Therapie statt Strafe - Zurückstellung nach § 35 BtmG - wie geht das? Wann möglich?
- 7 Minuten Lesezeit

§ 35 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) ermöglicht es drogenabhängigen Straftätern, eine verhängte Freiheitsstrafe zugunsten einer Therapie zurückstellen zu lassen. Ziel dieses Paragraph 35 BtmG / dieser Regelung ist es, die Suchtproblematik der Betroffenen anzugehen und somit Straftaten, die durch die Sucht verursacht werden, langfristig zu verhindern.
Zurückstellung - was ist das?
Im Sinne von § 35 BtMG bedeutet Zurückstellung die vorübergehende Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zugunsten einer suchttherapeutischen Maßnahme. Dabei soll der drogenabhängige Straftäter anstelle des Strafvollzugs in einer anerkannten Therapieeinrichtung behandelt werden. Ziel ist es, die Abhängigkeit zu bekämpfen und somit die Grundlage für weitere Straftaten zu beseitigen.
Die Zurückstellung erfolgt unter folgenden Bedingungen:
- Der Verurteilte verpflichtet sich, die Therapie anzutreten und aktiv daran teilzunehmen.
- Das Gericht stellt die Strafvollstreckung nach Prüfung der Voraussetzungen zurück.
- Die Strafvollstreckung kann nach erfolgreicher Therapie reduziert oder erlassen werden.
Wird die Therapie nicht angetreten oder abgebrochen, kann die Zurückstellung widerrufen und die Strafe vollstreckt werden.
Was passiert nach dem Abschluss der Therapie?
Nach erfolgreichem Abschluss der Therapie gemäß § 35 BtMG wird die verbleibende Freiheitsstrafe in der Regel nicht vollstreckt, sondern zumeist zur Bewährung ausgesetzt. Das bedeutet, dass der Verurteilte nicht ins Gefängnis / die Justizvollzugsanstalt zurückkehren muss, sofern er die Bewährungsauflagen einhält.
Die entscheidenden Regelungen dazu finden sich in § 36 BtMG, der die Anrechnung der Therapiezeit auf die Freiheitsstrafe vorsieht. Die in der Therapieeinrichtung verbrachte Zeit wird wie Haftzeit behandelt und auf die Strafe angerechnet. Nach Erreichen des 2/3-Zeitpunkts der Strafe kann diese zur Bewährung ausgesetzt werden.
In § 36 BtMG heißt es dazu:
"Ist die Vollstreckung zurückgestellt worden und hat sich der Verurteilte in einer staatlich anerkannten Einrichtung behandeln lassen, so wird die vom Verurteilten nachgewiesene Zeit seines Aufenthaltes in dieser Einrichtung auf die Strafe angerechnet, bis infolge der Anrechnung zwei Drittel der Strafe erledigt sind."
Die Dauer der Therapie richtet sich demnach nach der noch verbleibenden Reststrafe.
Wichtig ist jedoch: Wird die Therapie abgebrochen oder scheitert der Verurteilte an den Bewährungsauflagen, kann die Vollstreckung der Strafe wieder aufgenommen werden.
Voraussetzungen für die Zurückstellung der Strafvollstreckung - also die Anwendung von § 35 BtMG
Damit eine Strafe zurückgestellt werden kann, müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:
Nachgewiesene Betäubungsmittelabhängigkeit: Es muss ein klarer Zusammenhang zwischen der Suchterkrankung und den begangenen Straftaten bestehen. Die Abhängigkeit sollte durch ein Gutachten oder eine ärztliche Bestätigung dokumentiert sein.
Freiheitsstrafe von maximal zwei Jahren: Eine Zurückstellung ist nur möglich, wenn die verhängte Freiheitsstrafe zwei Jahre nicht überschreitet. Bei Gesamtstrafen darf der verbleibende Strafrest ebenfalls nicht über zwei Jahre liegen.
Bereitschaft und Zugang zu einer Therapie: Der Verurteilte muss eine geeignete Therapieeinrichtung finden und die Aufnahme nachweisen. Auch ein konkreter Aufnahmetermin ist erforderlich.
Zustimmung des Gerichts: Das Gericht des ersten Rechtszugs muss der Zurückstellung zustimmen.
Praktisches Vorgehen
Die Zurückstellung funktioniert leider nicht von heute auf morgen, sondern erfordert einen gewissen Planungs- und Organisationsaufwand. Zudem ist die Stellung des Antrages nicht unkompliziert.
Frühzeitige Planung: Bereits während des Ermittlungs- oder Hauptverfahrens sollte die Verteidigung die Weichen für eine mögliche Anwendung von § 35 BtMG stellen. Hierzu gehört insbesondere der Nachweis der Abhängigkeit sowie die Sicherstellung eines Therapieplatzes.
Therapieplatzzusage: Der Beginn der Behandlung muss gewährleistet sein. Eine Kostenzusage durch den Träger der Einrichtung kann erforderlich sein. In einigen Bundesländern gibt es jedoch Übergangseinrichtungen, bei denen keine Kostenzusage notwendig ist.
Antragstellung: Der Antrag auf Zurückstellung wird durch den Verteidiger bei der zuständigen Staatsanwaltschaft eingereicht, die diesen dann beim Gericht beantragt. Dabei sollte die Kausalität der Suchterkrankung für die Straftat klar herausgearbeitet werden.
Kontrolle und Nachweis: Die Therapie wird durch das Gericht kontrolliert. Nach erfolgreichem Abschluss kann die verbleibende Strafe unter bestimmten Voraussetzungen erlassen oder zur Bewährung ausgesetzt werden.
Wie lege ich dar, dass die abgeurteilte Tat aufgrund einer bestehenden Betäubungsmittelabhängigkeit begangen wurde?
Der Beleg über den Zusammenhang zwischen der begangenen Tat und einer bestehenden Suchtmittelerkrankung ergibt sich in der Regel aus der Urteilsbegründung. Sofern sich also aufgrund der Erkenntnisse aus der Hauptverhandlung (geständige Einlassung, Zeugenaussagen, Art des Delikts etc.) ableiten lässt, dass die Straftaten aufgrund einer bestehenden Abhängigkeit von Drogen begangen wurde, wird das Gericht entsprechendes ins Urteil reinschreiben. Dabei spielen auch die persönlichen Verhältnisse des Verurteilten eine Rolle, die - sofern im Rahmen der Hauptverhandlung etwas bekannt wird - auch die Lebensgeschichte des Verurteilten wiedergeben.
Ist der Angeklagte geständig und wird zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und verzichtet zugleich auf Rechtsmittel, kann es sein, dass nach § 267 Abs. 4 StPO die Urteilsgründe abgekürzt werden. Dies kann zu Schwierigkeiten bei der Begründung eines Antrages nach § 35 BtMG führen, denn die Abhängigkeit von Drogen bzw. Suchtmitteln ergibt sich dann nicht aus den Urteilsgründen. In diesem Falle kann der Verteidiger im Rahmen seines Antrages auf Zurückstellung der Strafe nach § 35 BtMG auf andere Erkenntnisquellen zurückgreifen. Wurde die Strafe des (später) Inhaftierten z.B. mit einer Auflage zur Drogentherapie zur Bewährung ausgesetzt, kann die Therapieauflage ein entscheidendes Indiz dafür sein, dass der Inhaftierte zum Zeitpunkt der Verurteilung und zum Zeitpunkt der Taten betäubungsmittelabhängig (z.B. Cannabis, Kokain, Heroin) gewesen ist. Der Zusammenhang zwischen den begangenen Taten und der Betäubungsmittelabhängigkeit ist dann erheblich leichter festzustellen.
Gleiches gilt auch für existierende Sachverständigengutachten durch Psychologen und Psychiater, Sozialarbeiter, Stellungnahmen im Rahmen der Führungsaufsicht etc. Auch diese Dokumente können hilfreich sein, um ggü. Staatsanwaltschaft und Gericht einen Antrag nach § 35 BtMG zu begründen. Sofern Ihnen solche Unterlagen vorliegen sollten, sollten diese bei der Vorbereitung der Antragstellung an Ihren Verteidiger übergeben werden. Gerne prüfen wir solche Unterlagen für Sie.
Herausforderungen und Tipps
Nachweis der Kausalität: Es muss aus dem Antrag klar hervorgehen , dass die Suchterkrankung ursächlich für die begangene Straftat war. Dies ist insbesondere bei finanziell motivierten Delikten wie Diebstahl oder Betrug oft ein zentraler Punkt. Häufig ist es aber so, dass im Zuge einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung viele Delikte abgeurteilt werden, von denen einige im direkten Zusammenhang mit einer bestehenden Betäubungsmittelabhängigkeit stehen, andere aber nicht. Dann ist auf den Schwerpunkt des Urteils abzustellen - insbesondere mit Blick auf die Höhe der jeweiligen Einzelstrafen. Grob zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Chancen auf einen erfolgreichen Antrag steigen, je mehr Einzeltaten nachgewiesenermaßen aufgrund von Betäubungsmittelabhängigkeit begangen wurden.
Die richtige Therapie finden: Eine Therapie nach § 35 BtMG kann bei allen Betäubungsmittelabhängigkeiten beantragt werden. Davon ausgenommen ist jedoch Alkohol. Die Therapie erfolgt in der Regel stationär erfolgen. Auch ambulante Therapien sind unter Umständen möglich. Es muss sich allerdings um ein anerkanntes Therapiekonzept handeln.
Kooperation und frühzeitige Kontaktaufnahme mit Therapieeinrichtungen: Eine enge Abstimmung mit der gewählten Einrichtung und eine frühzeitige Beantragung von Kostenzusagen sind essenziell.
Finanzierung der Maßnahme: Es ist unabdingbar einen Kostenträger zu finden, der für die Kosten der Therapie aufkommt. Dies wird der Inhaftierte in der Regel nicht selbst leisten können. Hier lohnt es sich, beispielsweise bei der deutschen Rentenversicherung (DRV) oder bei der Caritas nachzufragen. Es können aber auch kommunale Träger die Kosten übernehmen.
Gesamtstrafenbildung: Bei weiteren anhängigen Verfahren sollte darauf geachtet werden, dass die Gesamtstrafenbildung die Zweijahresgrenze nicht überschreitet.
Anwaltliche Hilfe
Die Antragstellung kann oft herausfordernd sein. Erfahrungsgemäß sind solche Anträge erfolgreich, bei denen der Verteidiger den Zusammenhang zwischen Suchterkrankungen und den begangenen Straftaten anhand des Urteils, vorliegenden Gutachten und sonstigen Dokumenten belegt. Eine gründliche Vorbereitung und die sorgfältige Aufarbeitung der medizinischen und juristischen Aspekte erhöhen die Erfolgsaussichten erheblich. Dabei können auch landesspezifische Besonderheiten, wie Listen anerkannter Therapieeinrichtungen oder regionale Unterschiede bei den Kostenzusagen, eine wichtige Rolle spielen. Ein erfahrener Strafverteidiger kann zudem sicherstellen, dass alle erforderlichen Unterlagen rechtzeitig eingereicht und korrekt aufbereitet werden.
Sofern Ihr Antrag abgelehnt wurde, lassen Sie die Ablehnungsentscheidung gerne durch uns prüfen. Unter Umständen wurden im Rahmen der Antragstellung Fehler gemacht, die sich noch korrigieren lassen.
Fazit
§ 35 BtMG bietet drogenabhängigen Straftätern eine zweite Chance und kann langfristig zur Resozialisierung beitragen. Die erfolgreiche Antragstellung für die Zurückstellung nach § 35 BtMG erfordert jedoch ein strategisches Vorgehen und intensive Vorbereitung. Ein erfahrener Strafverteidiger ist hier von großem Vorteil, um die Chancen auf eine Therapie statt Vollstreckung der Freiheitsstrafe zu maximieren.
Gerne berate ich Sie in allen Fragen rund um das Strafrecht, das Betäubungsmittelstrafrecht und das Strafvollstreckungsrecht und vertrete Sie in NRW (Bonn, Euskirchen, Sankt Augustin, Sinzig, Koblenz, Hürth etc. und im Raum Köln) sowie bundesweit.
Ich vertrete Sie als Ihr erfahrener Verteidiger und stehe Ihnen in allen strafrechtlichen Belangen zur Seite.
Sofern Sie Angehöriger von Inhaftierten in der JVA Ossendorf, JVA Euskirchen, JVA Rheinbach oder JVA Siegburg, JVA Frankenthal oder JVA Wuppertal sind, kommen Sie gerne auf uns zu - wir sind im Umgang mit diesen Justizvollzugsanstalten erfahren. Aber auch alle anderen Justizvollzugsanstalten (bundesweit) gehören zu unserem Einzugsgebiet.
Kontaktieren Sie mich - gerne über das Kontaktformular bei anwalt.de oder über die Internetpräsenz unserer Kanzlei.
Rechtlicher Hinweis: Dieser Artikel stellt keine vollständige rechtliche Beratung dar und ersetzt nicht das persönliche Gespräch mit einem qualifizierten Anwalt.

Philip Bafteh
Rechtsanwalt und Strafverteidiger
Kanzlei Bafteh Schönbrunn van Hattem
Rechtsanwälte in Bürogemeinschaft
Prinz-Albert-Straße 63
53113 Bonn
Büro: +49 (0) 228 504 463 36
Fax: +49 (0) 228 929 348 19
Mobil: +49 (0) 176 61 05 93 17
E-Mail: bafteh@kanzlei-bsvh.de
Web: https://www.kanzlei-bsvh.de
Artikel teilen: