Unterhalt bei leistungsfähigem Elternteil oder Großeltern – BGH, v. 27.10.2021 - XII ZB 123/21 (aktuelle Zahlen 01/24)

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Nach dem Gesetz sind Eltern grds. vorrangig verpflichtet, für den Unterhalt ihrer Kinder aufzukommen.

Gem. § 1603 II BGB trifft die Eltern dabei gegenüber ihren minderjährigen (und privilegiert volljährigen) Kindern eine sog. gesteigerte Erwerbsverpflichtung, d.h. sie haben „alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden.“ Privilegiert Volljährig ist ein Kind, wenn es das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, im Hausstand eines Elternteils wohnt und sich noch in der allgemeinen Schulausbildung befindet.

Im Ergebnis bedeutet dies, dass im Verhältnis zu minderjährigen (und privilegiert volljährigen) Kindern, der Elternteil sich nicht auf den angemessenen Selbstbehalt in Höhe von 1.750,00 € berufen kann, sondern zur Ermöglichung des Mindestkindesunterhalts ihm lediglich der sog. notwendige Selbstbehalt in Höhe von 1.450,00 (bei Erwerbstätigkeit) zusteht, aus welchem er seinen eigenen Unterhalt bestreiten muss. Darüber liegendes Einkommen ist für den Unterhalt heranzuziehen.

Erst wenn das erwirtschaftete Einkommen über den Grenzen nicht zur Erfüllung des geschuldeten Unterhalts ausreicht, besteht nach § 1603 I BGB nur eine anteilige oder ggf. keine Unterhaltspflicht, d.h. ein sog. "echter Mangelfall".

Die erhöhte Erwerbsobliegenheit hat insbesondere Auswirkungen darauf, welche Anstrengungen dem Elternteil zugemutet werden.

So wird u.a. erwartet, dass der entsprechende Elternteil zur Deckung des Mindestkindesunterhalts auch einen Nebenjob bis zu 48 Stunden die Woche annimmt, oder ggf. auf den Vermögensstamm zurückgreift. Alternativ können auch vermögensbildende Maßnahmen des Elternteils nicht anerkannt werden.

In seiner aktuellen Entscheidung vom 27.10.2021 hat der BGH nunmehr entschieden, dass im Falle vorhandener leistungsfähiger Großeltern (oder eines anderen unterhaltspflichtigen Verwandten), eine gesteigerte Erwerbsobliegenheit der Eltern grds. nicht automatisch vorliegen muss.

Der BGH führt hierzu aus:

„1. Das Vorhandensein von für den Enkelunterhalt leistungsfähigen Großeltern führt dazu, dass sich die Leistungsfähigkeit der Eltern für den Kindesunterhalt allein nach § 1603 Abs. 1 BGB richtet und damit unter Berücksichtigung des sog. angemessenen Selbstbehalts zu ermitteln ist. Die gesteigerte Unterhaltspflicht des § 1603 Abs. 2 Satz 1 und 2 BGB mit der Reduzierung auf den sog. notwendigen Selbstbehalt greift dann nicht ein.

2. Der auf Unterhalt für sein minderjähriges Kind in Anspruch genommene Elternteil trägt die Darlegungs- und Beweislast für seine eigene Leistungsunfähigkeit und damit sowohl dafür, dass bei der begehrten Unterhaltszahlung sein angemessener Selbstbehalt nicht gewahrt wäre, als auch dafür, dass andere leistungsfähige Verwandte im Sinne des § 1603 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 1 BGB vorhanden sind.“

Das in der Vorinstanz zuständige OLG Dresden hatte in seiner mit Rechtsbeschwerde angefochtenen Entscheidungsbegründung ausgeführt:

Der unterhaltspflichtige Kindsvater könne gegenüber M. seinen angemessenen Selbstbehalt von seinerzeit 1.300 € (heute 1.750 €) verteidigen, indem er auf die Unterhaltspflicht der Großeltern väterlicherseits verweise. Die gesteigerte Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern gelte nicht, wenn ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden sei. Dies seien hier die Großeltern, deren Ersatzhaftung nicht erst dann eintrete, wenn die Eltern den notwendigen Selbstbehalt unterschritten. Die Großeltern wiederum könnten auch unter Berücksichtigung eines - wie beim Elternunterhalt - erhöhten Selbstbehalts von seinerzeit 1.800 € (heute mind. 2.500 €) den Kindesunterhalt leisten.

Das habe zwar zum Ergebnis, dass sie indirekt dem eigenen Kind Unterhalt trotz Ende der Unterhaltspflicht gewährten, indem sie es in Höhe der Differenz zwischen notwendigem und angemessenem Selbstbehalt entlasteten. Gleichwohl sei der Gesetzeswortlaut eindeutig, auch wenn im Ergebnis mangels Möglichkeit des Regresses gegen die Großeltern die öffentliche Hand an deren Stelle eintreten müsse.

Auf die Frage des Vorhandenseins weiterer Verwandter im Sinne des § 1603 II 3 BGB komme es nicht an. Denn für den Ausschluss der erweiterten Unterhaltsverpflichtung des Kindsvaters genüge es, wenn er mindestens einen anderen Unterhaltsverpflichteten nachweisen könne.

Dies hat zur Folge:

Grds. sind Verwandte gem. § 1601 BGB verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren, d.h. auch Großeltern kann eine Unterhaltsverpflichtung treffen. Gem. § 1606 II BGB ist dabei aber die Unterhaltspflicht der Eltern als die „näheren“ Verwandten vorrangig.

Eine Unterhaltspflicht besteht nach § 1603 I BGB gerade nicht, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren.

Dies steht im Widerspruch zu der die Eltern minderjähriger Kinder treffenden gesteigerten Unterhaltspflicht aus § 1603 II 2 BGB, aufgrund dessen diesen nur der notwendige Selbstbehalt zusteht. Diese tritt aber eben nicht ein, wenn ein anderer leistungsfähiger Verwandter des Kindes vorhanden ist, d.h. der andere Elternteil (trotz dessen bereits erbrachter Betreuung) oder eben ein anderer Verwandter in aufsteigender Linie.

Ist dies der Fall und liegt also keine unterhaltsrechtliche gesteigerte Unterhaltsverpflichtung des vorrangig verpflichteten Elternteils vor, führt dies dazu, dass der nach ihm haftende Verwandte den Unterhalt im Wege der Ersatzhaftung nach § 1607 I BGB zu gewähren hat.

Die gesteigerte Erwerbsfähigkeit geht dann auch die nachrangigen Verwandten über.

Die mit der gesteigerten Verpflichtung zum Unterhalt einhergehende Härte der Eltern sah der Gesetzgeber dann nicht als gerechtfertigt an, wenn anderen Verwandten die Unterhaltsgewährung ohne eine solche Härte möglich war.

Dies ist nach der Ansicht der Rechtsprechung Ausdruck der generationenübergreifenden Solidarität ein.

Werden daher Großeltern für den Unterhalt ihrer Enkel herangezogen, stellt dies keine verdeckte Unterhaltsgewährung an die Kindeseltern dar, denen die Differenz zwischen angemessenem und notwendigem Selbstbehalt verbleibt. Vielmehr handelt es sich bei § 1607 I BGB (entgegen der Ansicht der OLG Dresden) um eine originäre Haftung der Großeltern auf Unterhalt gegenüber ihren Enkelkindern. Die subsidiäre Haftung nach § 1603 II 3 BGB zielt daher auch nicht auf eine Entlastung der Eltern ab, sondern dient der Beschränkung der mit der gesteigerten Unterhaltspflicht einhergehenden besonderen Belastung auf diejenigen Fälle, in denen anderenfalls der Unterhaltsanspruch des Kindes ungedeckt bliebe.

Es bleibt daher auch bei der grds. vorrangigen Haftung der Eltern, jedoch eben nur im Rahmen des angemessenen Selbstbehaltes, und nicht im notwendigen Selbstbehalt.

Geschützt werden die so nachrangig in Anspruch genommenen Großeltern vor allem auch dadurch, dass ihnen gegenüber ihren Enkeln ein deutlich höherer angemessener Selbstbehalt im Sinne des § 1603 Abs. 1 BGB zusteht als den Eltern gegenüber ihren Kindern.

Des Weiteren trägt im Falle eines gerichtlichen Streits auch der in Anspruch genommene Elternteil die Darlegungs- und Beweislast sowohl für seine eigene Leistungsunfähigkeit, d.h. dafür, dass bei Unterhaltszahlung sein angemessener Selbstbehalt nicht gewahrt wäre, sondern auch dafür, dass andere leistungsfähige Verwandte im Sinne des § 1603 II 3 BGB vorhanden sind.

Nach neuester Entscheidung sieht auch das OLG Oldenburg (, Beschluss vom 16.12.2021, 13 UF 85/21) die Unterhaltspflicht der Großeltern für möglich, dies sogar für den Fall, dass sich Ansprüche gegen den vorrangigen Unterhaltsverpflichteten nur schwer durchsetzen lassen. In der Folge besteht auch gegenüber den Großeltern ein eigener Anspruch auf Auskunft über deren Einkommen.

Zusammengefasst besteht für unterhaltspflichtige Elternteile entgegen der üblichen Berechnung von Unterhaltspflichten eine weitere Möglichkeit den eigenen Unterhalt zu begrenzen, dies insbesondere im Falle des Regresses des Jugendamtes, welches Rückstände aufgrund geleistetem Unterhaltsvorschuss gegenüber dem barunterhaltspflichtigen Elternteil fordert.

Gerne stehen wir Ihnen im Rahmen einer Beauftragung bei der Berechnung des Unterhalts zur Seite.

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