Darf Trinkgeld auf ALG II angerechnet werden?
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Eine interessante Frage gilt es derzeit vom Bundessozialgericht zu klären: Ist Trinkgeld als Einkommen auf das ALG II anzurechnen.
Grundsätzlich bestimmt § 11 SGB II, dass jeder Geldzuwachs während des Bezugs von ALG II Einkommen ist, der zur Minderung der Leistungen führt. Jedoch bestimmt § 11a SGB II, dass bestimmte Zuflüsse nicht als Einkommen anzurechnen sind. Denkbar wäre Trinkgelder als anrechnungsfreie Zuwendungen im Sinne von § 11a Abs. 5 SGB II anzusehen. So ein Anderer diese erbringt, ohne dass hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht besteht, sind diese Zuwendungen anrechnungsfrei, soweit deren Berücksichtigung für die Leistungsberechtigten grob unbillig wäre oder sie dessen Lage nicht so günstig beeinflussen, dass daneben eine Gewährung von ALG II nicht gerechtfertigt wäre.
Gegen eine Anrechnung von Trinkgeld hat sich bereits das vor Jahren das Sozialgericht Karlsruhe gewandt. In der Entscheidung vom 30.03.2016 (S 4 AS 2297/15) hat es geurteilt, dass die Anrechnung von Trinkgeld ausgeschlossen ist, sofern dessen Höhe ca 10 % der Regelleistungen oder einen monatlichen Betrag von 60 € nicht übersteigt. Zur Begründung hat das Sozialgericht im Wesentlichen darauf abgestellt, dass zur Zahlung von Trinkgeld keine Pflicht besteht, mit einer Anrechnung aber der mit dem Trinkgeld bezweckte Bonus für Freundlichkeit oder besonderes Engagement des Trinkgeldempfängers entwertet würde. Auch würden Kunden kaum noch Trinkgeld geben, wenn sie wüssten, dass das Geld vollständig auf das Jobcenter umgeleitet wird.
Der Höhe nach beeinflusst Trinkgeld bis zur Höhe von 60 € monatlich nicht so günstig, dass daneben aufstockendes ALG II nicht mehr gerechtfertigt wäre.
Auch einem von mir erstrittenen Urteil hat das Sozialgericht Berlin in 2018 ebenfalls entschieden, dass Trinkgelder aus diesen Gründen anrechnungsfrei sind.
Dagegen ging das LSG Bayern in seinem Urteil vom 12.12.2019 (L 7 AS 755/17) davon aus, das Trinkgelder nicht anrechnungsfrei seien. Die Ablehnung fußt im Wesentlichen auf einem Vergleich des Trinkgelds mit den in der Gesetzesbegründung genannten Beispielsfälle. Dort werden Soforthilfen bei Katastrophen, gesellschaftliche Preise für Zivilcourage, Ehrengaben aus öffentlichen Mitteln (Alters- und Ehejubiläen und Lebensrettung), Spenden aus Tombolas für Bedürftige oder Begrüßungsgelder für Neugeborene genannt. Trinkgeld sei hiermit nicht zu vergleichen, weil der Trinkgeldgeber im Einzelfall die Art und Weise der Erbringung einer Serviceleistung honoriert und Ausdruck der Zufriedenheit mit der Qualität der Dienstleistung sei. Eine weitergehende Vorstellung oder Erwartungshaltung, wie der Empfänger das Trinkgeld verwenden soll, sein damit nicht verbunden.
Dieses Argument überzeugt nach meiner Einschätzung aus zweierlei Gründen nicht, da auch bei den vom Gesetzgeber genannten Zuwendungen vom Zuwendenden keine konkrete Verwendungsart vorgeben ist. Der Jubilar würde sich sich bedanken, wenn man ihm etwa 500 € zuwendet, ihm aber gleichzeitig vorgibt wofür es das Geld nur ausgeben darf.
Vielmehr überfrachtet das LSG die Anwendungsfälle damit, dass es offenbar nur moralisch besonders ehrerbietungswürdige Anwendungsfälle anerkennt, obwohl das vom Gesetzgeber beispielhaft genannte Neugeborene oder dessen Eltern keine besonderen Leistungen erbracht haben - es wurde "nur" geboren bzw. es wurde ein Kind gezeugt (wie heißt bereits es im Volksmund " Vater werden ist nicht schwer…).
Bis zum Ergehen einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (anhängig unter B 14 AS 75/20) dürfte es sich jedenfalls lohnen mit Widerspruch (oder bei älteren Anrechnungsfällen mit Überprüfungsantrag, rückwirkend möglich bis Januar 2020) gegen eine Trinkgeldanrechnung vorzugehen, wobei ich Sie gerne unterstütze.
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