Der Bandscheibenschaden in der privaten Unfallversicherung: Das müssen Sie wissen!
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In einem von mir gerade bearbeiteten Rechtsstreit vor dem Landgericht war mein Mandant von der Leiter gefallen. Beim Sturz schlug er mit dem Kopf gegen die Wand und knickte sich die Halswirbelsäule seitlich ab.
Seitdem ist er ab dem Hals abwärts komplett gelähmt. Die private Unfallversicherung hat sich vor und während des Prozesses auf einen Bandscheibenschaden berufen, der vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sei.
Sie weigerte sich, die vertraglich vereinbarte Invaliditätssumme zu zahlen. Außerdem forderte sie einen gezahlten Vorschuss zurück. Der gerichtliche Sachverstände hat allerdings bestätigt, völlig unzweifelhaft sei die Querschnittslähmung auf den Unfall zurückzuführen. Vorschäden an der Wirbelsäule hätten bei den Folgen überhaupt keine Rolle gespielt. Die Querschnittslähmung ab dem Hals sei sicher durch den Sturz bedingt.
Deshalb müssen Sie bei einem Bandscheibenvorfall, den Sie mit Ihrer privaten Unfallversicherung regulieren wollen, folgendes wissen:
Bandscheibenschäden sind in der privaten Unfallversicherung nach den Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB) vom Versicherungsschutz ausgeschlossen. Versicherungsschutz besteht aber dann, wenn ein Unfall überwiegende Ursache des Bandscheibenschadens ist.
Das heißt: Der Bandscheibenschaden muss zu mehr als 50 % durch den Unfall verursacht worden sein, wobei diese überwiegende Verursachung durch den Versicherungsnehmer zu beweisen ist (BGH, Urteil vom 28.01.2009, AZ: IV ZR 6/08; OLG Hamm, Urteil vom 10.05.2017, AZ: 20 U 89/16).
Ein Unfall ist dann die überwiegende Ursache für den Bandscheibenschaden, wenn sein Anteil am Schaden mehr als 50 % beträgt (vgl. OLG Koblenz r + s 2008, 303 = VersR 2008, 67; LG Traunstein r + s 2001, 524).
Was die überwiegende Ursache des Schadens ist, soll eine Gewichtung der zusammenwirkenden Ursachen ergeben (OLG Hamm r + s 2002, 438). Nur mit konkreten Feststellungen eines Sachverständigen zu Vorschädigungen, Unfallhergang und Verletzungen kann diese überwiegende Ursache eines Bandscheibenschadens geklärt werden.
Dabei hat der Versicherungsnehmer zu beweisen, dass ein Unfall diesen Gesundheitsschaden verursacht hat. Er hat auch zu beweisen, dass sein Unfall überwiegende Ursache der Bandscheibenschäden war (BGH r + s 2009, 161; OLG Frankfurt ZfS 2006, 699; OLG Hamm ZfS 2006, 581).
Liegt also ein Unfall im Sinne der AUB vor, ist zu prüfen, ob der Unfall den Bandscheibenvorfall überwiegend verursacht hat. „Überwiegend“ bedeutet, ist der Bandscheibenschaden zu über 50 % auf den Unfall zurückzuführen sein muss. Dann greift der Leistungsausschluss nicht.
Die Beweislast für das Vorliegen des Ausschlusstatbestandes (= Bandscheibenvorfall nicht durch Unfall) trägt der Versicherer (BGH, Urteil vom 27.09.1995, AZ: IV ZR 283/94 = NJW 1995, 3256 = r+s 1995, 477). Der Versicherungsnehmer muss den Wiedereinschluss (= Unfall überwiegende Ursache) beweisen (OLG Hamm, Urteil vom 01.02.2006, AZ: 20 U 135/05 = r+s 2006, 467).
Ein Gutachter muss klären, ob degenerative Vorschäden an der betroffenen Bandscheibe vorhanden waren, wobei auch altersgerechte Verschleißerscheinungen gegen einen unfallbedingten Schaden der Bandscheibe sprechen (OLG Köln, Urteil vom 04.03.2016, AZ: 20 U 175/15; OLG Hamm, Urteil vom 10.05.2017, AZ: 20 U 89/16).
Problematisch ist: Verschleißerscheinungen der Bandscheibe und Bandscheibenvorfälle verlaufen regelmäßig klinisch stumm und Schmerzen treten häufig erst bei einer plötzlichen beliebigen Bewegung auf (OLG Oldenburg, Urteil vom 21.08.1996, AZ: 2 U 107/96).
Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Schädigung der Bandscheibe durch einen Unfall ohne knöcherne oder ligamentäre (Bandbeteiligung) Beteiligung nicht möglich oder jedenfalls sehr unwahrscheinlich (vgl. LG Dortmund, Urteil vom 12.03.2010, AZ: 2 O 114/07).
Um den Zusammenhang zwischen Unfall und Bandscheibenvorfall richtig zu bewerten, muss ein Arzt den Unfall unter biomechanischen Gesichtspunkten auswerten und die Belastung auf die Wirbelsäule und die Bandscheibe klären. Am besten durch Kernspintomographieaufnahmen sollte untersucht werden, ob Begleitverletzungen vorliegen, die eine überwiegende Entstehung des Bandscheibenvorfalls durch den Unfall begründen.
Der Sachverständige muss bandscheibenbedingte Signalstörungen im Wirbelkörper von traumatischen Veränderungen abgrenzen (vgl. Steinmetz, Dittrich, Röser, Grundlagen der Bandscheibenbegutachtung in der privaten Unfallversicherung, Versicherungsmedizin 67 (2015), Heft 4, Seite 191).
Zeigen sich in der Kernspintomographie Frakturen der Wirbelköper im betroffenen Wirbelsäulen-Segment mit gleichzeitigen Verletzungen der Bandscheiben, ist als Erstkörperschaden die Fraktur gesichert, also als überwiegende Entstehungsursache auch die Verletzung der Bandscheibe (Steinmetz, Dittrich, Röser, Grundlagen der Bandscheibenbegutachtung in der privaten Unfallversicherung, Versicherungsmedizin 67 (2015), Heft 4, Seite 192).
Fehlen Begleitverletzungen bei einer Bandscheibenverletzung, scheidet eine Leistungspflicht der privaten Unfallversicherung regelmäßig aus.
Bei einem Verkehrsunfall und einem danach festgestellten Bandscheibenvorfall kann ein Zusammenhang mit dem Unfall nur dann festgestellt werden, wenn eine erhebliche Gewalteinwirkung auf die Wirbelsäule vorgelegen hat. Diese Gewalt muss nach ihrer Art und Richtung in der Lage gewesen sein, eine gesunde Bandscheibe zu zerreißen. Zusätzlich müssen typische, mit einem Bandscheibenvorfall zusammenhängende Beschwerden unmittelbar nach dem Unfall aufgetreten sein.
Es reicht, wenn sich durch typische Rückensymptome eine Verbindung zwischen dem Unfall und dem Bandscheibenvorfall herstellen lässt. Abschließend dürfen keine höhergradigen degenerativen Vorschädigungen der Bandscheibe vor dem Unfall vorhanden gewesen sein (vgl. Balke, Die Beurteilung der Unfallkausalität eines Bandscheibenvorfalls, SVR 2015, Seite 219).
Christian Koch, Fachanwalt für Medizinrecht
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