Lkw-Blitzer-Skandal in Schwäbisch Gmünd (2018) – so werden Betroffene ungerechtfertigte Punkte los
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1.) Was war geschehen?
a) Zu Unrecht geblitzt im Einhorn-Tunnel – 80 statt 60 km/h zulässig
Es geschah im „Einhorn-Tunnel“: Dort soll für Lkw-Fahrer eine Beschränkung der höchstzulässigen Geschwindigkeit auf 60 km/h gegolten haben und in dieser Annahme wurde von der Stadt Schwäbisch Gmünd fleißig geblitzt. Eine Regelung der Straßenverkehrsordnung besagt aber, dass auch Lastkraftwagen dann 80 km/h fahren dürfen, wenn die Fahrspuren baulich voneinander getrennt sind (§ 18 Abs.5 S.2 Nr.1a StVO), und eben dies war angesichts der am Ende des Tunnels vorzufindenden Betonwand in Längsrichtung der Fall.
Während diese Vorschrift der Stadt Schwäbisch Gmünd offensichtlich nicht hinlänglich geläufig war, ist sie den meisten Berufskraftfahrern noch aus der Fahrschule bekannt. So dürften einige von ihnen gänzlich überrascht gewesen sein, als sie zunächst von ihrem Arbeitgeber mit einem nach dort gerichteten Zeugenfragebogen konfrontiert wurden und später einen Anhörungsbogen und schlussendlich den Bußgeldbescheid im eigenen Briefkasten fanden. Denn vor Ort bemerkten sie von ihrem ohnehin nur angeblich verkehrsordnungswidrigen Verhalten vermutlich nichts, nachdem der Tunnel mit einem Schwarzlicht-Blitzer ausgestattet ist.
4.000 Lkw-Fahrer sollen nach der Berichterstattung in den Medien im maßgeblichen Zeitraum vom 08.02.2018 bis zum 31.07.2018 mit dem ungerechtfertigten Tatvorwurf konfrontiert worden sein. Alle haben Verwarnungs- oder Bußgelder bezahlt, für die es keine Rechtsgrundlage gab und immerhin 800 Berufskraftfahrer wurden im Flensburger Fahreignungsregister auch mit Punkten belegt. Ob es darunter auch Fälle gab, in denen die angebliche Geschwindigkeitsüberschreitung in Schwäbisch Gmünd isoliert betrachtet oder auch im Zusammenhang mit dem verkehrsrechtlichen Vorleben der Betroffenen gar zu einem Fahrverbot oder Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde nach dem punktestand-abhängigen Fahreignungsbewertungssystem gekommen ist, ist uns (noch) nicht bekannt.
Fakt ist jedenfalls: Die genannten Sanktionen erfolgten aufgrund einer unzutreffenden Rechtsauffassung der Bußgeldbehörde und somit rechtswidrig.
b) Parallelen zum Kölner Blitzer-Skandal 2016/2017
Es drängen sich Erinnerungen an einen ähnlich gelagerten Fall mit allerdings weitaus dramatischerem Ausmaß auf: Fast über das gesamte Jahr 2016 wurden am „Heumarer Dreieck“ beim Autobahnkreuz Köln-Ost auf der Bundesautobahn A3 mit einem ebenfalls stationären Messgerät Geschwindigkeitsüberwachungen in der Annahme durchgeführt, die zulässige Höchstgeschwindigkeit sei auf 60 km/h geregelt, obwohl die Verkehrsteilnehmer aus Rechtsgründen tatsächlich zumindest 80 km/h fahren durften, weil die 60er-Beschränkung in der vorgelagerten Baustelle (sogenanntes Streckenverbot) nach deren Ende etwa einhundert Meter vor der Messstelle nicht fortbestand. Mindestens 285.000 Verkehrsteilnehmer wurden auch dort einer um 20 km/h überzogenen Geschwindigkeitsüberschreitung beschuldigt und hatten mit rechtswidrigen Konsequenzen der oben genannten Art zu kämpfen.
2.) Wie reagieren die Behörden? Eingeständnis und Rückzahlung, aber keine Punkte-Tilgung
Ebenso wie im Kölner Blitzer-Skandal wird inzwischen auch in Schwäbisch Gmünd der Fehler von Behördenseite eingeräumt – auch wenn es dafür erst der Bestätigung der Rechtslage durch das Bundesverkehrsministerium bedurfte.
Anfänglich beabsichtigte die Bußgeldbehörde der Stadt Schwäbisch Gmünd nicht, die zu Unrecht eingenommenen Verwarnungs- und Bußgelder wieder freiwillig zurückzuzahlen, und begründete dies damit, dass mit der Zahlung der Vorwurf automatisch anerkannt worden sei. Hiervon kehrte man inzwischen ab und zeigt sich doch zur Rückzahlung bereit – dies geschah wohl nach einem Blick auf die skandalösen Berichterstattungen, die sich die Stadt Köln Anfang 2017 bei gleicher sturer Haltung eingebrockt hatte.
Die Summe der zu leistenden Rückzahlungen ist noch nicht bekannt. „Selbst wenn man aber nur 25 € Verwarnungsgeld im Durchschnitt ansetzen wollte, wäre man bereits bei hunderttausend Euro angelangt, sodass ich tatsächlich von einer wahrscheinlich deutlich höher liegenden sechsstelligen Summe ausgehe“, erläutert der Bußgeldspezialist Dr. Sven Hufnagel, der schon im Kölner Blitzer-Skandal umfassend für Betroffene als Verteidiger tätig wurde.
Viel entscheidender als die finanzielle Entschädigung ist gerade bei Verkehrsteilnehmern, deren Beruf auf der Straße ausgeübt wird und deren Existenz vom Führerschein abhängt, freilich die Entfernung des Punkteeintrags in Flensburg. Doch dieser erfolgt nicht etwa automatisch im Zusammenhang mit der Einräumung rechtswidrigen Verwaltungshandelns.
„Das Problem liegt darin, dass auch ein rechtswidriger Bußgeldbescheid Rechtskraft erlangt, wenn die zweiwöchige Einspruchsfrist ungenutzt abgelaufen ist oder aber der Einspruch eingelegt und später wieder zurückgenommen wurde. Grundsätzlich kann hiergegen dann nicht mehr vorgegangen werden. Das Bedürfnis des Staates an Rechtssicherheit wird in nicht allzu gravierend erscheinenden und bereits rechtskräftig abgeschlossenen Fällen somit über das Interesse der Bürger an rechtskonformen Entscheidungen gestellt“, erklärt unser Fachanwalt für Verkehrsrecht weiter.
3.) Welche Rechte haben betroffene Lkw-Fahrer, um eine Punkte-Tilgung zu bewirken?
a) Laufende Verfahren
„Klar muss sein, dass jedes noch laufende Verfahren fortgesetzt werden sollte, um eine Einstellung des Verfahrens zu bewirken, wodurch es gar nicht erst zur Verhängung einer Geldbuße mit der Folge eines Punkteeintrages kommen kann“, so empfiehlt der als „Blitzer-Engel“ bekannt gewordene Jurist weiter. „Wer jetzt noch einen Bußgeldbescheid für die besagte Messstelle erhält, sollte tunlichst selbst oder über einen Anwalt seines Vertrauens Einspruch dagegen einlegen und prüfen lassen, ob der ihm gegenüber erhobene Vorwurf gerechtfertigt ist.“
b) Abgeschlossene Verfahren
Schwieriger ist es hingegen, wenn Verfahren schon rechtskräftig abgeschlossen wurden, also gegen einen Bußgeldbescheid nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist Einspruch eingelegt oder aber ein solcher später wieder zurückgenommen wurde.
aa) förmliches Wiederaufnahmeverfahren vor Gericht bei Geldbußen von mindestens 250 € und/oder Fahrverboten
Das Ordnungswidrigkeitengesetz sieht eine Wiederaufnahme eines bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens nur unter bestimmten Umständen vor: „Hat jemand eine Geldbuße in Höhe von mehr als 250 € oder ein Fahrverbot auferlegt bekommen, ist aus meiner Sicht der Weg für ein derartiges Gerichtsverfahren frei“, führt Rechtsanwalt Dr. Sven Hufnagel aus, der schon im Kölner Blitzer-Skandal einige solche gerichtliche Wiederaufnahmeverfahren führte. Näheres dazu finden Sie in unserem damaligen Rechtstipp auf anwalt.de („Erster Antrag auf Wiederaufnahme eines Verfahrens mit Fahrverbot im Kölner Blitzer-Skandal gestellt“).
bb) Chancen bei Geldbußen unter 250 € ohne Fahrverbote
Was aber geschieht nun mit jenen Verkehrsteilnehmern, denen ein gerichtliches Wiederaufnahmeverfahren nicht möglich ist, weil die Geldbuße unter 250 € liegt und auch kein Fahrverbot verhängt wurde?
„In den Kölner Fällen haben wir mit Ausnahme eines einzigen noch laufenden Falls auf andere Weise bewirkt, dass jeder der von uns vertretenen Betroffenen seinen Punkteeintrag losgeworden ist“, erläutert der Experte Dr. Sven Hufnagel, schweigt sich aber über die Details der Methode aus. „Ich gehe davon aus, dass dies auch in den Fällen in Schwäbisch Gmünd gelingen dürfte.“
Ergänzend sei noch anzumerken, dass im Anschluss an die erfolgte Punktestandberichtigung stets darauf zu achten sei, dass etwaige Ermahnungen oder gar Verwarnungen, die mit einem nur angeblichen Stand von 4 oder auch 6 Punkten im Fahreignungsregister begründet und von der Fahrerlaubnisbehörde ausgesprochen wurden, in einem weiteren Verfahren korrigiert werden müssen, so der Jurist. „Schließlich möchte kein Verkehrsteilnehmer und erst recht nicht beruflich von ihrem Führerschein abhängige Fahrer in Flensburg mit Einträgen belastet sein, die dort nicht hingehören.“
Wie wichtig der Kampf gegen den Punkteeintrag ist, wird vor allem dann ersichtlich, wenn es nach dem Blitzer-Fall im Gmünder Tunnel zu einem Wiederholungsfall an anderer Stelle kam oder kommen sollte, der dann wegen der Annahme einer sogenannten beharrlichen Pflichtverletzung gar zu einem Fahrverbot auswächst. „Auch derartige Fälle hatten wir im Zusammenhang mit dem Kölner Blitzer-Skandal mehrfach vorliegen. Bei zielgerichteter Verteidigung kann in der Regel erreicht werden, dass die Rechtsfolgen in einem solchen Folge-Fall losgelöst von dem Blitzer-Skandal bestimmt werden und damit deutlich milder ausfallen. Der Erhalt der Mobilität muss in jedem Fall gewahrt werden“, beschließt der Anwalt seine Ausführungen.
Dr. jur. Sven Hufnagel ist Fachanwalt für Verkehrsrecht und auf die Verteidigung in Bußgeld- und Verkehrsstrafsachen, insbesondere den Erhalt der Mobilität, spezialisiert. Er weist 15-jährige Erfahrung aus mehreren tausend geführten Bußgeldverfahren auf. Im Zusammenhang mit dem Kölner Blitzer-Skandal wurde er aktiv als Verteidiger tätig und war regelmäßiger Interview-Partner für diverse Medien.
In der großen „FOCUS-Anwaltsliste“ wurde er in den Jahren 2015, 2016, 2017 und 2018 vier Jahre hintereinander als „Top-Anwalt für Verkehrsrecht“ aufgeführt.
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