Tipps für die Verteidigung gegen Corona-Bussgelder - mit oder ohne Anwalt!

  • 6 Minuten Lesezeit

Von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Strafrecht Claus Pinkerneil


Die Verteidigung gegen Bussgeldbescheide aufgrund von Verstößen gegen die Corona-Verordnungen (insb. Abstandsgebot, Kontaktbeschränkung etc) hat unserer Erfahrung nach gute Erfolgsaussichten. Hier gilt: Je früher der Verteidiger ansetzen (im Idealfall gleich nach der Polizeikontrolle) und argumentieren kann, desto besser stehen die Chancen, das Verfahren zur Einstellung bringen zu können.

Unter Kostengesichtspunkten lohnt die Einschaltung eines Anwalts dann, wenn eine Rechtsschutzversicherung besteht: Alle gängigen Rechtsschutzversicherungen tragen insofern die anfallenden Anwalts- und Gerichtskosten.

Ohne Rechtsschutzversicherung wären die Kosten allerdings meist höher als das Bußgeld.

Allerdings rate ich in anbetracht der grundsätzlich guten Erfolgsaussichten dazu, notfalls auch ohne Anwalt Einspruch gegen die Bussgeldbescheide einzulegen:


1.

Zum einen können Sie beantragen, dass Ihnen Ihr Anwalt (mit dem Sie aber vorher darüber gesprochen haben sollten) als Pflichtverteidiger beigeordnet wird. Der Anwalt erhält dann seine Gebühren aus der Staatskasse.

Ein solcher Antrag kann – je nachdem wo das Verfahren anhängig ist – bei Gericht oder aber auch schon ggü der Bussgeldstelle gestellt werden. Hierfür können Sie nachfolgende Formulierung verwenden:

Hiermit beantrage ich, mir gem. §§ 46 Abs.1 OwiG, 140 Abs.2 S.1 StPO wegen Schwierigkeit der Rechtslage Rechtsanwalt …. (Name, Adresse) … als Pflichtverteidiger beizuordnen: 

Die Rechtslage ist schwierig, so dass ich mich nicht selbst ausreichend verteidigen kann:

Eine schwierige Rechtslage i.S.d. Gesetzes ist nach der Rechtsprechung gegeben, wenn bislang nicht ausgetragene Rechtsfragen entschieden werden müssen, insb. nicht abschließend geklärte Rechtsfragen ausserhalb des Kernstrafrechts entscheidungserheblich sind (vgl. Meyer-Goßner § 140 StPO Rdnr. 27A m.w.N.).

Das ist hier der Fall:

Die Regelungen der Corona-Verordnung sind neu, abschliessende obergerichtliche Rechtsprechung zu ihrer Auslegung ist bislang nicht bzw nur in geringem Umfang ergangen, amtsgerichtliche Entscheidung sind extrem unterschiedlich bzw widersprechen sich. Insb. ist bislang verwaltungs- und verfassungsrechtlich weitestgehend ungeklärt, ob die Regelungen überhaupt rechtswirksam sind, insb. ob sie mit höherrangigem Recht bzw Verfassungsrecht in Einklang stehen. Bislang sind grösstenteils Eilentscheidungen ergangen, in denen die Verwaltungs- und Verfassungsgerichte  diese Frage i.d.R. ausdrücklich als "offen" bezeichnet haben, Hauptsacheentscheidungen liegen zu den meisten Fragen noch nicht vor. 

Nach alldem ist die Rechtslage schwierig und begründet einen Fall notwendiger Verteidigung. Rechtsanwalt ………………… ist einer der bundesweit wenigen Strafverteidiger die sich intensiv ins "Corona-Recht" eingearbeitet haben und hat sich bereit erklärt die Pflichtverteidigung zu übernehmen.“

Gegen eine Ablehnung der Pflichtverteidigerbeiordnung durch die Bussgeldstelle kann Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt, gegen eine Ablehnung durch das Gericht Beschwerde eingelegt werden.

Zu beachten ist jedoch, dass auch eine Pflichtverteidigung keineswegs immer „kostenlos“ ist: Denn sollten Sie später doch verurteilt werden, gelten die Pflichtverteidigergebühren als Verfahrenskosten, die Ihnen dann nachträglich auferlegt werden. Die Pflichtverteidigerbeiordnung entbindet Sie somit zwar zunächst davon, den Anwalt selbst bezahlen zu müssen – ist aber keine „Rechtsschutzversicherung“ die Ihnen das Prozesskostenrisiko abnimmt.


2.

Sollte der Antrag auf Pflichtverteidigung (endgültig) abgelehnt werden oder Sie sich aus Kostengründen selbst verteidigen und ohne Anwalt gegenüber der Bussgeldstelle oder Gericht argumentieren wollen, gilt folgendes:

Es bringt erfahrungsgemäss wenig, wenn Sie Ausreden vorbringen oder den Sachverhalt anders darstellen als er im Bussgeldbescheid festgeschrieben ist (z.B. etwa dass Sie gar nicht zu dritt unterwegs waren, die anderen nur zufällig getroffen haben, nur zufällig bei der Demo vorbeigekommen sind etc).

In aller Regel ist es besser hierzu sogar gar keine Aussagen zu machen, da Polizei oder Gerichte Ihnen u.U. „Fangfragen“ stellen.

Erfolgversprechender ist es vielmehr, rein rechtlich zu argumentieren. Das ist natürlich für einen juristischen Laien schwierig und hängt immer vom ganz konkreten Fall ab.

Ich empfehle aber zumindest – und das gilt für alle Corona-Bussgeldverfahren – folgendes anzuführen:

"Die Rechtslage ist uneindeutig, insb. ist noch nicht länderübergreifend und abschliessend verwaltungsgerichtlich geklärt, ob die Regelungen der Verordnung überhaupt rechtswirksam, hinreichend bestimmt und mit höherrangigem Recht und Verfassungsrecht vereinbar sind. Die AGe Weimar (6 Owi 523 Js 202518/20 und Dortmund 733 Owi 64/20) haben diese Frage mit jeweils gewichtigen Gründen verneint. Die bislang hierzu ergangenen Eilentscheidungen der Verwaltungsgerichte haben diese Fragen bislang i.d.R. offen gelassen und - verwaltungsrechtlich - lediglich aufgrund einer Güterabwägung entschieden. Hauptsacheentscheidung sind bislang nur vereinzelt ergangen. 

Der Thüringer Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluss v. 01.03.21 (VerfGH18/20, S. 140ff) befunden, dass die Bussgeldbestimmungen der Corona-Verordnung nichtig sind, da sich die Strafbarkeit nicht hinreichend bestimmt bereits aus dem Infektionsschutzgesetz selbst ergibt.

Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 04.06.1987 (NJW 1987, 2219) soll in einem solchen Fall zweifelhafter Rechtslage grundsätzlich gem. § 47 OwiG von der Verfolgung abgesehen werden (vgl. Göhler § 47 OwiG Rdnr. 4a)." 

Speziell bei Bussgeldern wegen Maskenpflichtverstössen ist zu beachten, dass die “Glaubhaftmachung“  bei der Kontrolle nicht Voraussetzung für eine Befreiung ist: Vielmehr ist der Betroffene bereits per se direkt befreit, wenn ihm das Tragen aus medizinischen Gründen unmöglich ist. D.h. der Nachweis kann grundsätzlich auch später noch erbracht werden – etwa durch ein nachträglich ausgestelltes oder eingereichtes Attest. (Ob insofern nicht sogar der Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ von den Gerichten beachtet werden muss – so dass nicht der Betroffene sondern vielmehr das Gericht nachweisen muss dass der Betroffene nicht befreit ist, ist bislang ungeklärt und bleibt abzuwarten). In Verfahren wegen Verstosses gegen die Maskenpflicht im Freien können Sie folgende Musterbegründung verwenden:

"Die potentielle Rechtsgrundlage für die angeordnete Maskenpflicht genügt mit ihrer indifferenten und pauschalen Regelung nicht dem Bestimmtheitsgrundsatz (vgl. VG Hannover 15 B 5704/20; VG Regensburg 14 S 20.2756; VG Düsseldorf 29 L 2277/20; VG Stuttgart 16 K 5206/20) und stellt damit keine taugliche Grundlage für die Verhängung eines Bussgeldes dar."

Bei Verstössen gegen das allgemeine Abstandsgebot oder Kontaktverboten oder Versammlungsverboten sollten Sie sich darauf berufen, dass die Vorschriften zu unbestimmt bzw unverhältnismässig sind.

Im Fall von Ausgangsbeschränkungen wird teilweise empfohlen nur anzugeben, dass man einen "wichtigen Grund" hatte, das Haus zu verlassen - den Grund aber selbst nicht zu benennen sondern darauf hinzuweisen, dass der Staat dem Betroffenen nachweisen muss, dass kein wichtiger Grund vorlag. Letzteres ist zwar grundsätzlich richtig. Dennoch ist von dieser Taktik abzuraten: Denn mit der Angabe, dass Sie einen wichtigen Grund haben haben Sie bereits eine Aussage zur Sache gemacht - mit der Folge, dass Ihr weiteres Schweigen als bloßes "Teilschweigen" gegen Sie verwertet werden darf: Der Richter kann dann aus Ihrer Weigerung, den "triftigen Grund" zu benennen folgern, dass Sie keinen haben! Ich empfehle daher gar keine Angaben zu machen: (Nur) dann darf Ihr vollständiges Schweigen nicht negativ bewertet werden. Weisen Sie stattdessen nur darauf hin, dass es im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht keine Umkehr der Beweislast gibt (Saarl. VerfGH Lv 7/20). Reine Rechtsausführungen können immer gemacht werden, sind keine Einlassungen zur Sache und mit Hinblick auf das gefährliche "Teilschweigen" unbedenklich.


3.

Sollte der Amtsrichter dennoch verurteilen, können (und sollten) Sie binnen einer Woche schriftlich beim Amtsgericht gegen das Urteil "Rechtsbeschwerde/Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde" einlegen. Auch wiederholen Sie dann bitte ggf den Antrag auf Pflichtverteidigerbeiordnung für die Rechtsbeschwerdebegründung.

Die Rechtsbeschwerde muss dann binnen eines Monats nach Zustellung des schriftlichen Urteils begründet werden. Das kann (nur) auf zweierlei Weise geschehen: Entweder durch einen Rechtsanwalt oder zu Protokoll der Geschäftsstelle. D.h. Sie selbst können nicht mit einem einfachen Schreiben die Rechtsbeschwerde wirksam begründen. Ohne Anwalt müssen Sie daher zur zuständigen Geschäftsstelle beim Amtsgericht gehen und dort die Rechtsbeschwerde zu Protokoll des Beamten begründen. Das geht allerdings ganz einfach: Sie diktieren dem Beamten nur einen Satz: „Ich rüge die Verletzung materiellen Rechts“.

Daraufhin prüft das Oberlandesgericht dann im schriftlichen Verfahren, ob das Urteil des Amtsgericht fehlerhaft und aufzuheben ist.





Foto(s): Claus Pinkerneil

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