische Störungen“ zugrunde gelegen. Der Klägerin wurde mit Bescheid vom 24.03.2015 das Merkzeichen H entzogen, weil der ärztliche Dienst des beklagten Landes die Auffassung vertrat, dass das Merkzeichen H nach dem Erreichen des 18. Lebensjahres nicht mehr festzustellen sei. Hilflosigkeit im Sinne der Versorgungsmedizin liege nicht mehr vor. Die Besonderheiten, die mit dem Nachteilsausgleich H bei Kindern und Jugendlichen berücksichtigt werden, finden nach Vollendung des 18. Lebensjahres keine Berücksichtigung mehr. Wie bisher bestehen geringe bis mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten, sodass ein GdB von 50 weiterhin zutreffend sei, jedoch nicht mehr der Nachteilsausgleich H.

Daraufhin hat die Klägerin am 07.08.2015 Klage erhoben. Das Sozialgericht Braunschweig hat den Bescheid des beklagten Landes vom 24.03.2015 in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid vom 10.07.015 gefunden hat, mit Urteil vom 14.06.2017 aufgehoben. Die Aufhebung des das Merkzeichen H bewilligenden Verwaltungsaktes sei nicht gerechtfertigt, da keine wesentliche Änderung eingetreten sei. Die Klägerin benötige im gesamten Tagesverlauf Hilfestellungen. Gegen das Urteil des SG hat das beklagte Land Berufung eingelegt.

Die Entscheidung:

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen stellt im Urteil vom 28. März 2019, L 10 SB 111/17, fest, dass die Berufung nicht begründet ist. Das SG hat den Bescheid des beklagten Landes zu Recht aufgehoben, da dieser rechtswidrig sei und die Klägerin in ihren Rechten verletze. Die Klägerin habe nach wie vor einen Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens H.

Selbst wenn angenommen werde, dass im Erreichen des 18. Lebensjahres eine Änderung der rechtlichen Verhältnisse im Sinne von § 48 SGB X liege, bedeute dies jedoch nicht, dass ab dem Erreichen dieses Lebensjahres automatisch das Merkzeichen H zu entziehen wäre. Stattdessen sei jeweils zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens H nach allgemeinen Maßstäben zu bejahen seien.

Gemäß § 33b Abs. 6 S. 3 EStG ist eine Person hilflos, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Diese Voraussetzungen seien schon erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den in Satz 3 dieser Vorschrift genannten Verrichtungen erforderlich sei oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden müsse, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich sei (§ 33b Abs. 6 S. 4 EStG). Bei den gemäß § 33b Abs. 6 EStG zu berücksichtigenden Verrichtungen handele es sich um solche, die im Ablauf eines jeden Tages unmittelbar zur Wartung, Pflege und Befriedigung wesentlicher Bedürfnisse des Betroffenen gehören sowie häufig und regelmäßig wiederkehren. Berücksichtigungsfähig seien Verrichtungen dabei zunächst in den auch von der Pflegeversicherung erfassten Bereichen der Körperpflege, Ernährung und Mobilität. Die Verrichtungen in diesen Bereichen werden unter dem Begriff der sog. Grundpflege zusammengefasst. Hinzukommen nach der Rechtsprechung des BSG jene Verrichtungen, die in den Bereichen der psychischen Erholung, geistigen Anregung und der Kommunikation anfallen, während Verrichtungen im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung nicht eingeschlossen seien. Hinsichtlich des Ausmaßes des in § 33b EStG angesprochenen Hilfebedarfs in Bezug auf die genannten Verrichtungen sei davon auszugehen, dass die tatbestandlich vorausgesetzte „Reihe von Verrichtungen“ regelmäßig erst angenommen werden könne, wenn es sich um mindestens drei Verrichtungen handele, die einen Hilfebedarf in erheblichem Umfang erforderlich machen. In der Regel werde dabei auf die Zahl der Verrichtungen, den wirtschaftlichen Wert der Hilfe und den zeitlichen Aufwand abzustellen sein.

Ein täglicher Zeitaufwand sei nach der Rechtsprechung des BSG erst dann als hinreichend erheblich anzusehen, wenn dieser mindestens zwei Stunden erreiche. Allerdings sei nicht allein auf den zeitlichen Betreuungsaufwand abzustellen, vielmehr komme auch weiteren Umständen der Hilfeleistung, insbesondere dem wirtschaftlichen Wert, Bedeutung zu.

Fazit:

Allein das Erreichen des 18. Lebensjahres rechtfertigt nicht automatisch die Entziehung des Merkzeichens H. Es ist auch dann zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens nach den oben dargelegten, allgemeinen Grundsätzen erfüllt sind.

Bitte beachten Sie, dass dieser Beitrag – für den wir keine Haftung übernehmen – eine Beratung im Einzelfall nicht ersetzen kann.

Andreas Klinger

Rechtsanwalt und

Fachanwalt für Sozialrecht

Fachanwalt für Verwaltungsrecht

Gaßmann & Seidel, Rechtsanwälte Partnerschaft mbB Stuttgart


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