Fristgemäße ärztliche Invaliditätsfeststellung und Beweissicherungsverfahren

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OLG Dresden, Beschluss vom 18.05.2022, AZ. 4 W 279/22


Das OLG Dresden hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob eine fristgemäße ärztliche Invaliditätsfeststellung Zulässigkeitsvoraussetzung für ein Beweissicherungsverfahren ist. Dies hat das OLG Dresden zu Recht verneint.


Die Versicherungsnehmerin begehrte im Wege des selbstständigen Beweisverfahrens ein schriftliches medizinisches Sachverständigengutachten zu den Fragen einzuholen, ob die von ihr durch einen Unfall erlittenen Gesundheitsschädigungen/Funktionsbeeinträchtigungen zu einer Invalidität geführt haben und wie hoch dieser Invaliditätsgrad ist.


Das Landgericht Dresden hatte den Antrag abgelehnt, da es in dem vorliegenden Fall bereits an einer fristgemäßen ärztlichen Feststellung fehle und demgemäß an einer erforderlichen Anspruchsvoraussetzung für einen Zahlungsanspruch aus der privaten Unfallversicherung.


Gegen diese Entscheidung legte die Versicherungsnehmerin erfolgreich Beschwerde beim OLG Dresden ein.


Das OLG Dresden führt in seinem Beschluss aus, dass ein rechtliches Interesse für das Beweisverfahren nur dann verneint werden könne, wenn ein Rechtsverhältnis, ein möglicher Prozessgegner oder ein Anspruch nicht ersichtlich sei. Voraussetzung einer Unzulässigkeit sei insoweit, dass evident wäre, dass der behauptete Anspruch keinesfalls bestehen könne. In dem vorliegenden Fall sei eine solche Evidenz nicht gegeben. Das Gericht setzt sich hier auseinander mit den Voraussetzungen einer ärztlichen Invaliditätsfeststellung, die in der Sache bestätigen muss, dass innerhalb der maßgeblichen Frist ein bestimmter, die körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit beeinträchtigender gesundheitlicher Dauerschaden eingetreten ist, der auf den Unfall ursächlich zurückzuführen ist. Einen bestimmten Invaliditätsgrad muss diese Bescheinigung nicht benennen und sie muss auch nicht auf einer qualifizierten ärztlichen Diagnose beruhen. Auch widersprüchliche Stellungnahmen eines oder mehrerer Ärzte schaden nicht, wenn jedenfalls eine ausreichende Stellungnahme vorliegt.


Auf den vorliegenden Fall bezogen führt das Gericht aus, dass hier die ärztliche Feststellung einen bestimmten Dauerschaden festgestellt habe und im Formularbogen des Versicherers auch durch Ankreuzen eine Kausalität bescheinigt sei. Da jedoch im Widerspruch hierzu der Arzt weiterhin Angaben dazu gemacht hat, dass er „zur Kausalität keine Angaben machen“ könne, bezweifelte das OLG Dresden, ob dieses Schreiben tatsächlich den Anforderungen einer ärztlichen Feststellung Genüge tut. Das OLG Dresden hat dies dahinstehen lassen, da selbst dadurch bedingt die Unzulässigkeit nicht evident wäre und zum anderen in dem vorliegenden Fall sich der Versicherungsnehmer einer ärztlichen Begutachtung durch den Versicherer unterzogen hatte, sodass in einem anschließenden Klageverfahren zu prüfen wäre, ob eine Berufung des Versicherers auf eine fehlende ärztliche Bescheinigung nicht ausnahmsweise nach § 242 BGB als treuwidrig anzusehen wäre. Dies und auch die konkrete Art und Weise der Begutachtung müsste in einem Prozess geklärt werden; das selbstständige Beweisverfahren sei hier nicht der Ort, um derartigen Streitfragen nachzugehen. Im Ergebnis sei insoweit in dem vorliegenden Fall die Durchführung eines Beweisverfahrens zulässig.


Das OLG Dresden erachtet dann im Weiteren auch die von der Antragstellerin/Versicherungsnehmerin gestellten Fragen für zulässig. Inhalt und Grenze eines Beweisthemas werden im selbstständigen Beweisverfahren vom Antragsteller bestimmt und nicht vom Gericht, sofern nicht ein Ausforschungsbeweis vorliegt. Ein solcher würde in dem hier vorliegenden Fall nicht vorliegen.


Unsere Anmerkung hierzu:


Das sogenannte selbstständige Beweisverfahren ist ein probates Mittel, eine unfallbedingte Invalidität gutachterlich bewerten zu lassen. In vielen Fällen gelangt man damit auch schneller zu einer Begutachtung, da ein erster Gütetermin oder aber ein oftmals auch zeitaufwendiges schriftliches Vorverfahren nicht durchgeführt wird.


Unzulässig ist dieses Verfahren lediglich dann, wenn evident ist, dass ein behaupteter Anspruch keinesfalls bestehen kann, vgl. auch BGH, AZ. III ZB 33/04. Dies ist nicht der Fall, wenn die Anspruchsvoraussetzung im Sinne einer ärztlichen Invaliditätsfeststellung streitig ist oder diskussionswürdig, was das OLG Dresden in seiner Beschlussfassung ausführlich beschreibt. Diese Frage ist in dem Folgeprozess zu klären und hindert insoweit nicht die Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens.


Selbstverständlich sind auch Fälle denkbar, in denen eine ärztliche Invaliditätsfeststellung nicht vorliegt und insoweit auch ein Anspruch evident nicht besteht.


Auch in Bezug auf die Anforderungen an die ärztliche Invaliditätsfeststellung sind die Entscheidungsgründe lesenswert. Die Bedeutung der ärztlichen Invaliditätsfeststellung als Anspruchsvoraussetzung für den Versicherungsnehmer hat in der anwaltlichen Beratung einen hervorgehobenen Stellenwert. Da die ärztliche Invaliditätsfeststellung viele Fehler oder zumindest Unklarheiten beinhalten kann, ist hier eine anwaltliche Beratung bereits im Vorfeld von Wichtigkeit, um hier keinen Anspruchsverlust zu erleiden. Hierfür stehen wir Ihnen selbstverständlich jederzeit zur Verfügung.



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