Elternunterhalt – grundsätzlich Pflegekosten uneingeschränkt geschuldet

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Klar wird nach der Gesetzeslage in Deutschland Elternunterhalt dann geschuldet, wenn die eigene Leistungsfähigkeit und Vermögenssituation dies gestattet. Maßgeblich sind die eigenen Einkünfte und Bedarfssituation, welche die Rechtsprechung an Hand von Unterhaltsleitlinien und Rechtsprechung dann hinsichtlich der Frage was und wie viel an Elternunterhalt zu bezahlen, ist heranzieht und urteilt. Hierbei spielt unter anderen auch eine Rolle, wie das Kind sich hinsichtlich der Betreuungssituation seiner Eltern verhalten hat.

Der Bundesgerichtshof hatte in einem speziell gelagerten Fall (Entscheidung vom 12.09.2018 Az. XII ZB 384 / 17) geurteilt, dass es von der grundsätzlichen Haftung für die Heimmehrkosten eine Grenze gibt, die dazu führt, dass nicht sämtliche aufgrund der Hörbehinderung veranlassten Kosten gegenüber den Kindern zu regressieren sind.

Der Sozialhilfeträger hatte die Töchter der Bedürftigen auf Zahlung von insgesamt 13.321,21 € und die 7.260,60 € rückständigen Elternunterhalts nebst Zinsen in Anspruch genommen. Die Beteiligten stritten darüber, ob die Töchter für die erhöhten Pflegesätze Ihres Elternteils aufkommen müssen, die seit September 2012 für die Unterbringung ihrer Mutter in der Gehörlosenwohngruppe berechnet werden. Das Amtsgericht hat dem Begehren der Antragstellerin bezüglich der Antragsgegnerin zu 1 nur in Höhe von 3.232,66 € nebst Zinsen und bezüglich der Antragsgegnerin zu 2 nur in Höhe von 1.507,01 € nebst Zinsen entsprochen und die weitergehenden Anträge zurückgewiesen. Diese Entscheidung war vom Beschwerdegericht aufgehoben, vom Bundesgerichtshof dann aber zugunsten der Töchter bestätigt worden.

Hierzu war in der Entscheidung unter anderem zu lösen:

Nach der Rechtsprechung des Senats wird der Unterhaltsbedarf des pflegebedürftigen Elternteils grundsätzlich durch seine Unterbringung in einem Heim bestimmt und deckt sich regelmäßig mit den dort anfallenden Kosten.

Ist der Elternteil im Alter sozialhilfebedürftig geworden, so beschränkt sich sein angemessener Lebensbedarf auf das Existenzminimum und damit verbunden grundsätzlich auf eine einfache und kostengünstige Heimunterbringung in einem Pflegeheim des unteren Preissegments.

Im Einzelfall sind auch höhere Kosten der Heimunterbringung außerhalb des unteren Preissegments vom Unterhaltspflichtigen zu tragen, wenn dem Elternteil die Wahl eines preisgünstigeren Heims nicht zumutbar war.

Das kann der Fall sein, wenn Eltern ihre Heimunterbringung zunächst noch selbst finanzieren konnten und erst später dazu nicht mehr in der Lage sind.

Darüber hinaus kann das unterhaltspflichtige Kind auch dann nicht einwenden, es habe eine kostengünstigere Unterbringung offen gestanden, wenn es selbst die Auswahl des Heims beeinflusst hat und sein Einwand infolgedessen gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens verstoßen würde (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Oktober 2015 XII ZB 26/15 FamRZ 2015, 2138 Rn. 17 und Senatsurteil vom 21. November 2012 XII ZR 150/15 FamRZ 2013, 203 Rn. 18).

In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hatten die Töchter sowohl die Auswahl des Heimplatzes als auch später die Unterbringung ihrer Mutter in der auf die speziellen Bedürfnisse hörbehinderter Menschen zugeschnittenen Wohngruppe bewusst unterstützt.

Hieraus hatte ein Instanzgericht den Schluss gezogen, dass der Verweis auf möglicherweise kostengünstigere Unterbringungsmöglichkeiten widersprüchlich dem Einwand der Töchter betreffen, die Übernahme der Heimkosten daher unbeachtlich ist.

Entsprechend auch die seit September 2012 für die Unterbringung der Hilfeempfängerin in der Wohngruppe „Sprechende Hände“ anfallen Kosten Gegenstand eines Unterhaltsanspruchs sein kann, welcher mit Erbringung der Sozialleistungen auf den Staat übergehen und vom Unterhaltspflichtigen eingefordert werden können, auch wenn eine Einstufung der Bedürftigen in die Pflegestufe II (Zu Unrecht) unterblieb. Die sehr umfangreichen Einwendungen der Anwälte der Töchter hielt auch der Bundesgerichtshof im Übrigen für unbeachtlich, stellte dann aber aufgrund der speziellen Lebens- und Bedarfssituation Hörbehinderter Menschen und deren Versorgung darauf ab, dass der Anspruchsübergang auf Kostenerstattung zugunsten des Sozialhilfeträgers nicht in Betracht kam.

Einzig maßgeblich für die Frage des Regresses, war nach Ansicht des BGH in dem dort entschiedenen Fall, die Frage, wann die Kinder nicht für diese speziellen Pflegekosten haften unter welchen Voraussetzungen ein Anspruchsübergang nach § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII wegen unbilliger Härte ausgeschlossen ist.

Dies beurteilt sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nach öffentlich-rechtlichen Kriterien die wie folgt darzustellen sind:

  • Entscheidend ist daher, ob aus Sicht des Sozialhilferechts durch den Anspruchsübergang soziale Belange berührt werden, was notwendigerweise voraussetzt, dass der den Härtegrund rechtfertigende Lebenssachverhalt einen erkennbaren Bezug zum Sozialhilferecht oder zu einem sonstigen Handeln des Staates und seiner Organe aufweist (Senatsbeschlüsse BGHZ 206, 177 = FamRZ 2015, 1467 Rn. 33 und Senatsurteil vom 15. September 2010 XII ZR 148/09 FamRZ 2010, 1888 Rn. 45).
  • Die Härte kann in materieller oder immaterieller Hinsicht bestehen und entweder in der Person des Unterhaltspflichtigen oder in derjenigen des Hilfeempfängers vorliegen. Bei der Auslegung der Härteklausel ist in erster Linie die Zielsetzung der Hilfe zu berücksichtigen, daneben sind die allgemeinen Grundsätze der Sozialhilfe zu beachten.
  • Eine unbillige Härte liegt danach insbesondere vor, wenn und soweit der öffentlich-rechtliche Grundsatz der familiengerechten Hilfe (§ 16 SGB XII), nach dem unter anderem auf die Belange und Beziehungen in der Familie Rücksicht zu nehmen ist, einer Heranziehung entgegensteht (vgl. Senatsbeschlüsse BGHZ 206, 177 = FamRZ 2015, 1467 Rn. 34 und BGHZ 206, 25 = FamRZ 2015, 1594 Rn. 36); das wäre dann der Fall, wenn die laufende Heranziehung in Anbetracht der sozialen und wirtschaftlichen Lage des Unterhaltspflichtigen mit Rücksicht auf die Höhe und Dauer des Bedarfs zu einer nachhaltigen und unzumutbaren Beeinträchtigung des Unterhaltspflichtigen und der übrigen Familienmitglieder führen würde (Senatsurteile vom 15. September 2010 XII ZR 148/09 FamRZ 2010, 1888 Rn. 46 und vom 23. Juni 2010 XII ZR 170/08 FamRZ 2010, 1418 Rn. 34 mwN).

Anders als das Beschwerdegericht sah der Bundesgerichtshof in dem dort entschiedenen Fall hinreichende Anknüpfungspunkte dafür, dass durch den Anspruchsübergang wegen der erhöhten Heimkosten in der Wohngruppe „Sprechende Hände“ soziale Belange berührt werden.

  • Die im Unterhaltszeitraum maßgebliche Rechtslage in Bezug auf die Kostentragung für die Verwendung von Kommunikationshilfen durch hörbehinderte Personen in der stationären Pflege erweist sich zumindest teilweise als inkohärent.
  • Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB XI aF gehörten die zur Befriedigung des Kommunikationsbedürfnisses von Heimbewohnern in der stationären Pflege erforderlichen Kosten zu den von der Pflegekasse übernommenen Aufwendungen für die soziale Betreuung (vgl. KassKomm/Leitherer [Stand: September 2016] § 28 SGB XI Rn. 27; vgl. auch Gemeinsames Rundschreiben des GKV-Spitzenverbands und der Pflegekassen auf Bundesebene zu den leistungsrechtlichen Vorschriften vom 17. April 2013, Nr. 4 zu § 28 SGB XI).
  • Im Rahmen der Kostenübernahme durch die Pflegekasse war es Sache des Pflegeheims als Leistungserbringer, die Kommunikationsbedürfnisse der Heimbewohner zu befriedigen und die dafür erforderlichen Kosten bei der Kalkulation seiner leistungsgerechten Vergütung abzubilden (vgl. KassKomm/Leitherer [Stand: September 2016] § 28 SGB XI Rn. 27 mwN).
  • Die soziale Pflegeversicherung verfolgt indessen weder nach dem früheren noch nach dem heutigen Rechtszustand den Anspruch einer umfassenden Bedarfsdeckung im Leistungsfall. Vielmehr gewährt die Pflegekasse Leistungen nur im Rahmen begrenzter Pauschalbeträge (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB XI), die schon im Ansatz nicht darauf ausgerichtet sind, die pflegebedingten Kosten einschließlich der in den Leistungsrahmen der sozialen Pflegeversicherung ausdrücklich einbezogenen Kosten der sozialen Betreuung ganz oder auch nur überwiegend in der Höhe zu decken, in der sie tatsächlich anfielen.
  • Dies hat zur Folge, dass ein gehörloser Versicherter über die Zuzahlungen für eine speziell an seinen Kommunikationsbedürfnissen orientierte Heimunterbringung die Aufwendungen für seine soziale Betreuung und damit auch die Kosten für die Verwendung von Kommunikationshilfen jedenfalls mittelbar durch seine Eigenbeträge mitfinanziert. 
  • Dadurch wird der allgemeine sozialleistungsrechtliche Grundsatz des § 17 Abs. 2 Satz 2 SGB I, wonach die Kosten für die Verwendung der Gebärdensprache nicht dem Hörbehinderten zur Last fallen sollen, bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise tatsächlich wieder eingeschränkt.

Entsprechend dieser Grundsätze der Bundesgerichtshof insgesamt dann wie folgt urteilte:

  • Die (verstärkte) Sozialhilfebedürftigkeit der Hilfeempfängerin ist hiernach auf eine dem staatlichen Handeln zuzurechnende Rechtslage (vgl. dazu BGHZ 206, 25 = FamRZ 2015, 1594 Rn. 38) zurückzuführen, die den besonderen Belangen hörbehinderter Menschen in der vollstationären Pflege nicht ausreichend Rechnung trägt.

Vor diesem Hintergrund erweist sich die Heranziehung der Töchter der Hilfeempfängerin auch deshalb als unbillige Härte im Sinne von § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII, weil diese die Behinderung ihrer von Geburt an gehörlosen Mutter im Familienverband seit frühester Kindheit mitgetragen haben. Es verbleibt deshalb zumindest im Ergebnis bei der angefochtenen Entscheidung des Amtsgerichts.


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