Abgasskandal: Auch Dieselmotor EA288 betroffen – Ansprüche noch nicht verjährt

  • 4 Minuten Lesezeit

Bislang stand im sog. VW-Dieselskandal der Motor EA189 im Vordergrund. Der Motor wurde durch eine spezielle Software manipuliert, um die Abgaswerte im Prüfstand, nicht jedoch im normalen Straßenbetrieb, zu senken. 

Mit Urteil vom 19.03.2020 stellt das Landgericht Regensburg nun fest (Az.: 73 O 1181/19), dass auch der Motor EA288 als Nachfolgemodell zum Motor EA189 manipuliert wurde. Insofern sind nun auch die Euro 6 Diesel von Volkswagen betroffen.

Ob ein Anspruch der Käufer eines Fahrzeugs auch gegen den Hersteller besteht, war zu Beginn der VW-Abgasaffäre stark umstritten. Das hat sich geändert.

Dieselskandal: Manipulationssoftware im Fokus

Sowohl in sachlicher als auch rechtlicher Hinsicht bestand lange Unsicherheit. Unbestritten wurde zwischenzeitlich jedoch feststellt – so auch das Landgericht Regensburg –, dass eine Manipulationssoftware implementiert wurde:

„Erkennt die Software des Motors anhand Lenkwinkelerkennung, Temperaturerkennung und Zeiterfassung, dass das Fahrzeug den Prüflauf nach dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchfährt, wird ein spezieller Betriebsmodus aktiviert, in dem die Abgasrückführungsquote über das AGR-Ventil substantiell erhöht wird. Im normalen Straßenbetrieb wird das Fahrzeug hingegen mit einer niedrigeren Abgasrückführungsquote betrieben.“

Die große Mehrheit der Gerichte tendiert heute dazu, dass es sich bei der Verwendung einer derartigen Software zur Optimierung des Stickoxidausstoßes im Prüfstand um eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung gemäß § 826 BGB handelt. Damit wurde die Grundlage für „verbraucherfreundliche“ Entscheidungen geschaffen.

Dieselmotor EA288: Inverkehrbringen war schädigende Handlung

Euro-6-Fahrzeuge standen auch in der Vergangenheit bereits im Blickfeld. Dabei handelte es sich bisher jedoch ausschließlich um 3.0 Liter TDI Motoren, die vor allem in Dieselfahrzeugen von Audi, Porsche und auch im VW Touareg verbaut wurden. Nun stehen auch die kleineren Nachfolgemotoren zum EA189 im Fokus.

Wie das Landgericht Regensburg nun mit Urteil vom 19.03.2020 klarstellt, ist auch der Dieselmotor EA288 von der „VW-Abgasthematik“ betroffen:

„Das mit der ‚Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA288‘ überschriebene interne Dokument der Beklagten enthält auf Seite 4 u. a. folgende Ausführungen:

‚Anwendungsbeschreibung:

NSK: Bedatung, Aktivierung und Nutzung der Fahrkurven zur Erkennung des Precon und des NEFZ, um die Abgasnachbehandlungsevents (DeNOx-/ DeSOx- Events) nur streckengesteuert zu platzieren. Im normalen Fahrbetrieb strecken- und beladungsgesteuerte Platzierung der Events; Beladungssteuerung als führende Größe‘“

Die Programmierung der Motorsteuersoftware im Motor EA288 war dabei zwischen den Parteien unstreitig. Der konkrete Sachvortrag wurde von der Beklagten auch nicht substantiiert bestritten:

„Über die Klageerwiderung hinaus ist […] kein weiterer Vortrag der Beklagten erfolgt, weshalb der Vortrag der Klagepartei zur Programmierung der Motorsteuerungssoftware mit Replik vom 25.11.2019 und dem Schriftsatz vom 30.01.2020 als zugestanden anzusehen ist, § 138 Abs. 3 ZPO.“

Durchführung eines Software-Updates lässt Schaden nicht entfallen

Auch nach Durchführung eines Software-Updates bleibt der Schaden vorhanden und wird nicht ausgeräumt:

„Unabhängig davon, ob das streitgegenständliche Fahrzeug von der Beklagten ein Software-Update erhalten hat, würde auch die Durchführung des Software-Updates den Schaden nicht entfallen lassen, da dieser im Abschluss des Kaufvertrages als solchem liegt und der Klagepartei infolge der vorsätzlichen Täuschung durch die Beklagte ein Festhalten an diesem Vertrag aus Sicht des Gerichts nicht zugemutet werden kann.“

Noch keine Verjährung im sog. Abgasskandal um die Dieselmotoren EA189, EA288 und EA897 eingetreten

Da viel zu lange Ungewissheiten bestanden und VW auch nicht zur weiteren Sachverhaltsaufklärung beitrug, ist auch noch nicht von einer Verjährung etwaiger Ansprüche von Geschädigten auszugehen. Den Geschädigten bleibt unabhängig von der sog. Musterfeststellungsklage weiterhin die Möglichkeit, individuell ihre Ansprüche geltend zu machen (vgl. beispielsweise das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 20.01.2020 – Az.: 4 O 165/19):

„Die dreijährige Verjährungsfrist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. 

Die Kenntnis des Gläubigers ist jedoch erst vorhanden, wenn er aufgrund der ihm bekannten Tatsachen gegen den Schuldner eine Klage, sei es auch nur eine Feststellungsklage, erheben kann, die bei verständiger Würdigung in einem Maße Erfolgsaussichten hat, dass sie zumutbar ist. 

Der klagenden Partei war es angesichts der unklaren Rechtslage bislang unzumutbar eine Klage gegen die Beklagte anzustrengen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann der Beginn der Verjährung ausnahmsweise hinausgeschoben sein, wenn die Klageerhebung für den Gläubiger objektiv unzumutbar ist, weil die Rechtslage besonders verwickelt und problematischer ist oder wenn gewichtige rechtliche Zweifel vor der Klärung der Rechtslage bestehen (BGH, Urteil vom 16. Juni 2016 – I ZR 222/14 -, Rn. 42, juris; BGH, Urteil vom 28. Oktober 2014 – XI ZR 348/13 -, BGHZ 203, 115-140, Rn. 48). 

In diesem Fall tritt der Verjährungsbeginn erst dann ein, wenn eine zutreffende Einschätzung der Rechtslage möglich ist. Im vorliegenden Fall ist der Beginn der Verjährung weiterhin hinausgeschoben. [...] Einem Geschädigten ist die Klageerhebung objektiv unzumutbar, weil für ihn nicht vorhersehbar ist, wie eine Klage von einem damit befassten Gericht entscheiden wird. 

Es hängt für ihn letztlich vom Zufall ab, ob er an einen Spruchkörper gerät, der seiner Klage stattgibt oder sie abweist. Zwar ist inzwischen eine Tendenz innerhalb der Rechtsprechung zugunsten von geschädigten Fahrzeugeigentümern erkennbar. Solange eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs in einem vergleichbaren Fall nicht vorliegt, muss die Rechtslage als ungeklärt angesehen werden. Das benachteiligt die Beklagte auch nicht unangemessen; sie hat es mit in der Hand, eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs und damit eine Klärung der Rechtslage herbeizuführen.

Auf eine etwaige Hemmung durch die Anmeldung zur Musterfesstellungsklage kommt es nicht an.“

Aufgrund der mehrheitlich „verbraucherfreundlichen“ Rechtsprechung sollten sich daher Geschädigte – sofern noch nicht geschehen – ihre Ansprüche allmählich sichern.

Bei Rückfragen steht Ihnen gerne zur Verfügung:

RA Thomas Ritter

Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz

Wirtschaftsmediator (MuCDR)

Herr RA Thomas Ritter berät und vertritt Geschädigte im Kontext des sog. Abgasskandals seit 2015.



Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Thomas Ritter

Beiträge zum Thema

Ihre Spezialisten