Gleichversterbensklausel (Urteil des LG Hagen vom 27.06.2022)

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Die sogenannten “Gleichversterbensklauseln“ führen in Testamenten bei der Rechtsanwendung regelmäßig zu erheblichen Auslegungsproblemen. So auch im obigen Urteil, welches ich für meinen Mandanten mit viel Mühe und gegen Gegenwind gewinnen konnte.


1. Problemaufriss: Was sind Gleichversterbensklauseln?

Gleichversterbensklauseln finden sich zumeist in gemeinschaftlichen letztwilligen Verfügungen. Ehegatten haben in Deutschland genauso wie Lebenspartner die Möglichkeit, sogenannte gemeinschaftliche Testamente zu errichten.

Der Sinn und Zweck von gemeinschaftlichen Testamenten ist, dass Eheleute einen gemeinsamen letzten Willen bilden.

Eine häufige Form der gemeinschaftlichen Testierung ist das sogenannte Berliner Testament. Das Berliner Testament ist eine Testamentseinsetzungsmethode, bei welcher sich die Ehegatten jeweils zum Erben des Erstversterbenden bestimmen und sodann zumeist gemeinsame Abkömmlinge zu den Letzt- oder Schlusserben einsetzen.

Probleme machen in diesem Rahmen Testamente, die ausschließlich eine Gleichversterbensklausel aufweisen. Eine Gleichversterbensklausel ist eine Klausel, in welchem die beiden Ehegatten letztwillige Verfügungen für den Fall des gleichzeitigen Versterbens treffen.

In dem oben beschriebenen Fall setzten die Erblasser folgende letztwillige Verfügung fest: 

„(...)Darüber hinaus verfügen wir, falls wir gleichzeitig versterben sollten, dass S als Alleinerbe eingesetzt wird“.

Im Folgenden verstarb zuerst der Ehemann und über zwölf Jahre später die Ehefrau.

Nunmehr behauptete der S, dass er aufgrund des hier gegenständlichen Testaments Alleinerbe geworden war. Ich vertrat in dieser Angelegenheit den, nach Meinung des S, enterbten Bruder.

Gleichversterbensklauseln sind dem Grunde nach deswegen so problematisch in der Handhabe, weil der Erblasserwille sich aus diesen nicht eindeutig herauslesen lässt. Dem reinen Wortlaut der Verfügung nach betrifft diese Klausel lediglich den Fall des gleichzeitigen, also zeitlich nah aufeinanderfolgenden, Versterbens. Der BGH hat in seinem Beschluss vom 19. Juni 2019, Az.: IV ZB 30/18 die Auslegung der Gleichversterbensklausel dahingehend erweitert, dass diese dem Grunde nach auch den Fall erfasst, wenn der zweite Ehegatte verstirbt, ohne dass dieser noch die Möglichkeit gehabt hat, erneut oder anders zu testieren. Der Bundesgerichtshof fasst mit dieser Auslegung die Gleichversterbensklausel schon deutlich weiter als der Durchschnittsbürger eine solche Klausel verstehen würde.

Dennoch hat der Bundesgerichtshof damit die absolute Auslegungsgrenze erreicht.

Nach eben zitiertem Urteil des Bundesgerichtshofs ist eine Auslegung der Gleichversterbensklausel für den Fall, dass die Ehegatten weit, also mehrere Jahre auseinander versterben, nicht möglich.

Trotz des relativ eindeutigen Urteils des Bundesgerichtshofs ist erstaunlich, dass gerade mit Nachlässen befasste Gerichte häufig diese Rechtsprechung nicht kennen.

So war es auch in meinem vorliegenden Fall. Der S hatte nunmehr einen Erbschein beantragt und wir wehrten uns im weiteren Verfahren gegen die Erteilung dieses Erbscheins.

Trotz der zitierten Rechtsprechung befand das Nachlassgericht, dass der S tatsächlich aufgrund der Gleichversterbensklausel Erbe geworden sei.

Aufgrund diverser taktischer Überlegungen und der kompletten Inbesitznahme des Nachlasses durch den S, entschloss ich mich mit meinem Mandanten nunmehr eine Feststellungsklage und eine Auskunftsklage vor einem ordentlichen Gericht zu erheben. Diese hatte den Inhalt, dass die Gleichversterbensklausel nicht auf den Fall angewandt werden könne, dass die Ehegatten mehrere Jahre auseinander verstorben sind.  Für diesen Fall gelte die gesetzliche Erbfolge, mit der Folge, dass mein Mandant Miterbe geworden war.

Auch hier wurde wiederum die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zitiert, welche recht eindeutig auf den Fall passt. Zu meiner großen Überraschung gab es eine erste mündliche Verhandlung, in welcher das Gericht den Hinweis erteilte, dass meine Partei das Verfahren aus Sicht des Gerichts komplett verlieren würde. Das Gericht fragte an, ob eine vergleichsweise Regelung, welche für uns nicht in Frage kam, denn eine gangbare Lösung sei.

Im weiteren Verlauf des Verfahrens lehnten wir den Vergleichsvorschlag ab und betonten noch einmal, dass die Gleichversterbensklausel nicht auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar sein dürfte.

Anscheinend hat sich das Gericht sodann bis zur Urteilsfindung die hier zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einmal genauer zu Gemüte geführt und uns letztendlich in der Sache Recht gegeben.

Das Gericht befand, dass die Gleichversterbensklausel auf einen Fall, in welchem die Ehegatten Jahre auseinander verstorben sind, nicht anwendbar sei und daher mein Mandant in dem Verfahren Miterbe mit dem Beklagten S geworden ist.

Nunmehr bilden beide eine Erbengemeinschaft.


2. Behandlung der Gleichversterbensklausel

Das oben geführte Verfahren zeigt, welche enormen Probleme die Gleichversterbensklausel in der Praxis macht. Ein ebenso kritischer wie simpler Rat in dieser Angelegenheit ist, keine solche Klausel in einem gemeinschaftlichen Testament aufzunehmen, sondern genau zu bestimmen, was bei welchem Erbfall passieren soll.

Sollte es dennoch zu solch einer Klausel im Testament kommen, ist eine gerichtliche Auseinandersetzung der potentiellen Erben kaum zu umgehen.

In einer solchen Konstellation muss derjenige, welcher sich auf die konkrete Fallsituation beruft, den Willen des Erblassers beweisen. Im obigen Verfahren musste also der S beweisen, dass die Erblasser mit der Gleichversterbensklausel auch ein weit auseinanderliegendes Versterben erfasst haben wollten.

Erkennbar ist diese Beweissituation äußerst unglücklich und so gut wie nicht zu bewältigen. Hinzu kommt auch noch die sogenannte Andeutungstheorie des Bundesgerichtshofs, dass in einem solchen Fall, in welchem außerhalb des Testaments Auslegungskriterien gesucht werden müssen, selbst wieder die Schriftform gewahrt sein muss, um nicht das Schriftformerfordernis des Testaments umgehen zu können.

Genau diese Konstellation zeigt die Notwendigkeit, in seiner letztwilligen Verfügung äußerst deutlich und genau zu sein, denn im Falle des Streits kann derjenige, welcher die Verfügung in die Welt gesetzt hat, nämlich der Erblasser, zumeist nicht mehr befragt werden.


3. Fazit:

Es ist für mich immer noch erstaunlich, dass viele Gerichte über die standardmäßige Rechtsprechung im Bereich des Erbrechts nicht hinreichend informiert sind. Der obige Fall zeigt, wie erforderlich es ist, dass man einen Anwalt einschaltet, der zum einen die erbrechtliche Rechtsprechung gut kennt und zum anderen in der Lage ist, sich auch gegen den erklärten Willen von, wie in diesem Fall, zwei Gerichten hinwegzusetzen, um seinem Mandanten das nötige Recht zu verschaffen.

Die Auslegung von Testamenten ist mittlerweile eine absolute Profiangelegenheit. Hier sollte kein nicht juristisch Geschulter versuchen, eine entsprechende Auslegung vorzunehmen.

Im Ergebnis kommt es bei Testamentsauslegungen auf den genauen Wortlaut an. Hilft dieser nicht weiter, müssen weitere, die Auslegung des Erblasserwillen stützende Randumstände beigebracht werden.


Sicherer ist es, sich hier durch einen Profi beraten zu lassen.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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