Sterbehilfe und verfassungswidriger § 217 StGB (Förderung Selbsttötung BVerfG – Urteil 02.2020)

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Mit Urteil vom 26.02.2020, Aktenzeichen 2 BvR 2347/15 ua hat das Bundesverfassungsgericht die Strafnorm § 217 StGB für verfassungswidrig erklärt.

1. Historischer Überblick

Strafjuristen wendeten häufig die Strafvorschriften § 216 StGB „Tötung auf Verlangen“ und § 217 StGB „Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ an, wenn es um Handlungen ging, durch die z.B ein schwerkrankes Familienmitglied oder ein naher Freund vorzeitig ableben sollte und zeitlebens dieser Entschluss gefasst war und wenn Unternehmen Hilfe dazu anbaten. § 216 StGB ist so alt wie unser StGB selbst, dh die Tötung auf Verlangen war bereits im Reichsstrafgesetzbuch von 1871 unter Strafe gestellt.

Vor ca. 25 Jahren wurde dann die Frage eines selbstbestimmten Sterbens immer heftiger diskutiert und zum Topic deutscher Juristentage gemacht. 2002 diskutierte der deutschen Juristentag über die Patientenautonomie im Rahmen des Bürgerlichen Gesetzbuches „Patientenverfügung“ und ob dies ausreichen könne für ein würdevolles Lebensende. 2006 wurden erneut Privatautonomie und der rechtlichen Rahmen bei der Sterbebegleitung besprochen (Patientenverfügung nun § 1901 a BGB)

Öffentlichkeitswirksame Prozesse waren dabei der Fall „Wittig“ (BGH), „Hacketal“ OLG München in Deutschland und der Fall „Vincent Hubert“ in Frankreich und weitere Fälle in Spanien.

2. Begriffe erklärt

Der Begriff des Lebens ist unserer Verfassung vorangestellt (Art. 2 Grundgesetzt) und in der Menschenrechtskonvention als universelles, von jeder staatlichen Gewalt schützenswertes Menschenrecht „Recht auf Leben“ verankert.

Strafjuristisch und öffentlich- rechtlich beginnt der Schutz des Menschenlebens ab Einnistung der Zelle in den Fötus („Nidation“), was sich auch mit Blick auf die Strafnorm des Schwangerschafts-abbruchs § 218 STGB erklärt.

Zivilrechtlich beginnt nach § 1 BGB das Leben erst mit Austritt aus der Leibesfrucht (Argument der Rechtsfähigkeit).

Sprechen Strafgerichte, Staatsanwaltschaften, Rechtsmediziner, Obduktion vom Tod bedeutet dies, dass dessen Zeitpunkt einsetzt, wenn der Gesamthirntod eintritt (Todeszeitpunkt), weil dann alle Vitalfunktionen, Herzschlag und Atmung zum Erliegen gekommen sind.

Den Begriff der „Sterbehilfe“ regelt das Strafgesetzbuch selbst nicht. Mediziner, Ethikrat und Rechtswissenschaftler bezeichnen die Sterbehilfe als medizinische Maßnahme, welche zielführend möglichst schmerzfrei das Leben des Patienten verkürzen (Steller; Ärztliche Suizidhilfe und aktive Sterbehilfe zu § 217 STGB)

  1. Direkte aktive Sterbehilfe bedeutet gezielte Tötung zur Leidensverkürzung eines Menschen durch einen Arzt oder sonstige Person
  2. Indirekte aktive Sterbehilfe: zur Schmerz – und Leidensminderung wird ein Medikamentenmittel eingesetzt und als Nebenwirkung findet man sich mit der Kürzung der Lebensdauer ab. Dies geschieht immer unbeabsichtigt, aber nicht vermeidbar in einer Schmerztherapie bei Sterbenden.
  3. Passive Sterbehilfe, wenn unbedingt erforderliche lebenserhaltene Maßnahmen unterbleiben, die den Todeseintritt verhindern (bzw. Verschieben) würden. Eher durch Unterlassen, denn aktives Tun geprägt.

Relevante Strafvorschriften war immer § 34 StGB (rechtfertigender Notstand), § 211 StGB (Mord), § 212 StGB, § 216 StGB (Tötung auf Verlangen), § 217 StGB (Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung), § 323 StGB (Unterlassene Hilfeleistung).

3. Aufhebung der Strafvorschrift durch das Bundesverfassungsgericht

Nach § 217 StGB 1 wurde mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt und blieb straffrei, wer als Teilnehmer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.

Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Norm für verfassungswidrig und öffnete damit eine Tür hin zu mehr Selbstbestimmung des Lebensendes und weg vom christlich geprägten Umgang mit dem Leben. Es entschied daher wie folgt (Original- Leitsätze):

  1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art 2 I iVm Art 1 I GG umfasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben.
  2. Das Rechst auf Selbstbestimmtes Sterben schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen. Die Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität uns Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzten, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren
  3. Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit angeboten, in Anspruch zu nehmen. 
  4. Auch staatliche Maßnahmen, die einen mittelbare oder faktische Wirkung entfalten, können Grundrechte beeinträchtigen und müssen daher von Verfassungswegen hinreichend gerechtfertigt sein. Das in § 217 Abs. 1 StGB strafbewehrte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung macht es Suizidwilligen faktisch unmöglich, die von ihnen gewählte, geschäftsmäßige angebotene Suizidhilfe in Anspruch zu nehmen. 
  5. Das Verbot der der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung ist am Maßstab strikter Verhältnismäßigkeit zu messen. 
  6. Bei der Zumutbarkeitsprüfung ist zu berücksichtigen, dass die Regelung der assistierten Selbsttötung sich in einem Spannungsfeld unterschiedlicher verfassungsrechtlicher Schutzaspekte bewegt. Die Achtung vor dem grundlegenden, auch das eigene Lebensende umfassende Selbstbestimmungsrecht desjenigen, der sich in eigener Verantwortung dazu entscheidet, sein Leben selbst zu beenden, und hierfür Unterstützung sucht, tritt in Kollision zu der Pflicht des Staates, die Autonomie Suizidwilliger und darüber auch das hohe Rechtsgut Leben zu schützen. 
  7. Der hohe Rang, den die Verfassung der Autonomie und dem Leben beimisst, ist grundsätzlich geeignet, deren effektiven präventiver Schutz auch mit Mitteln des Strafrechts zu rechtsfertigen, Wenn die Rechtsordnung bestimmte, für die Autonomie gefährliche Formen der Suizidhilfe unter Strafe stellt, muss sie sicherstellen, dass trotz des Verbots im Einzelfall ein Zugang zu freiwillig bereitgestellter Suizidhilfe real eröffnet bleibt. 
  8. Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung in § 217 StGB verengt die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung in einem solchen Umfang, dass dem Einzelnen faktisch kein Raum zur Wahrnehmung seiner verfassungsrechtlich geschützten Freiheit verbleibt. Niemand kann verpflichtet werden, Suizidhilfe zu leisten. 

Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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