Kostenerstattung für Beinprothese – Umversorgung einer C-Leg-Beinprothese mit einem EX-Kniegelenk

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Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 09.11.2017, L 1 KR 65/17

Das Hessische Landessozialgericht befasste sich mit der Frage, ob eine gesetzliche Krankenkasse die Kosten des Umbaus einer sog. „C-Leg-Beinprothese“ in eine Oberschenkelprothese nach dem „EX. Prothetic System“ (sog. EX-Kniegelenk) verpflichtet ist. Die Kosten beliefen sich auf rund 26.200,00 €.

Der Kläger hatte im Frühjahr 2012 infolge eines Sportunfalls den Unterschenkel im Kniegelenk (Kniegelenkexartikulation) verloren. Er wurde zunächst mit einer Oberschenkelprothese mit C-Leg-Prothesensystem versorgt, testete anschließend jedoch zweimal eine Versorgung mit dem EX-Kniegelenk.

Unter Beifügung einer ärztlichen Verordnung beantragte der Kläger daraufhin eine Beinprothesenversorgung mit dem EX-Kniegelenk. Die Probeversorgung habe gezeigt, dass es unter Verwendung des EX Kniegelenks zu einer Erhöhung der Sicherheit, einer deutlichen Entlastung der Gegenseite, einer Verbesserung des harmonischen Gangbildes sowie einer deutlichen Verbesserung der Geh- bzw. Stehfähigkeit beim Treppaufgehen, Übersteigen von Hindernissen, Stehen auf ebenem und schrägem Untergrund, Gehen auf der Schräge, Rückwärtsgehen sowie Tragen von Gegenständen komme.

Die gesetzliche Krankenversicherung wandte dagegen ein, dass der Kläger mit dem C-Leg-System eine ausreichende und sichere Gangfähigkeit im Rahmen seines Mobilitätsgrades III (freies sicheres Gehen innerhalb und außerhalb des Hauses ohne die Verwendung von Hilfsmitteln) erreichen könne. Im Übrigen sei ein wesentlicher Gebrauchsvorteil der auf dem Markt neu eingeführten mikroprozessorgesteuerten Kniegelenks nicht anhand evidenzbasierter klinischer Studien nachgewiesen. Es sei zudem das Wirtschaftlichkeitsgebot zu beachten.

Im Rahmen einer gerichtlich veranlassten Begutachtung stellte sich heraus, dass die Versorgung des Klägers mit der EX-Prothese die einzige Möglichkeit darstellt, um die bei dem Kläger bestehende Behinderung nahezu vollständig auszugleichen. Das Hessische Landessozialgericht verurteilte daher die Krankenkasse zur Kostenerstattung.

Die Kostenerstattung richtet sich nach § 33 SGB V

Rechtsgrundlage des Leistungsanspruchs ist § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Hiernach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, wenn sie u. a. erforderlich sind, eine Behinderung auszugleichen. Die Leistungen nach § 33 SGB V müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.

Der unmittelbare Behinderungsausgleich zielt auf den vollständigen, funktionellen Ausgleich ab

Gleichwohl ist der unmittelbare Behinderungsausgleich aber auch von dem Ziel eines vollständigen funktionellen Ausgleichs geleitet. Im Vordergrund stehe dabei der unmittelbare Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion. Es gelte das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V).

Gute Chancen bei Innovationen/Beinprothesen mit wesentlichen Gebrauchsvorteilen gegenüber dem alten Standard

Deshalb kann die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard reiche aus, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des „Gleichziehens“ mit einem gesunden Menschen erreicht ist (Bundessozialgericht, Urteil vom 06.09.2004, B 3 KR 20/04 R). Eingeschlossen in den Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenkassen ist eine kostenaufwändige Versorgung, wenn durch sie eine Verbesserung erreicht wird, die einen wesentlichen Gebrauchsvorteil gegenüber einer kostengünstigeren Alternative bietet.

Das gilt bei Hilfsmitteln zum unmittelbaren Behinderungsausgleich insbesondere durch Prothesen für grundsätzlich jede Innovation, die dem Versicherten in seinem Alltagsleben deutliche Gebrauchsvorteile bietet (Bundessozialgericht, Urteil vom 24.01.2013, B 3 KR 5/12 R).

Keine Leistungspflicht besteht dagegen bei Innovationen, die in erster Linie die Bequemlichkeit, den Komfort bei der Nutzung oder allein ästhetische Vorteile bieten. Gleiches gilt, wenn nur eine minimale Verbesserung des Gebrauchsnutzens einem enormen Mehraufwand gegenübersteht.

Betroffene können Mut fassen: Ist konkret nachweisbar, dass eine medizinisch und technisch fortentwickelte Prothese die ausgefallene oder beeinträchtigte Körperfunktion deutlich besser in allen Lebensbereichen ausgleicht als herkömmliche Prothesen, so sollte eine Umrüstung/Umversorgung gegenüber der Krankenversicherung angestrengt werden.

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Rechtsanwältin Maike Bohn, Hamburg


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