Welche Rechte haben Käufer von Diesel-Fahrzeugen im Rahmen der Abgas-Affäre?

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Autokauf: Was uns der VW-Skandal lehrt

„Vom Saubermann zum Umweltverpester“ – so könnte man den Imagewandel von Volkswagen (VW) am Wochenende des 19. auf den 20.09.2015 verkürzt zusammenfassen. Seit diesen Tagen beschäftigt der „VW-Skandal“ – auch Diesel-Gate genannt – die internationale Presse, die Rechtsprechung, die Anleger und Verbraucher. Im Rahmen dieses Abgasskandals wurden allein in Deutschland seit Mitte 2016 unzählige Urteile gesprochen, die zwar für sich genommen jeweils Einzelfallentscheidungen sind, jedoch auch Orientierung für noch ausstehende Verfahren sein können. Da nach und nach auch weitere Autohersteller in die Kritik geraten, ist ein Blick auf die aktuelle Rechtsprechung nicht uninteressant.

Ausgangspunkt der Abgasaffäre

Nachdem es schon längere Zeit innerhalb von Fachkreisen rumorte, kam es am 19.09.2015 zutage: die US-Umweltbehörde EPA äußerte den begründeten Verdacht, dass in den Fahrzeugen des Volkswagen-Konzerns (VW, Audi, Seat, Skoda und Porsche) Abschalteinrichtungen verwendet wurden, die nach europäischem und US-amerikanischem Recht verboten sind. Mittels entsprechender Sensorik erkennen diese, dass das Fahrzeug auf einem Prüfstand getestet wird und sich somit nicht im Straßenverkehr bewegt. In dieser Prüfsituation verändern die Einrichtungen das Abgasverhalten derart, dass den Testern ein vermeintlich sauberes Dieselfahrzeug vorgespiegelt wird. Tatsächlich sind die CO2-Ausstöße bei regulärem Betrieb erheblich höher.

Folgen: Wertverlust und Dieselfahrverbot, Stilllegung des Fahrzeugs samt Verlust des Versicherungsschutzes sowie mögliche Gesundheitsbeeinträchtigung und größere Umweltverschmutzung.

Das erste deutsche Urteil

Etwas holprig begann daraufhin eine bisher beispiellose Klagewelle von getäuschten Kunden, die ihr Fahrzeug zurückgeben und den vollständigen Kaufpreis erstattet haben wollten. Noch bevor die ersten Urteile gesprochen wurden, beteuerte der VW-Konzern, dass mit Hochdruck an einer Lösung zur Behebung der Unregelmäßigkeiten gesucht werde und eine Nachbesserung alsbald bereitstehe. Nachdem auch im Mai 2016 noch keine Lösung in Sicht war, sprach das LG München I einem Kläger sowohl die Rückzahlung des Kaufpreises (abzüglich des Wertverlustes für die Zeit, in der er das Fahrzeug genutzt hatte) als auch den Ersatz seiner sonstigen Kosten (Zulassung, Garantieverlängerung, Zusatzausstattung) zu (LG München I, Urt. v. 14.04.2016, Az. 23 O 23033/15). Unzweifelhaft liege in dem erhöhten Schadstoffausstoß ein Sachmangel, urteilten die Richter. Ob eine Behebung dieses Mangels ohne gleichzeitige Einbußen beim Kraftstoffverbrauch oder der Motorleistung überhaupt möglich sei, erschien den Richtern bereits zweifelhaft. Jedenfalls aber sei eine angemessene Frist zur Behebung des Mangels inzwischen verstrichen, da eine Frist von über einem halben Jahr „nach der freien Überzeugung des Gerichts auf keinen Fall mehr angemessen“ sei.

Und weiter: Der niedrige Schadstoffausstoß des Fahrzeugs sei Teil der Vereinbarung zwischen den Parteien und für den Kläger maßgebliches Verkaufsargument gewesen. Da das gegenständlich verklagte Autohaus eine hundertprozentige Konzerntochter von Volkswagen sei, müsse es sich das Verschulden zurechnen lassen.

Der Wandel in der Rechtsprechung

Nachdem mehrere gleichwertige Urteile gesprochen wurden, brach das LG Regensburg mit der Serie dieser lehrbuchartigen Lösung etwaiger Schadensersatzfälle. Die Regensburger Richter entschieden, dass ein vom Abgasskandal betroffener Pkw-Käufer die Nachlieferung eines neuen Fahrzeugs aus der aktuellen Serienproduktion mit Euro-6-Norm verlangen kann, ohne eine Nutzungsentschädigung zahlen zu müssen (LG Regensburg, Urteil vom 04.01.2017, Az.: 7 O 967/16). Wie auch die anderen Urteile ging das Gericht von dem Vorliegen eines Mangels durch die Software aus. Danach habe der Kunde grundsätzlich das Recht auf Nachlieferung eines neuen Wagens oder Nachbesserung. Im Fall einer Nachlieferung schulde der Kläger keinen Nutzungsersatz nach den §§ 439 Abs. 4, 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB, da es sich bei dem Kaufvertrag um einen Verbrauchsgüterkauf nach § 474 Abs. 1 BGB gehandelt habe. Auf solche Verträge sei § 439 Abs. 4 BGB anzuwenden, sodass Nutzungen weder herauszugeben seien noch deren Wert zu ersetzen sei (§ 474 Abs. 5 S. 1 BGB).

Ausblick – setzt sich das Sensationsurteil durch?

Das Urteil des LG Regensburg sorgte in Fachkreisen für Wirbel. Für die Beurteilung der Frage, ob dieses Urteil tatsächlich bestätigt werden wird, gilt es, sich die Situation nochmals genauer anzuschauen. Der Kläger erwarb einen neuen Seat, welcher die oben beschriebene Software enthielt. Außergerichtlich verlangte er zunächst aufgrund des Mangels die Nacherfüllung durch Lieferung einer mangelfreien Ersatzsache – also ein neues Fahrzeug. Entgegen der üblichen Praxis also gerade nicht die Nacherfüllung durch Nachbesserung in Form der Reparatur oder Änderung der Software.

Bisher war streitig, ob eine solche Forderungen wegen „Unverhältnismäßigkeit“ überhaupt durchgesetzt werden kann. Jedoch stellten bereits mehrere Gerichte (LG München I, Urteil vom 14.04.2016, Az.: 23 O 23033/15, LG Frankfurt a.M., Urteil vom 20.10.2016, Az.: 2-23 O 149/16, LG Hamburg, Urteil vom 16.11.2016, Az.: 301 O 96/16) klar, dass die vom VW-Konzern angebotenen Nachbesserungen wohl nicht zum Ziel führen und deshalb durchaus die Forderung nach einem Neufahrzeug möglich sei. Die Anwendung des Verbraucherrechts, wonach Nutzungen gerade nicht zurückzugewähren sind, erscheint danach nur folgerichtig.

Wichtig ist jedoch: Wer den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung anficht oder, nachdem der Händler eine Nachbesserungsfrist versäumt hat, den Rücktritt vom Vertrag erklärt, muss gefahrene Kilometer bezahlen – hierfür gibt es bestimmte Berechnungsmethoden.

Wer jedoch das Vertragsverhältnis völlig unangetastet lässt und von den beiden Alternativen der sogenannten Nacherfüllung diejenige wählt, die ihm ein mangelfreies Neufahrzeug bietet, schuldet nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesgerichtshofs gerade keinen Ersatz für gefahrene Kilometer.

Somit könnte sich das Urteil des LG Regensburg durchaus bestätigen.

Erstellt von: Rechtsanwalt Marc Sturm, Anwaltskanzlei Sturm, Dr. Körner & Partner in Aichach, in Zusammenarbeit mit cand. iur. Kevin Joder (Uni Konstanz)



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