Die 8 wichtigsten Anfechtungsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters im Insolvenzverfahren.

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Vermögensverschiebungen jeglicher Art rücken im „insolvenznahen“ Zeitraum bei Insolvenzeröffnung in den Fokus des Insolvenzverwalters. Denn nach dem Willen des Gesetzgebers soll verhindert werden, dass einzelne Gläubiger im Krisenzeitraum noch Zahlungen erhalten, obwohl bereits andere Gläubiger nicht mehr bezahlt werden.

Der Gesetzgeber hat dem Insolvenzverwalter zur Rückgängigmachung solcher unberechtigten „Vermögensverschiebungen“ über die Insolvenzordnung diverse Insolvenzanfechtungstatbestände an die Hand gegeben, die teilweise bis 10 Jahre rückwirkend durchgreifen.

Für die wesentlichen Anfechtungskonstellationen soll nachfolgend eine Übersicht geschaffen werden.


1. Anfechtung nach § 130 Abs. 1 InsO (kongruente Deckung)

Erhält ein Gläubiger in den letzten drei Monaten vor Insolvenzantragstellung eine Leistung (Sicherung und/oder Befriedigung) vom Schuldner, auf die er einen „berechtigten“ Anspruch hat, kann der Insolvenzverwalter diese Leistung zur Masse einfordern, wenn der Schuldner zum Leistungszeitpunkt zahlungsunfähig war und der Gläubiger diese Zahlungsunfähigkeit kannte (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO).

Ebenso kann der Insolvenzverwalter in dieser Konstellation Leistungen anfechten, die nach Insolvenzantragstellung erfolgten und der Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte (§ 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO).

Gemäß § 130 Abs. 2 InsO steht der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder des Eröffnungsantrags die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag schließen lassen.


2. Anfechtung nach § 131 Abs. 1 InsO (inkongruente Deckung)

Erhält ein Gläubiger in den letzten drei Monaten vor Insolvenzantragstellung eine Leistung (Sicherung und/oder Befriedigung) vom Schuldner, auf die er keinen „berechtigten“ Anspruch hat, kommt die sog. Inkongruente Insolvenzanfechtung zum Tragen. Musterfall hierfür sind durchgeführte Zwangsvollstreckungsmaßnahmen.

Umso näher die Rechtshandlung zeitlich an den Insolvenzantrag heranrückt, umso einfacher wird es für den Insolvenzverwalter die erhaltenen Leistungen zurückzufordern.

So bedarf es im 1-Monatszeitraum vor Antragstellung lediglich einer Vollstreckungshandlung als Anfechtungsvoraussetzung (§ 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO).

Im 3-Monatszeitraum vor der Insolvenzantragstellung sind Leistungshandlungen anfechtbar, wenn Zahlungsunfähigkeit bestand (ohne Kenntnis des Gläubigers hiervon!) oder wenn der Gläubiger die Gläubigerbenachteiligung kannte (§ 131 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 InsO).


3. Anfechtung nach § 132 InsO wegen einer unmittelbaren gläubigerbenachteiligenden Rechtshandlung

Nach § 132 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist ein Rechtsgeschäft – welches die Insolvenzgläubiger unmittelbar benachteiligt –anfechtbar, wenn es in den letzten 3 Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen wurde, der Schuldner zum Zeitpunkt Rechtshandlung zahlungsunfähig war und wenn der Anfechtungsgegner von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners Kenntnis hatte.

Wurde das Rechtsgeschäft nach dem Antrag auf Insolvenzeröffnung vorgenommen, so ist es gemäß § 132 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar, wenn der Anfechtungsgegner die Zahlungsunfähigkeit und/oder den Eröffnungsantrag kannte.

Die unmittelbare Gläubigerbenachteiligung folgt unmittelbar aus dem Rechtsgeschäft bzw. der Rechtshandlung selbst wie z. B. Kündigung eines Kredits, Verzicht auf begünstigende wirtschaftliche Position, Rücktritt etc.


4. Anfechtung nach § 133 InsO wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung

Die komplexeste und in der Praxis relevanteste Anfechtungsnorm ist § 133 InsO.

Über § 133 InsO können Vermögensverschiebungen/Leistungen zwischen Insolvenzschuldner und Gläubiger bis zu 10 Jahre rückwirkend angefochten und vom Insolvenzverwalter zurückgefordert werden.

Das Einfalltor für eine Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO bildet eine Rechtshandlung des Schuldners innerhalb der letzten 10 Jahre, die mit dem Vorsatz des Schuldners vorgenommen wurde, seine Gläubiger zu benachteiligen, wenn der andere Teil (Gläubiger) zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte (§ 133 Abs. 1 InsO).

Insbesondere die subjektiven Tatbestandselemente dieser Norm werden über eine „Vermutungs- und Indizienkette“ objektiv begründet, die sich aus den Rahmenbedingungen und Handlungen der agierenden Beteiligten ergeben. Die Rechtsprechung hat hierfür über die Jahre eine Vielzahl von Umständen und Rahmenbedingungen vorgegeben, aus welchen sich die einzelnen Tatbestandsmerkmale zugunsten des Insolvenzverwalters begründen lassen.

Im Streitfall würdigt ein Gericht alle für und gegen die Anfechtung sprechenden Indizien und Einzelumstände in einer Gesamtwürdigung.

In den letzten Jahren hat der Gesetzgeber die „uferlose Weite“ der Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO sowohl materiell als auch temporär etwas eingeschränkt.

Erhält ein Gläubiger eine kongruente, also genau die vertraglich geschuldete Leistung, ist diese nur anfechtbar, wenn der Schuldner zahlungsunfähig war und der Anfechtungsgegner diese Zahlungsunfähigkeit kannte. Auch reicht die Insolvenzanfechtungsmöglichkeit in diesem Fall dann „nur“ 4 Jahre zurück (§ 133 Abs. 2 InsO).


5. Die Schenkungsanfechtung nach § 134 InsO

§ 134 InsO begründet die sog. Schenkungsanfechtung bzw. die Rückforderungsmöglichkeit bei Erhalt von unentgeltlichen bzw. teilweise unentgeltlichen Leistungen im „krisennahen“ Zeitraum.

Zur Vermeidung von Vermögensverschiebungen an vom Schuldner „bevorzugte“ Personen, auch mit Blick auf eine später einzuleitende Insolvenz, hat der Gesetzgeber für diese Anfechtung einen relativ weit zurückreichenden Anfechtungstatbestand eröffnet. So kann eine Schenkungsanfechtung bis zu 4 Jahre rückwirkend ab Insolvenzantragstellung vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. Wesentlich weitere Tatbestandsvoraussetzungen für eine Schenkungsanfechtung sind in § 134 InsO nicht genannt.

Klarstellend ist nochmals hervorzuheben, dass für die Auslösung dieses Anfechtungstatbestand nicht nur eine Schenkung vorliegen muss. Ein Anfechtung nach § 134 InsO droht vereinfacht gesagt in allen Fällen, in welchen Leistung und Gegenleistung wertmäßig zum Nachteil des Schuldners abweichen.


6. Die Anfechtung von Gesellschafterdarlehen nach § 135 InsO

Über § 135 InsO zielt der Gesetzgeber auf die Kapitalerhaltung bei juristischen Personen ab. Ebenso soll über diese Norm das ungleiche Kräfteverhältnis zwischen den Gesellschaftern einer Kapitalgesellschaft und den übrigen Gläubigern ausgeglichen werden.

Denn in einem Krisen- bzw. Insolvenzfall sind Gesellschafter, welche der Gesellschaft Gelder und/oder Vermögenwerte überlassen haben „näher“ am Geschehen und können durch Informationsvorsprung und Beschlussfassungen bestehende Forderungen zu ihren Gunsten schneller um- und durchsetzen.

Als Kompensation für diesen Nachteil hat der Gesetzgeber § 135 InsO geschaffen.

Anfechtbar sind hierüber insbesondere Darlehensrückzahlungen oder vergleichbare Leistungen, die ein Gesellschafter im letzten Jahr vor einem Insolvenzantrag noch erhalten hat. Besicherung und sonstige Sicherheiten, die ein Gesellschafter erwirkte, können sogar rückwirkend bis zu 10 Jahre vor der Insolvenzantragstellung angefochten werden.

Der Anfechtungstatbestand des § 135 InsO findet – entgegen dem anscheinserweckenden Wortlaut – weit über das Gesellschafterdarlehen hinaus Anwendung und umfasst nahezu jede Handlung zur Vermögensverschiebung im Verhältnis Gesellschaft / Gesellschafter, die im Krisenzeitraum die Kapitalerhaltung tangieren bzw. tangieren können.


7. Die Anfechtungstatbestände nach § 136 InsO und § 137 InsO

Die Anfechtung einer Rückgewähr von Einlagen und der Erlass einer Verlustbeteiligung bei einer stillen Gesellschaft sind in § 136 InsO normiert. § 136 InsO wird daher explizit ausschließlich für den stillen Gesellschafter maßgeblich.

§ 137 InsO betrifft die Rückabwicklung Wechsel- und Scheckzahlungen unter bestimmten Umständen. Die Praxisrelevanz dieser Anfechtungsnorm ist von äußerst geringer Bedeutung.



Wichtig ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass das insolvenzrechtliche Anfechtungsrecht äußerst komplex und vielschichtig ist und in der Praxis auf sehr viele „Ausgestaltungsformen“ treffen kann, die weder die (Rechts)Handlung des Schuldners noch die Leistung/Annahme des Gläubigers im auslösenden Zeitpunkt als insolvenzrechtlich anfechtbar erscheinen lassen. 

Umso schwerer wiegt der wirtschaftliche Schaden, wenn der Insolvenzverwalter nach vielen Jahren versucht, Vermögensbewegungen rückgängig zu machen und Gelder und/oder Leistungen von einem Gläubiger zurückfordert.

In solch einen Fall sollte unbedingt ein fachkundiger Rechtsanwalt zur Prüfung und Verteidigung hinsichtlich der geltend gemachten Anfechtungsansprüche hinzugezogen werden. Denn geschätzt in nahezu 99% der vom Insolvenzverwalter geltend gemachten Anfechtungsfälle kann dieser – bei Verteidigung durch einen fachkundigen Rechtsanwalt - den Anfechtungsanspruch nicht in geltend gemachter Form realisieren bzw. umsetzen.


Dieser Artikel stellt keine konkrete und individuelle Rechtsberatung dar, sondern gibt lediglich einen groben Erstüberblick über die geschilderte rechtliche Materie. Insbesondere sind die angeführten Anfechtungsnormen nach den §§ 129 ff. InsO lediglich in den Grundzügen dargestellt, um sie dem Leser verständlich darzubringen. Rechtliche Sicherheit für Ihre konkrete Fallkonstellation können Sie nur durch abgestimmte Prüfung und Beratung eines fachkundigen Rechtsanwalts erhalten. 

Gerne stehe ich Ihnen als Fachanwalt für Insolvenzrecht und Insolvenzverwalter bei Fragen rund um eine Insolvenzanfechtung zur Verfügung.



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Foto(s): Canva.de - Dr. Holger Traub


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