BGH-Grundsatzurteil zum begleiteten Selbstmord

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1984 entschied der BGH, ein Hausarzt sei verpflichtet, seinen Patienten nach einem Suizidversuch zu retten (Urteil v. 04.07.1984, AZ.: 3 StR 96/84). Von dieser Rechtsprechung rückt der Bundesgerichtshof nun ab.

Klage gegen § 217 StGB vor dem BVerfG.

Dann kam es 2015 zur Kriminalisierung der geschäftsmäßigen Förderung des Suizids durch § 217 StGB (Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung). Gegen den § 217 StGB haben allerdings einige Ärzte und Sterbehilfevereine vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt (Unter anderem BVerfG, AZ.: 2BvR2492/16). In dem Verfahren in Karlsruhe geht es vor allem um die Frage, ob es ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben gibt. Sollten die Verfassungsrichter ein solches Recht bejahen, bekommt die Entscheidung des BGH eine noch erheblichere Bedeutung. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes könnte in der 2. Jahreshälfte 2019 gesprochen werden.

Der BGH ändert seine Rechtsprechung.

Der BGH hat über zwei Fälle entschieden (BGH, Urteile v. 03.07.2019, AZ.: 5 StR 132/18 und 5 StR 393/18). Die Urteile sind rechtskräftig. Es ging jeweils um nicht totkranke Suizidenten, die an nicht lebensbedrohlichen, aber ihre Lebensqualität und persönlichen Handlungsmöglichkeiten zunehmend einschränkenden Krankheiten litten. Es handelte sich um 2 über 80jährige Frauen und um eine 44 Jahre alte Frau. Die Suizidenten hätten die alleinige Tatherrschaft über die Herbeiführung ihres Todes gehabt. Die Angeklagten seien aufgrund der ihnen bekannten Freiverantwortlichkeit der Suizide auch nicht zu deren Rettung verpflichtet gewesen und durften bis Eintritt des Todes bei den Patienten anwesend sein. Anhaltspunkte für eine nach Einnahme der Medikamente eingetretene Änderung des Willens der Patienten konnten nicht festgestellt werden.

Der BGH bestätigt den Freispruch der angeklagten Ärzte.

Die Landgerichte Hamburg und Berlin (Landgericht Hamburg – Urteil v. 08.11. 2017, AZ.: 619 KLs 7/16 und Landgericht Berlin – Urteil v. 08.03.2018, AZ.: (502 KLs) 234 Js 339/13 (1/17)) hatten die Angeklagten bereits freigesprochen, was der BGH nun bestätigte. Die Bereitstellung der Medikamente stelle sich als straflose Beihilfe zur eigenverantwortlichen Selbsttötung dar. Zu Rettungsbemühungen nach Eintritt der Bewusstlosigkeit bestehe dann keine Verpflichtung. Denn die freiverantwortliche Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der Verstorbenen habe eine Pflicht der Angeklagten zur Abwendung ihres Todes entfallen lassen. Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der Angeklagten für ihre im Vorfeld geleisteten Beiträge zu den Suiziden hätte vorausgesetzt, dass die Patienten nicht in der Lage waren, einen freiverantwortlichen Selbsttötungswillen zu bilden. In beiden Fällen hätten die Landgerichte rechtsfehlerfrei keine die Eigenverantwortlichkeit der Suizidentinnen einschränkenden Umstände festgestellt. Deren Sterbewünsche beruhten vielmehr auf einer im Laufe der Zeit entwickelten, bilanzierenden „Lebensmüdigkeit“ und waren nicht Ergebnis psychischer Störungen.

Vorrang des Selbstbestimmungsrechts des Suizidenten.

Durch diese Entscheidungen wird das Selbstbestimmungsrecht des, auch lebensmüden, Patienten gestärkt. Dies war überfällig. Der BGH stellt damit den Willen des Suizidenten an erster Stelle. Damit wird verhindert, dass der Lebensmüde zu illegalen oder ggf. gefährlichen oder unsicheren Mitteln greifen muss, die evtl. schweres Siechtum und Entfall der eigenen Entscheidungsmöglichkeiten zur Folge haben können (Schusswaffengebrauch, Ertrinken, Erhängen, Autounfall usw.).

Keine sogenannte Garantenstellung.

Die Garantenstellung bezeichnet im Strafrecht die Pflichten, dafür einzustehen, dass ein bestimmter tatbestandlicher Erfolg nicht eintritt (§ 13 StGB). Sie ist Voraussetzung für eine Strafbarkeit wegen Unterlassens, soweit es sich um ein sogenanntes unechtes Unterlassungsdelikt handelt. Die verpflichtete Person heißt Garant. Wichtig ist in krankheitsbedingten Fällen die Garantenstellung aus freiwilliger Übernahme von Schutz- und Beistandspflichten (z. B. durch einen Arzt) und wegen enger Verbundenheit (Eltern den Kindern gegenüber und umgekehrt, Ehepartner, Lebenspartner untereinander usw.).

Interessant dürfte die neue Rechtsprechung im familiären Bereich werden. Denn für Angehörige ist § 217 StGB irrelevant.

Rechtsanwalt Holger Hesterberg, Wolfratshausen, München

Bundesweite Tätigkeit. Mitgliedschaft im Deutschen Anwaltverein.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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