Warum fallen Strafen in Deutschland häufig so „milde“ aus? Teil 1
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Häufig ließt man in der Zeitung oder sozialen Medien von Urteilen die nach Meinung der Bevölkerung in Anbetracht der Tat viel zu „milde“ ausgefallen sind. Schnell füllen sich die Kommentare mit Bemerkungen wie: „Wir brauchen härte Strafen in Deutschland“, „Das ist ja wohl ein Witz, dass der Täter auch noch Bewährung bekommen hat“ und ähnlichem.
Aber warum fallen die Strafen nach dem allgemeinen Rechtsempfinden der Bevölkerung so „milde“ aus. Um zu verstehen warum jemand eine Geldstrafe, kurze Freiheitsstrafe oder Bewährungsstrafe erhalten hat, muss man zunächst verstehen, wie die konkrete Strafe überhaupt gebildet wird. Bei der Strafzumessung im Rahmen der Urteilsfindung sind eine Vielzahl von Aspekten zu berücksichtigen. Während die Bevölkerung zumeist nur die Schwere der Tat sieht, haben die Gerichte bei der Urteilsfindung auch diverse außerhalb der eigentlichen Tat liegende Umstände bei der Ermittlung der Strafhöhe zu berücksichtigen.
Was bildet den Ausgangspunkt bei der Strafzumessung?
Ausgangspunkt ist immer zunächst der Regelstrafrahmen der einschlägigen Tat. Das Strafgesetzbuch benennt in den §§ 38 bis 45b StGB die möglichen Strafen bzw. weiteren Folgen. In den §§ 46 bis 51 StGB ist die Strafbemessung geregelt. In den §§ 52 bis 55 StGB die Strafbemessung bei der Verwirklichung mehrerer Taten und in den §§ 56 bis 58 StGB die Regelungen für eine Strafaussetzung zur Bewährung. Die dort benannten Grundsätze gelten allerdings nur im Erwachsenenstrafrecht. Das Jugendstrafrecht hat eigene Regelungen.
Zusätzlich ist die Schwere der Tat und die persönliche Schuld des Täters zu berücksichtigen. Während die Bevölkerung lediglich die Schwere der Tat bewertet, muss das Gericht auch die persönliche Verantwortung des Täters für die Begehung der Tat beachten. Schuld setzt dabei voraus, dass der Täter eine Unrechtseinsicht hat und über die Fähigkeit verfügt, sein Verhalten dementsprechend zu steuern. Diese Einsichts- und Steuerungsfähigkeit kann bei einem Täter fehlen, der eine geistige Krankheit aufweist.
Welche Strafen und Nebenfolgen kennt das Strafgesetzbuch?
Das Strafgesetzbuch kennt die lebenslange Freiheitsstrafe, die zeitige Freiheitsstrafe (maximal 15 Jahre), die Geldstrafe, die Ersatzfreiheitsstrafe (wenn eine Geldstrafe nicht gezahlt wird), sowie Vermögens- und Nebenstrafe (Fahrverbot).
Welche weiteren Aspekte sind zu berücksichtigen?
In Deutschland spielt bei der Strafbemessung auch der Gedanke der Resozialisierung des Täters eine entscheidende Rolle. Das Gesetz beschreibt diesen Gedanken mit der Frage, welche Wirkungen für das künftige Leben des Täters von der Strafe ausgehen. Die verhängte Strafe darf daher grundsätzlich nicht dazu führen, dass der Täter vollkommen entsozialisiert wird.
Auch wenn das Gesetz den Gesichtspunkt nicht ausdrücklich benennt, hat das Gericht jedoch auch den Zweck der Strafe zu berücksichtigen. Zweck der Strafe ist es, die Geltung der Rechtsordnung zu bestätigen und künftige Verletzungen durch den Täter oder andere zu verhindern. Dadurch soll der Schutz der Rechtsgüter gewahrt werden, aber auch das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtsordnung aufrechterhalten bleiben.
Wie bildet sich nun der konkrete Strafrahmen?
Der gesetzlich vorgegebene Strafrahmen wertet das Unrecht der Tat bereits auf gewisse Weise, indem er vorgibt welche Mindest- und welche Höchststrafe angewandt werden kann. Allerdings regelt der gesetzlich vorgegeben Strafrahmen nur den Fall der unmittelbaren Täterschaft. Daher muss zunächst erst geklärt werden, ob nicht eine Strafrahmenverschiebung in Betracht kommen könnte.
Eine Strafrahmenverschiebung kann zwingend aber auch fakultativ sein. Zwingend ist eine Strafrahmenverschiebung, wenn lediglich Beihilfe oder der Versuch der Anstiftung vorliegt. Zwingend ist die Strafrahmenverschiebung ebenfalls, wenn beim Teilnehmer strafbegründende persönliche Merkmale fehlen oder wenn der Täter einem vermeidbaren Irrtum über Umstände unterlag die bei Vorliegen einen entschuldigenden Notstand begründen würden.
Möglich ist die Strafrahmenverschiebung hingegen bei einer Tatbegehung durch Unterlassen, dem Vorliegen eines sonstigen vermeidbaren Verbotsirrtums, bei erheblich verminderter Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB, wenn nur eine versuchte Tatbegehung vorliegt, wenn der Täter gemäß § 35 I S. 2 Hs. 2 StGB sich nicht auf entschuldigenden Notstand berufen kann oder bereits im Vorfeld ein Täter-Opfer Ausgleich bzw. eine Schadenswiedergutmachung i.S.v. § 46a StGB erfolgt ist.
Darüber hinaus kann es noch zu einer gesetzlichen Strafrahmenverschiebung kommen, wenn ein minder schwerer Fall oder ein besonders schwerer Fall vorliegt
Welche Umstände hat das Gericht bei der konkreten Strafbemessung abzuwägen?
Nachdem es den zu wählenden Strafrahmen geklärt hat, muss das Gericht abwägen, welche konkrete Strafe innerhalb des Strafrahmens tat- und schuldangemessen ist.
Welche konkreten Strafzumessungskriterien das Gericht abzuwägen hat, folgt aus § 46 Absatz 2 Satz 2 StGB. Zu bewerten hat das Gericht
- die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische, geschlechtsspezifische, gegen die sexuelle Orientierung gerichtete oder sonstige menschenverachtende Gründe.
die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,
das Maß der Pflichtwidrigkeit,
die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,
das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen
sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
Eine genaue Erklärung zu den oben genannten Punkten folgt im zweiten Teil dieses Artikels.
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