Krankenkasse muss Handbike (elektrische Rollstuhlzughilfe mit Handkurbelunterstützung) gewähren - Teilhabe

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Der 1. Senat des Hessischen Landessozialgerichts hat mit einem am 12.10.21 veröffentlichen Urteil erfreulicherweise entschieden, dass Krankenversicherte einen Anspruch auf ein Handbike haben (Az. L 1 KR 65/20).

Der Fall

Ein querschnittsgelähmter Versicherter war bislang mit einem einfachen Faltrollstuhl ausgestattet. Er beantragte daher bei seiner Krankenkasse die Versorgung mit einem Handbike. Dabei handelt es sich um eine elektrische Rollstuhlzughilfe mit Handkurbelunterstützung, welche an den Faltrollstuhl angekoppelt werden kann. Hierzu führte der Versicherte aus, dass er ohne dieses Hilfsmittel die Bordsteinkanten nicht überwinden könne sowie Gefällstrecken nicht befahren und daher nur unzureichend am öffentlichen Leben teilnehmen könne. Zudem fördere es seine Beweglichkeit und reduziere Muskelverspannungen im Schulter-Arm-Bereich. Er sei dazu in der Lage das Handbike selbstständig an den Faltrollstuhl anzukoppeln. Bei einem Elektrorollstuhl hingegen sei er auf fremde Hilfe angewiesen.

Die Krankenkasse lehnte jedoch die beantragte, ca. 8.600 € teure, Versorgung mit dem Hilfsmittel ab. Zur Begründung führte sie aus, dass der Kläger sich den Nahbereich mit den vorhandenen Hilfsmitteln und dem angebotenen Elektrorollstuhl (Kosten ca. 5.000 €) ausreichend erschließen könne.

Das Sozialgericht gab dem Versicherten Recht. Hiergegen legte die Krankenkasse nun erfolglos Berufung ein.

Behinderungsausgleich soll selbstbestimmtes Leben ermöglichen

Das Sozialgericht und auch das Landessozialgericht bejahten den Anspruch des Versicherten auf Versorgung mit der begehrten elektrischen Rollstuhlzughilfe. Versicherte hätten Anspruch auf Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich.

§ 33 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V)

(1) Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen (…) sind. 

Das Landessozialgericht bestätigte den Anspruch des Versicherten und führte hierzu aus, dass das Grundbedürfnis nach Mobilität durch Erschließung des Nahbereichs zu ermöglichen sei. Hierbei sei insbesondere das gesetzliche Teilhabeziel, ein selbstbestimmtes und selbstständiges Leben zu führen, zu beachten. Der Behinderungsausgleich mittels eines Hilfsmittels sei dabei nicht auf einen Basisausgleich beschränkt, daher bräuchte sich der Versicherte auch nicht im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot auf den angebotenen Elektrorollstuhl verweisen lassen. Denn diesen könne er nur nutzen, wenn er von einer Pflegekraft entsprechend umgesetzt werde. Das Handbike hingegen könne er selbst ohne fremde Hilfe direkt an den Faltrollstuhl anbringen, so der Senat.

Fazit

Die Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts ist zu begrüßen. Auch in dieser Entscheidung wird dem neuen, dynamischen Behindertenbegriff eine zentrale Bedeutung beigemessen. Es ist die Aufgabe des Hilfsmittelrechts, dem Behinderten ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.

Damit hält sich auch das Landessozialgericht Hessen an die Vorgaben des Bundessozialgerichts. Das BSG führte aus, dass zum 23.12.16 mit dem Bundesteilhabegesetz der Behinderungsbegriff in § 2 SGB IX neugefasst wurde. Im Vordergrund des Behinderungsbegriffes stehen nun das Ziel der Teilhabe, die Stärkung individueller Möglichkeiten und der individuelle Bedarf.

Die Autorin ist als Fachanwältin für Sozialrecht in den medizinrechtlichen Bereichen der Hilfsmittelversorgungen bundesweit tätig.


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