Krankschreibung entspricht Kündigungsfrist – Beweiswert gemindert
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Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 08.09.2021
Erkrankte Arbeitnehmer erhalten im Regelfall Entgeltfortzahlung. Voraussetzung ist, dass der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt ist bzw. war. Für diesen Nachweis ist grundsätzlich zunächst der Arbeitnehmer in der Pflicht; in der Praxis wird er durch die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des behandelnden Arztes („gelber Schein“) erbracht. Durch die Vorlage dieser Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verändert sich die Beweislast dahingehend, dass nun der Arbeitgeber - sofern er Zweifel daran hat, dass Arbeitnehmer tatsächlich erkrankt ist bzw. war - den Beweiswert dieser Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern muss. Erst wenn ihm das gelingt, verändert sich wiederum die Beweislast: Nun ist wieder der Arbeitnehmer verpflichtet, durch weitere Nachweise die tatsächliche Erkrankung zu belegen.
Den hohen Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern ist schwierig, aber möglich. In diesem Zusammenhang ist denkbar, dass der Arbeitnehmer selbst Informationen, zum Beispiel über soziale Netzwerke, verbreitet, die nicht mit einer Erkrankung in Übereinstimmung zu bringen sind („ab zum Arzt und dann Koffer packen“-Fall). Eine andere Konstellation, die regelmäßig zu Misstrauen auf Arbeitgeberseite führt, sind „zeitlich passende“ Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Dies sieht zumindest in bestimmten Fällen auch das Bundesarbeitsgericht so, wie ein aktuell entschiedener Fall zeigt:
Wie kam der Fall zu Gericht? Krankschreibung entspricht Kündigungsfrist
Geklagt hatte eine Arbeitnehmerin, die für einen Zeitraum von einem halben Jahr bei einer Personalvermittlung angestellt war. Dort reichte sie am 08.02.2019 Kündigung ein und zeitgleich eine ebenfalls auf den 08.02.2019 datierte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, welche ihr für den Zeitraum bis zum 22.2.2019 Arbeitsunfähigkeit bescheinigte; hierbei handelt es sich um den Ablauf der Kündigungsfrist.
Der Arbeitgeber war der Ansicht, aufgrund der zeitlichen Kohärenz sei der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert. Er leistete für diesen Zeitraum keine Entgeltfortzahlung. Die Arbeitnehmerin klagte vor dem Arbeitsgericht auf Zahlung. Hierzu trug sie im Rechtsstreit vor, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei aufgrund der Diagnose „Sonstige und nicht näher bezeichnete Bauchschmerzen“ erstellt worden, wobei hier einen psychosomatischen Hintergrund vorliege. Nähere Angaben zu der Schwere ihrer Beschwerden machte sie nicht.
Das Urteil: Umkehr der Beweislast
Das Bundesarbeitsgericht stellte sich auf die Seite des Arbeitgebers und urteilte, dass dieser nicht zur Entgeltfortzahlung verpflichtet war (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 08.09.2021, Az. 5 AZR 149/21). Zwar sei die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung das wichtigste Beweismittel zum Nachweis der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit. Nach der Erschütterung Beweiswert dieser Bescheinigung ist es allerdings Sache des Arbeitnehmers, sich weiter einzulassen. Dass die in zeitlicher Hinsicht auffällige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung exakt den Zeitpunkt Kündigungsfrist abdeckte, erschütterte nach Ansicht des Gerichts den Beweiswert. Mit ihren knappen pauschalen Angaben genügte die Arbeitnehmerin der ihr sodann obliegenden Darlegungspflicht nicht mehr. Da sie ihren Anspruch nicht belegen konnte, kam er somit kein Recht auf Entgeltfortzahlung zu.
Fazit
„Passgenaue“ Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sind keine Seltenheit. Insofern ist das Urteil insbesondere lesenswert für Arbeitgeber. Diese müssen sich im Fall der Einstellung Entgeltfortzahlung allerdings nach wie vor bewusst sein, dass durch die in der Regel unbekannte Diagnose Unwägbarkeiten im Prozess drohen. Auch Arbeitnehmern sei die Entscheidung allerdings ans Herz gelegt und sei es nur, um dafür zu sensibilisieren, sich gerade keine zeitlich auffälligen Arbeiten Bescheinigung ausstellen zu lassen.
Weitere Hinweise zum Thema können Sie in der Langversion unseres Blogbeitrags unter https://kanzlei-kerner.de/entgeltfortzahlung-nach-kuendigung-urteil-bag-vom-08-09-2021/ nachlesen.
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