Arbeitszeiterfassung & Vertrauensarbeitszeit: Geht das in Zukunft noch?

  • 3 Minuten Lesezeit

Dass Arbeitszeiterfassung kein „Kann“ mehr ist, sondern ein „Muss“ hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) Ende 2022 mit einem Paukenschlag-Urteil festgestellt. Arbeitgeber müssen – auch schon aktuell! – die Arbeitszeit ihrer Mitarbeitenden erfassen. Für New-Work-Arbeitszeitmodelle, die auf Vertrauensarbeitszeit basieren eine Katastrophe! Oder?  

Viele Arbeitgeber sahen das Aus für Vertrauensarbeitszeit gekommen. Aber ist das wirklich so? Kann man die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung und Vertrauensarbeitszeit nicht doch gesetzeskonform unter einen Hut bekommen? Diesen Fragen gehe ich in diesem Beitrag auf den Grund.

Was ist Vertrauensarbeitszeit?

Grundsätzlich ist Vertrauensarbeitszeit eine von mehreren Möglichkeiten, in einem Arbeitsverhältnis die Arbeitszeit bzw. Dauer der geschuldeten Arbeit vertraglich zu regeln.

Neben fest definierten Arbeitszeiten (z.B. im Schichtbetrieb) ist vor allem Gleitzeit mit Kernarbeitszeiten üblich. In modernen Arbeitszeitmodellen wie z.B. der Vertrauensarbeitszeit steht allerdings die Erledigung von Aufgaben im Mittelpunkt. Arbeitnehmer können sich ihre Arbeitszeit frei einteilen. Maßstab dafür, ob die Arbeitspflicht erfüllt wurde, ist hier, ob die zu erledigende Arbeit tatsächlich erledigt wurde. Der Fokus liegt damit nicht auf der „abgesessenen“ Zeit, sondern auf dem Arbeitserfolg. Zwar kontrollieren sich die Mitarbeitenden in der Regel selbst, wenn eine Kernarbeitszeit vereinbart ist. Existiert im Vertrauensarbeitszeit-Modell allerdings auch keine Kernarbeitszeit, gibt es schlichtweg keine zu kontrollierende Arbeitszeit. So recht mag Arbeitszeiterfassung also nicht in das Arbeitszeitmodell „Vertrauensarbeitszeit“ passen.

Wichtig! Unabhängig davon, wie die Vertrauensarbeitszeit ausgestaltet ist, müssen Arbeitgeber ihren Betrieb so organisieren, dass gesetzliche Vorgaben im Hinblick auf Arbeitszeit (z.B. zulässige Arbeitszeithöchstgrenzen) eingehalten werden und dass das überprüfbar ist. 

Arbeitszeiterfassung ist Pflicht! 

Und doch: Arbeitszeiterfassung ist Pflicht! Ende 2022 entschied das BAG (BAG, Urteil v. 13.09.2022 (Az. 1ABR 22/21), dass Arbeitgeber ein "objektives, verlässliches und zugängliches System" einführen müssen, "mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann".

Unabhängig davon hatte der EuGH schon 2019 entschieden, dass Arbeitgeber die tatsächlich geleistete Arbeitszeit von Mitarbeitenden lückenlos erfassen und dokumentieren müssen. Aufgrund dieser Entscheidung sind die EU-Staaten auch in der Pflicht, diese Vorgabe gesetzlich zu regeln. Allein: geschehen ist das bisher nicht. Im Laufe des Jahres 2023 soll es dazu allerdings eine verlässliche gesetzliche Regelung in Deutschland geben.

Problematisch ist an der aktuellen Situation: es existiert aktuell eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung laut BAG, die allerdings wenig konkret gefasst ist. Gleichzeitig steht eine konkretere gesetzliche Regelung in Deutschland in näherer Zukunft an. Wann aber welche bundesrechtliche Regelung dazu kommen wird, ist aktuell unklar.

Damit führt die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung derzeit zu enormer Unsicherheit im Hinblick auf Vertrauensarbeitszeit-Modelle.

Arbeitszeiterfassung: Vertrauensarbeitszeit nach wie vor möglich? 

„Verboten“ ist Vertrauensarbeitszeit derzeit nicht – es existiert lediglich Rechtsprechung, die von einer Pflicht des Arbeitgebers zur Erfassung der Arbeitszeit ausgeht, jedoch keine gesetzliche Grundlage.

Einige Stimmen in der arbeitsrechtlichen Beratung sind der Auffassung, dass Arbeitgeber grundsätzlich „nur“ ein verlässliches System zur Messung der täglichen Arbeitszeit einrichten müssen und dass es ausreichend ist, Mitarbeitenden ein Zeiterfassungssystem zur Verfügung stellen, mit dem diese ihre Arbeitszeit erfassen.

Allerdings ist diese rechtliche Einschätzung derzeit nicht mit gesetzlichen Regelungen zu untermauern: derzeit existiert schlichtweg (noch) keine nationale, d.h. deutsche gesetzliche Regelung, wie genau Arbeitszeiterfassung tatsächlich ausgestaltet sein muss und ob die Verantwortung für die Erfassung delegierbar wäre – wovon wohl eher nicht auszugehen sein dürfte.  

Damit ist das Thema Arbeitszeiterfassung und Vertrauensarbeitszeit derzeit rechtlich betrachtet genau genommen noch eine rechtliche Grauzone. Denn die Frage nach dem „Ob“ der Arbeitszeiterfassung wurde höchstrichterlich von EuGH und BAG eindeutig mit Ja beantwortet. Der Gesetzgeber in Deutschland hat dies bislang noch nicht noch nicht umgesetzt und das Arbeitszeitgesetz nicht entsprechend angepasst. Somit ist das „Wie“ derzeit ebenfalls noch nicht konkret ausgestaltet.

Das Thema im Blick behalten  

Arbeitszeiterfassung ist Pflicht. Wie diese Pflicht umzusetzen ist, wird der Gesetzgeber in absehbarer Zukunft regeln. Wichtig ist deshalb vor allem, das Thema im Blick zu behalten.

Sie benötigen Unterstützung?

Für den Fall, dass Sie diesbezüglich oder generell zum Arbeitsrecht Fragen haben, stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung!

Sehr gerne vereinbare ich einen Termin zur Erstberatung mit Ihnen.

Ihr Christian Seidel

Christian Seidel
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht

Telefon + 49 89 547143
oder per E-Mail c.seidel@acconsis.de

Ich freue mich auf Ihre Nachricht.

Foto(s): Shutterstock

Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Christian Seidel

Beiträge zum Thema