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Totes Pferd – Unachtsamkeit kostet Landwirt 40.000 Euro

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anwalt.de-Redaktion

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Wenn jemand einen Schaden verursacht, muss er diesen grundsätzlich nach den Regelungen des Deliktsrechts ersetzen. Eindeutig sind dabei die Fälle, bei denen eine bestimmte Handlung einen Schaden verursacht. Wer also beispielweise eine Sache beschädigt, muss diese reparieren oder im Falle eines Totalschadens ersetzen. Wer dafür sorgt, dass eine Sache für eine bestimmte Zeit nicht genutzt werden kann, muss dem Eigentümer eine Nutzungsausfallentschädigung zahlen. Wer jemanden anderen verletzt, muss die Behandlungskosten übernehmen und zusätzlich ein Schmerzensgeld zahlen.

All diese Beispiele haben gemeinsam, dass in der Regel ein aktives Tun den Schaden verursacht wie z. B. ein Schlag auf den Hinterkopf oder die Missachtung der Verkehrsregeln im Falle eines Autounfalls. Was ist aber, wenn ein Schaden nicht dadurch entsteht, dass aktiv etwas getan wurde, sondern vielmehr gar nix getan wurde? Kann man sich auch mit schlichtem Nichtstun schadensersatzpflichtig machen? Dieses „Nichtstun“ bezeichnen die Juristen als Unterlassen.

Und ein solches Unterlassen kann ebenso eine Schadensersatzpflicht auslösen wie ein aktives Tun in den dargestellten Beispielen. Voraussetzung dafür ist aber, dass man eine Pflicht zum Handeln gehabt hätte. Nur dann ist ein Unterlassen rechtserheblich, indem es auch zu einem Schadensersatzanspruch führt.

Der Klassiker: Die Verkehrssicherheitspflicht 

Zu den klassischen Handlungspflichten, deren Verletzung durch Unterlassen eine Schadensersatzpflicht nach sich zieht, zählt die Verkehrssicherungspflicht. Die Verkehrssicherungspflicht beschreibt die Pflicht desjenigen, der eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, alle notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um Schäden anderer zu vermeiden. Verkehrssicherungspflicht ist also grundsätzlich die Pflicht, vor Gefahrenquellen zu schützen. Aber was sind nun Gefahrenquellen, die eine Verkehrssicherungspflicht auslösen?

Eine gesetzliche Definition für den Begriff „Gefahrenquelle“ gibt es nicht. Gefahrenquelle kann aber z. B. ein Loch auf dem Gehweg oder ein loser Pflasterstein sein. Die Frage, was eine Gefahrenquelle ist, die zu einer Verkehrssicherungspflicht führt, ist deshalb so schwer zu beantworten, weil es auch keine gesetzliche Vorschrift gibt, die bestimmte Gefahrenquellen, wie in unserem Beispiel den lockeren Pflasterstein, explizit als Gefahrenquelle festlegt. Es gibt also weder eine gesetzliche Definition noch führt das Gesetz Beispiele für typische Gefahrenquellen auf. Was im Einzelfall als Gefahrenquelle gilt oder nicht ist deshalb allein der Rechtsprechung überlassen, die anhand von konkreten Fällen solche Gefahrenquellen herausgearbeitet hat.  

Typische Verletzungen der Verkehrssicherungspflicht

Es gibt Tausende mögliche Gefahren und deshalb auch viele Gefahrenquellen, die zu einer Verkehrssicherungspflicht führen. Eine der bekanntesten ist die Räumpflicht bzw. Streupflicht von Grundstückseigentümern im Winter. Bei Schnee und Glätte muss der Eigentümer eines Grundstücks die Straßen und Wege vor seinem Grundstück räumen bzw. streuen, um Unfälle zu vermeiden. Tut er dies nicht, macht er sich mit seinem Unterlassen schadensersatzpflichtig. Ein anderes ähnliches Beispiel ist die Beleuchtungspflicht eines Hauseigentümers im Treppenhaus. Auch sie stellt eine Verkehrssicherungspflicht dar.

Eine andere sehr typische Gefahrenquelle ist die Baustelle. Auch sie kann zu einer Verkehrssicherungspflicht führen, indem z. B. die Baustelle genügend abgesichert wird. Hersteller eines Produkts haben eine Produktbeobachtungspflicht und Unfallverhütungspflichten führen dazu, dass ein Arbeitgeber gegenüber seinen Arbeitnehmern diverse Verkehrssicherungspflichten hat. Auch aus der beruflichen Stellung heraus kann sich eine Verkehrssicherungspflicht ergeben. So müssen z. B. Ärzte ihre Patienten vor Infektionen schützen.

Es lässt sich also feststellen, dass es einen bunten Strauß von Verkehrssicherungspflichten gibt, die durch Unterlassen verletzt werden und dadurch Schadensersatzansprüche begründen können. Diese Verkehrssicherungspflichten können jeden treffen, vom Vermieter und Mieter, über Bauherren, Supermarktbesitzer und Produkthersteller bis hin zum Arbeitgeber. Entscheidend ist wie so oft stets der konkrete Einzelfall. In solch einem Einzelfall musste sich kürzlich das OLG Celle mit der Frage beschäftigen, ob ein Landwirt bei der Bewässerung seines Ackers bestimmte Verkehrssicherungspflichten beachten muss.

Verkehrssicherungspflicht eines Landwirts

In dem konkreten Fall hatte ein Landwirt seinen Acker gesprengt. Die Bewässerungsanlage des Bauern gab ein lautes „Schnalzgeräusch“ von sich, wenn sie lief, und war so eingestellt, dass der Wasserstrahl nicht nur auf den Acker des Landwirts fiel, sondern auch auf die benachbarte Weidewiese. Das dort stehende Pferd geriet in Panik und flüchtete. Bei seiner Flucht verletzte sich das Pferd am Zaun der Weide so schwer, dass es eingeschläfert werden musste.

Die Besitzerin des Pferdes verlangte von dem Landwirt Schadensersatz für den tödlichen Unfall ihres Tieres. Der Landwirt lehnte die Schadensersatzforderung mit der Begründung ab, er hätte nicht wissen können, dass das überspringende Wasser eine derartige Panikreaktion bei einem Pferd auslösen könne.

Im Gegensatz zum Landgericht gab das Oberlandesgericht Celle der Klägerin recht und verurteilte den Landwirt wegen Verletzung seiner Verkehrssicherungspflicht. Der Bauer hätte vor Inbetriebnahme der Bewässerungsanlage sicherstellen müssen, dass diese nur seinen Acker bewässert und nicht auf das benachbarte Weidegrundstück ausstrahlt.

Keine Entlastung durch mangelndes Fachwissen

Das OLG Celle stellte in seiner Entscheidung ausdrücklich klar, dass der Landwirt sich auch nicht mit mangelnden Kenntnissen über das Fluchtverhalten von Pferden entlasten könne. Der betroffene Landwirt besaß selbst ebenfalls Pferde und damit ein besonderes Sonderwissen. Es war deshalb irrelevant, ob das Wissen über die Fluchtreaktionen von Pferden zum Allgemeinwissen eines „ordentlichen Landwirts“ zählt. Als Pferdewirt muss sich der Landwirt das Wissen eines durchschnittlichen Pferdekenners unterstellen lassen. Nach dem Gutachten eines Sachverständigen handelt es sich bei der Flucht vor einem Wasserstrahl um ein ganz normales und damit vorhersehbares Verhalten eines Pferdes. Deshalb hätte der Landwirt als Pferdebesitzer die Wirkung des Wasserstrahls als Treibhilfe erkennen müssen.

Fazit: Auch Landwirte trifft also beim Bewässern ihrer Äcker eine Verkehrssicherungspflicht, denn sie müssen sicherstellen, dass der Wasserstrahl nicht über ihren Acker hinaus schießt. Ein Landwirt, der dies missachtete, zahlte für diesen Fehler am Ende 40.000 Euro, da das überstrahlende Wasser  in seinem Fall ein Pferd so in Panik versetzte, dass es flüchtete, stürzte und eingeschläfert werden musste.

(OLG Celle, Urteil v. 14.03.2016, AZ.: 20 U 30/13)

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