Kartellschadensersatz - wichtiges Urteil des BGH zur Schadenspauschalierung durch Allgemeine Geschäftsbedingungen*

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Seit Ende April liegen nun die Entscheidungsgründe des BGH zum Urteil vom 10. Februar 2021 – KZR 63/19 – vor. In dem Grundsatzurteil wurde entschieden, dass der Schadensersatzanspruch eines Kartellgeschädigten, der ein Produkt zu einem kartellbedingt überhöhten Preis erworben hat, durch eine Klausel im Kaufvertrag grundsätzlich wirksam in Höhe eines 15% der Abrechnungssumme nicht übersteigenden Betrags pauschaliert werden kann.

Schadenspauschalierungsklauseln als Mittel zur Lösung der Nachweisprobleme von Geschädigten

Seit mittlerweile vielen Jahren sind Kartellschadensersatzbegehren in Deutschland und Europa, d.h. die Geltendmachung von Ansprüchen auf Schadensersatz von Kunden als Opfer schwerer Kartellverstöße wie etwa Preisabsprachen oder geographische Marktaufteilung, u.a. infolge von Initiativen der Europäischen Kommission und nationaler Kartellbehörden, Urteilen des Europäischen Gerichtshofs und des BGH fest etablierte Praxis. Nach wie vor ist es aber so, dass auch weiterhin der Nachweis des konkreten Schadens für Geschädigte im Einzelfall mit schweren Nachweisproblemen einhergeht.

Um den Schwierigkeiten und dem Aufwand beim Schadensnachweis zu begegnen, vereinbaren Unternehmen mittlerweile häufiger in ihren Einkaufsbedingungen oder in Individualverträgen Regelungen über pauschalierten Schadensersatz für den Fall, dass der Vertragspartner gegen das Kartellrecht verstößt.

Rechtliche Grenzen zum Umfang der Zulässigkeit  in AGB‘s

Die rechtlichen Grenzen solcher Klauseln waren bislang schon mehrfach Gegenstand instanzgerichtlicher Entscheidungen, wobei viele Einzelheiten umstritten sind. Der BGH hatte nun die Gelegenheit einige Grundsatzfragen zu klären.

In dem betreffenden Verfahren ging es um eine Klausel, die die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) gegenüber Beteiligten des sog. Schienenkartells und auch gegenüber der betreffenden Beklagten verwendet hatten. Die betreffende Klausel in den Geschäftsbedingungen der BVG lautete:

„Wenn der Auftragnehmer aus Anlass der Vergabe nachweislich eine Abrede getroffen hat, die eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung darstellt, hat er 5% der Abrechnungssumme als pauschalierten Schadensersatz an den Auftraggeber zu zahlen, es sei denn, dass ein Schaden in anderer Höhe nachgewiesen wird.“

Die BVG verlangte auf Basis dieser Klausel Schadensersatz in dieser Höhe, weil Hersteller und Händler von Schienen, Weichen und Schwellen nach den behördlichen Feststellungen spätestens seit 2001 bis zur Aufdeckung des Kartells im Mai 2011 Preis-, Quoten- und Kundenschutzabsprachen praktizierten, an denen auch die Beklagte beteiligt war.

Möglichkeit der Heranziehung ökonomisch fundierter allgemeiner Analysen zur Quantifizierung des pauschalierten Schadens wegen Informationsasymmetrie gerechtfertigt

Nach der Entscheidung des BGH ist die streitgegenständliche Klausel wirksam. Eine im unternehmerischen Geschäftsverkehr verwendete Schadenspauschalierungsklausel ist nicht an dem Klauselverbot nach § 309 Nr. 5 BGB zu messen, jedoch sind die Wertungen im Rahmen der Abwägung nach § 307 BGB zu berücksichtigen. Bei dieser gebotenen Interessenabwägung stellt sich der BGH auf den Standpunkt, dass den Besonderheiten kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche Rechnung zu tragen ist.

Die Bezifferung eines Schadens, der aus einem Verstoß gegen das Kartellverbot resultiere, sei regelmäßig mit erheblichen tatsächlichen Schwierigkeiten und großem sachlichen und finanziellen Aufwand verbunden. In besonderem Maße gilt dies für den praktisch bedeutsamen Fall des durch Kartellabsprachen verursachten Preishöhenschadens aufgrund der Notwendigkeit des vereinbarten Preises mit einem nur schwer zu ermitteltenden hypothetischen Wettbewerbspreis. Das Informationsdefizit des redlichen Klauselverwenders, der für den Fall einer Kartellabsprache mit Hilfe der Pauschalierungsklausel eine effiziente Kompensation des aus dem vom unredlichen Vertragspartner verursachten Vermögensschaden anstrebt, unterscheide Kartellschadensersatzfälle von solchen, in denen mit der Pauschalierungsklausel ein Schaden abgegolten werden soll, der aus der Verletzung einer vertragstypischen Pflicht resultiert und bei dem sich der Geschädigte zur Bemessung eines branchentypischen Durchschnittsschadens auf entsprechende Erfahrungswerte stützen kann.

Der Auftraggeber dürfe sich deshalb auf verfügbare ökonomisch fundierte allgemeine Analysen kartellbedingter Preisaufschläge wie eine von der BVG in den Rechtsstreit eingeführte, von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene Studie stützen, nach denen sich durch eine Kartellabsprache verursachte Preiserhöhungen im arithmetischen und geometrischen Mittel jedenfalls 15 Prozent, bezogen auf den tatsächlich gezahlten Kaufpreis, belaufen.

Nachweis eines fehlenden oder geringeren Schadens muss möglich bleiben

Eine Klausel, die das Risiko der Aufklärung des tatsächlich entstandenen Schadens dem Vertragspartner aufbürdet, steht jedenfalls dann mit den sich aus § 307 Abs. 1 S. 1 BGB ergebenden Anforderungen im Einklang, wenn die pauschalierte Schadenshöhe mit der Gefahr einer Über- wie einer Unterkompensation verbunden ist und es beiden Vertragsparteien überlassen bleibt, jeweils einen ihr günstigeren hypothetischen Marktpreis und damit einen fehlenden oder geringeren oder auch einen höheren Schaden nachzuweisen. Aus diesem Grunde war die Revision der Beklagten erfolgreich, denn das Berufungsgericht war dem Vorbringen der Beklagten, der BVG sei kein oder nur ein geringerer Schaden entstanden, nicht nachgegangen.

Praxisfolgen

  1. Nach der BGH-Entscheidung steht fest, dass Schadenspauschalierungsklauseln wirksam in Höhe von 15% des tatsächlich gezahlten Kaufpreises vereinbart werden können. Unklar bleibt aber nach wie vor der genaue Anwendungsbereich solcher Klauseln. Der BGH hat die weitgefasste Klausel im Sinne der Erfassung aller Wettbewerbsbeschränkungen in dem Sinne ausgelegt, dass im Rahmen eines Vergabeverfahrens die Klausel so zu verstehen ist, dass Submissionsabsprachen und ähnliche (horizontale) bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen wie Preis-, Quoten-, Kundenschutz- oder Gebietsabsprachen erfasst sind. Es sollen also die typischen Hardcorekartelle erfasst werden. Ob eine telelogische Reduktion in diesem Sinne stets möglich ist, bleibt unklar und dürfte auch von der Höhe der Schadenspauschale abhängen.
  2. Dem Kläger hilft die Schadenspauschale für den Schadensnachweis, denn die Nachweispflicht ist zunächst erfüllt. Jedoch hat der Beklagte stets die Möglichkeit, das Vorliegen keines Schadens oder eines geringeren Schadens nachzuweisen. Der Beklagte trägt dafür aber die Beweislast.
  3. Unklar bleibt, wie mit der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung in Form von Informationsaustäuschen insb. zu preisrelevanter Informationen umzugehen ist, die mittlerweile häufig im Fokus von Behördenentscheidungen entstehen. Die gebilligte 15%-Schadenspauschale soll offenbar für diese Fälle nicht gelten können, jedoch ist eine gesonderte Klausel mit einer niedrigeren Schadenspauschale für den Bereich der schwerwiegenden Verstöße (sprich insb. Informationsaustäusche zu Preisen und Mengen, die einem Kartellverhalten ähneln) nicht prinzipiell ausgeschlossen. Erforderlich wäre wohl eine Möglichkeit der Bezugnahme auf ökonomisch fundierte allgemeine Analyse, was bei reinen Informationsaustauschfällen komplex ist. Bei Verstößen gegen das Mißbrauchsverbot gilt ähnliches.
  4. Neben den offenen Fragen zur Schadenspauschalierung im Falle des Informationsaustauschs ist auch weiterhin ungeklärt, inwieweit Klauseln auch für wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen auf der Einkaufsseite (sprich Wettbewerbsbeschränkungen auf Nachfrageseite) in vergleichbarer Höhe wirksam sind. Auch hier ist eine Differenzierung von Schadenspauschalen für den typischen Hardcorekartellbereich und sonstigen bezweckten Beschränkungen angemessen.
  5. Einen höheren Schadensersatz als die Pauschale darf der Klauselverwender nur geltend machen, wenn er sich dies in der Klausel ausdrücklich vorbehält.
  6. Um das Unwirksamkeitsrisiko der Klausel zu begrenzen, muss die Klausel sorgfältig abgewogen und je nach Ausgestaltung ggf. abgeschichtet nach Verstoßtyp und Schadenshöhe formuliert werden.  
  7. Zu erwähnen bleibt, dass es Parteien unbenommen bleibt und rechtlich unproblematisch zulässig ist, individualvertraglich (ggf. beidseitig geltende) Schadenspauschalierungen auszuhandeln.

*Dieser Rechtstipp dient der generellen Information und stellt keinen Rechtsrat dar.


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