Der sozialrechtliche Eilrechtsschutz

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Verfahren vor den deutschen Sozialgerichten dauern oft lang. Bereits im Jahr 2017 betrug die Dauer in Verfahren erster Instanz im bundesdeutschen Durchschnitt mehr als 15, in Hessen annähernd 16 Monate, wie das Statistische Bundesamt ermittelte. In den weiteren Instanzen kommen weitere Monate hinzu. Dabei ist die tatsächliche Dauer unter anderem auch davon abhängig, welcher Bereich des Sozialrechts betroffen ist. Im Bereich des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II, sog. Hartz IV) sind die Gerichte besonders überlaufen, entsprechend verzögern sich auch die Verfahren.

Im schlimmsten Fall erhält ein Leistungsempfänger für die Zeit eines solchen Klageverfahrens keine Leistungen, steht also völlig ohne Einkommen da.

Der einstweilige Rechtsschutz (oder auch Eilrechtsschutz) des Sozialrechts kann eingesetzt werden, um dieser Problematik zu begegnen. In diesem Beitrag stelle ich Ihnen dar, welche Möglichkeiten der Eilrechtsschutz bietet, welche Risiken bestehen und wie ein solches Verfahren üblicherweise abläuft.

In welchen Fällen ist Eilrechtsschutz möglich?

Die gesetzliche Regelung in § 86b Sozialgerichtsgesetz (SGG) sieht folgende Fälle des einstweiligen Rechtsschutzes vor:

  1. Das Gericht kann die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes ganz oder teilweise anordnen, wenn Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben.
  2. Das Gericht kann die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wenn Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben.
  3. Das Gericht kann die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes ganz oder teilweise wiederherstellen, wenn diese von der zuständigen Behörde ausgesetzt wurde.
  4. Außerdem kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.
  5. Möglich sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Soweit – verkürzt dargestellt – die gesetzliche Regelung. Doch was genau bedeutet das?

Die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage ist der Regelfall. Sie bedeutet, dass die zuständige Behörde keine Maßnahmen zur Durchsetzung oder Vollstreckung des Verwaltungsakts ergreifen darf.

Je nach Lage des Falls kann der Adressat eines Verwaltungsaktes oder ein Dritter ein rechtliches Interesse an der sofortigen Vollziehung oder der aufschiebenden Wirkung haben. Die Konstellationen sind vielfältig und entziehen sich daher einer Darstellung im Rahmen dieses Beitrags.

Das Gegenstück bilden die einstweiligen Anordnungen.

Gerade im Bereich des Sozialrechts, das sich in einigen Bereichen auf die Sicherung des Existenzminimums beschränkt, kann der Entzug oder die Nichtgewährung von Leistungen (etwa durch ein Jobcenter) ganz erhebliche Auswirkungen auf den Betroffenen haben. Ein Widerspruch oder eine Klage mögen zwar Abhilfe schaffen, in jedem Fall aber dauert das Verfahren einige Zeit. Im schlimmsten Fall erhält der Betroffene in dieser Zeit keine Leistungen, was sich als existenzbedrohend darstellen kann. Für diese (und andere) Konstellationen gibt es die Möglichkeit, eine einstweilige Anordnung zu beantragen. Der Leistungsträger kann damit beispielsweise verpflichtet werden, vorübergehend Leistungen zu erbringen. So kann sichergestellt werden, dass im sogenannten Hauptsacheverfahren eine Klärung insgesamt herbeigeführt werden kann, weil der Betroffene zunächst einmal wirtschaftlich abgesichert ist.

Wann hat ein Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz Aussicht auf Erfolg?

Im Hinblick auf die unter Ziffern 1-3 genannten Verfahren beruht die Entscheidung letztendlich auf einer Interessenabwägung. Dabei ist dem Vollzugsinteresse des Staates das Aussetzungsinteresse des Einzelnen gegenüberzustellen. Auch die Erfolgsaussichten eines Hauptsacheverfahrens sind zu beachten.

Grundsätzlich gilt, dass umso geringere Anforderungen an das Aussetzungsinteresse zu stellen sind, je höher die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind.

Im Hinblick auf die einstweilige Anordnung müssen ein Anordnungsgrund und ein Anordnungsanspruch gegeben sein. Die Hauptsache darf grundsätzlich nicht vorweggenommen werden. 

Ein Anordnungsanspruch besteht, wenn ein materiell-rechtlicher Anspruch gegeben ist, auf den das Begehren des Antragstellers gestützt werden kann. Soweit es um eine Entscheidung geht, die im Ermessen der Behörde steht, muss daher regelmäßig eine sogenannte Ermessensreduzierung auf null gegeben sein.

Ein Anordnungsgrund ist gegeben, wenn eine besondere Eilbedürftigkeit besteht. Die Gründe hierfür unterscheiden sich, je nachdem, ob eine Sicherungs- oder eine Regelungsanordnung begehrt wird.

Welche Besonderheiten bestehen in diesem Verfahren und was ist zu beachten?

Üblicherweise kommt es – aufgrund der besonderen Eilbedürftigkeit – in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht zu einer mündlichen Verhandlung, vielmehr wird das Verfahren schriftlich und mit kurzen Fristen (regelmäßig eine Woche) geführt.

Im Gegensatz zu einem „normalen“ Gerichtsverfahren müssen die Tatsachen nicht bewiesen werden, es genügt die sogenannte Glaubhaftmachung, ein abgeschwächter Beweismaßstab, dem beispielsweise mit einer eidesstattlichen Versicherung genügt werden kann.

Auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gibt es die Möglichkeit, Prozesskostenhilfe zu beantragen. 

Ein Eilverfahren kann sich anhand von Kleinigkeiten entscheiden, durch die Beschleunigung kommt weiterer Druck hinzu. Es ist daher dringend anzuraten, sich für die Durchführung anwaltlicher Hilfe zu bedienen. Gerne unterstütze ich Sie, nehmen Sie einfach Kontakt mit mir auf.

Matthias B. Lorenz

Rechtsanwalt


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