Betriebsschließungsversicherungen – Ablehnungsgründe der Versicherer widerlegt

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Für finanzielle Schäden wie Umsatzeinbußen und fortlaufende Kosten aufgrund einer Betriebsschließung sind viele Betriebe durch sog. Betriebsschließungsversicherungen (BSV) abgesichert. 

Die aktuelle Regulierungspraxis der Versicherer sorgt aber aktuell für viel Unruhe bei Versicherungsnehmern, die darauf gehofft hatten, nach der Schließung ihres Betriebes von Versicherungsleistungen Gebrauch machen zu können. Viele Versicherer lehnen eine Eintrittspflicht für Betriebsschließungen im Zuge der Corona-Krise entschieden ab. Ein Blick auf die Reaktionen der meisten Versicherer auf Schadensmeldungen im vergangenen Monat zeigt, dass sich Versicherer (bevor sie auf etwaige Kompromisslösungen eingehen) vor allem mit folgenden Argumenten einer Eintrittspflicht zu entziehen versuchen:

1. Allgemeinverfügungen und Rechtsverordnungen seien nicht von BSV erfasst

Versicherer vertreten zunächst die Auffassung, dass die Voraussetzungen für eine Entschädigung aus dem Betriebsschließungsversicherungsvertrag nicht vorliegen, weil die Betriebsschließungsanordnungen in Form von Allgemeinverfügungen oder Rechtsverordnungen ergangen sind. Sie seien also nicht auf einen einzelnen Geschäftsbetrieb gerichtet gewesen, sondern wurden präventiv zum Schutz der Allgemeinheit getroffen.

Die meisten Versicherungsbedingungen enthalten indes keine näheren Bestimmungen darüber, in welcher Form die Betriebsschießungsanordnung erfolgen muss, also konkret individuell durch Verwaltungsakt, konkret generell durch Allgemeinverfügung oder abstrakt generell durch Rechtsverordnung. Sie sprechen immer nur von einer „behördlichen Anordnung“. Jedes Behördenhandeln dürfte deshalb versichert sein. Etwas anderes würde nur bei entgegenstehenden gesetzlichen oder vertraglichen Regelungen gelten. Auch ist in Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) nicht geregelt, ob sich die meldepflichtige Krankheit im versicherten Betrieb realisiert haben muss. Bei Unklarheiten in AVB bedarf es einer Auslegung nach den anerkannten Grundsätzen des Versicherungsrechts.

Nach heute gefestigter Rechtsprechung und inzwischen allgemein anerkannter Auffassung sind AVB so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an. Für eine an diesen Grundsätzen orientierte Auslegung ist nicht maßgeblich, was sich der Verfasser der Bedingungen bei ihrer Abfassung vorstellte, vgl. BGH, 17.12.2008 – IV ZR 9/08.

Hinsichtlich der Betriebsschließung setzen die meisten AVB lediglich voraus, dass die Schließung auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) behördlich angeordnet wird. Betriebsschließungen im Zuge der Corona-Pandemie wurden u. a. mit Bezug auf § 32 S. 1 IfSG angeordnet, der es den Ländern ermöglicht, unter den Voraussetzungen der §§ 28 bis 31 IfSG durch Rechtsverordnung entsprechende Gebote und Verbote zu erlassen. Da die Norm eine Betriebsschließung durch Rechtsverordnung ausdrücklich vorsieht, spricht bereits die gesetzliche Lage gegen die Auffassung der Versicherer, dass Betriebsschließungen i.S.d. AVB nicht durch Rechtsverordnungen angeordnet werden können. Wenn eine abstrakt generelle Rechtsverordnung für Betriebsschließungen i.S.v. BSV-Verträgen ausreicht, muss dies bei Allgemeinverfügungen i.S.d. § 35 S. 2 VwVfG als behördlicher Maßnahme und Sonderfall des Verwaltungsakts erst recht gelten.

2. Covid-19 sei keine durch die AVB abgesicherte meldepflichtige Krankheit

Versicherer lehnen eine Eintrittspflicht auch gerne mit dem Argument ab, dass das neuartige Coronavirus nicht von ihren AVB erfasst sei. Hier gilt es zu differenzieren:

a) Nehmen die AVB lediglich Bezug auf das IfSG ohne nähere Angaben über die Fassung des Gesetzes und ohne eine abschließende Aufzählung von meldepflichtigen Krankheiten („Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die in den §§ 6 und 7 Infektionsschutzgesetz namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“), dürfte davon auszugehen sein, dass es sich dabei um sog. dynamische Verweisungen handelt, mit der Rechtsfolge, dass jeweils die aktuellste Fassung des IfSG maßgeblich ist. 

Covid-19 zählt seit der aufgrund von § 15 Abs. 1 IfSG erlassenen Coronavirus-Meldepflichtverordnung, die am 01.02.2020 in Kraft trat, zu den meldepflichtigen Krankheiten (§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 IfSG) und Krankheitserregern (§ 7 Abs. 1 S. 1 IfSG), vgl. § 1 Abs. 1 u. 3 CoronaVMeldeV. Da wohl fast alle Betriebsschließungen aufgrund der Corona-Krise erst im März 2020 erfolgten, stellt sich somit nicht mehr die Problematik einer rückwirkenden Anwendung der CoronaVMeldeV auf Betriebsschließungen.

b) Nehmen die AVB Bezug auf das IfSG in der Fassung vom 20.07.2000 („Versicherungsschutz besteht für die in den §§ 6 und 7 Infektionsschutzgesetz in der Fassung vom 20.07.2000 genannten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger“), dürfte dies dahingehend auszulegen sein, dass damit keine sog. statische Verweisung gemeint ist, sondern die Angabe der Fassung lediglich konkretisieren soll, wann das IfSG erstmalig erlassen wurde, nämlich am 20.07.2000 (BGBl. I S. 1045). Aus Sicht des Versicherungsnehmers kann es nämlich keinen Unterschied machen, ob die Betriebsschließung auf Grundlage des IfSG wegen einer Krankheit angeordnet wurde, die bereits im Jahr 2000 als meldepflichtige Krankheit in das Gesetz aufgenommen wurde oder erst im Jahr 2020, also kurz vor der Betriebsschließung.

c) Werden in den AVB meldepflichtige Krankheiten mit Bezug auf das IfSG ohne Ausschließlichkeitsregelung aufgezählt, ohne dass Coronaviren explizit genannt sind („Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger: ...“), dürfte es darauf ankommen, ob die Formulierung die Eintrittspflicht auf die aufgezählten Krankheiten beschränkt oder in Verbindung mit dem IfSG lediglich eine beispielhafte Aufzählung zum Zeitpunkt der Abfassung der AVB darstellt. Bei ungenauer Formulierung der AVB dürfte dies zu Lasten des Versicherers als Verwender gehen und es ist im Zweifelsfall eine versicherungsnehmerfreundliche Auslegung dahingehend vorzunehmen, dass alle zum Zeitpunkt der Betriebsschließung in das IfSG aufgenommenen Krankheiten umfasst sind.

d) Werden in den AVB meldepflichtige Krankheiten ausdrücklich und abschließend aufgezählt, ohne dass Coronaviren explizit genannt sind („Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind ausschließlich die im folgenden aufgeführten – nach dem IfSG meldepflichtigen – namentlich genannten Krankheiten...“), ist der Versicherer zwar in einer stärkeren Position, jedoch kann auch hier eine versicherungskundenfreundliche Auslegung zu einer Eintrittspflicht führen. In den Krankheitskatalogen vieler Versicherungsbedingungen für Betriebsschließungen sind etwa „akute infektiöse Gastroenteritis“, „Influenzaviren“ und „andere Erreger hämorrhagischer Fieber“ aufgeführt. Ein Zusammenhang zwischen Covid-19 und dem Ausbruch von Gastroenteritis wurde bereits medizinisch festgestellt. Auch gleichen sich die Ansteckungswege zwischen Covid-19 und der Grippe. Zudem sind der Weltgesundheitsorganisation zufolge Fieber und trockener Husten die häufigsten Symptome einer Coronavirus-Infektion. Zwar mag Covid-19 aus wissenschaftlicher Sicht nicht als Unterfall dieser ausdrücklich genannten Krankheiten zählen. Aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers könnte aber sehr wohl davon auszugehen sein, dass auch Erkrankungen durch Coronaviren (hier: Covid-19) versichert sind, da vom Versicherungsnehmer kein medizinisches Fachwissen hinsichtlich der oftmals schwierigen Unterscheidung von Krankheiten verlangt werden kann.

Da sich die Einzelbedingungen von Betriebsschließungsversicherungsverträgen der verschiedenen Versicherungsgesellschaften in ihrem Wortlaut und Schutzumfang zum Teil erheblich unterscheiden, empfehlen wir Ihnen eine genaue rechtliche Überprüfung der vorgenannten Aspekte sowie des abgedeckten Versicherungsumfangs.

Christian Mkhitaryan

Rechtsanwalt



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