Lungenkrebs nicht erkannt: 130.000 Euro Schadensersatz

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Mit gerichtlichem Vergleich vom 26.06.2015 hat sich eine Klinik in Hagen verpflichtet, an den Ehemann der verstorbenen Mandantin und deren Tochter einen Gesamtbetrag in Höhe von 130.000 Euro netto zu zahlen (65.000 Euro Schmerzensgeld / 65.000 Euro Barunterhaltsschaden).

Die am 27.01.1960 geborene Angestellte litt seit Anfang 2010 neben rheumatischen Beschwerden unter unerklärlicher Atemnot, starken Rückenschmerzen, Bedrängungsgefühlen in der Brust. Die gesamte Lendenwirbelsäule war äußerst druck- und berührungsempfindlich. Unter der Diagnose „Unklassifizierte Oligoarthritis“ wurde sie von den Ärzten des beklagten Krankenhauses unter anderem am 23.08.2010 bis 02.09.2010 und am 13.10.2010 behandelt. Es wurde eine Basistherapie mit dem Rheuma-Medikament Leflunomid mit der Erhaltungsdosis 20 mg/Tag eingeleitet. Von September 2010 bis Januar 2011 verlor die Mandantin bei gleichbleibender Ernährung 17 kg Körpergewicht. Wegen mittlerweile auch unerträglicher Schmerzen im Bereich der Brust behandelten sie die Ärzte vom 24.08.2011 bis 02.09.2011 stationär.

Eine am 12.01.2012 vom niedergelassenen Internisten in Auftrag gegebene Thorax-Übersichtsaufnahme ergab eine abklärungsbedürftige Raumforderung entlang der Bronchien im Segment 4 und 5 links mit Infiltration in das Perikard. Zusätzlich zeigte sich eine diffuse osteolytisch-osteoplastische Metastasierung der BWS mit Frakturgefahr des rechten Processus transversus BWK 7 und der Bogenwurzel BWK 12 links. Verdacht auf Leberparenchymzyste an der Segmentgrenze 6/7. Die Befunde waren verdächtig auf ein links zentrales Bronchialkarzinom. Aufgrund der osteolytisch-osteoplastischen Metastasierung waren auch ein pulmonal solitär metastasiertes Schilddrüsenkarzinom oder Mammakarzinom nicht auszuschließen.

Es bestätigte sich die Diagnose eines Bronchialkarzinoms links zentral (Adenokarzinom), TNM cT4, cN2, cM1b, Stadium IV, mit nodaler Metastasierung und ausgedehnter ossärer Metastasierung. Während eines stationären Aufenthaltes im nachbehandelnden Krankenhaus vom 24.01.2012 bis 31.01.2012 ergaben sich Hinweise für eine ausgedehnte Metastasierung auch im Bereich der LWS, des Beckens und der linksseitigen Oberschenkelknochen im Hüftbereich. Im April 2012 wurde der Mandantin mitgeteilt, dass keine Heilungschancen mehr bestanden. Sie verstarb am 25.06.2012.

Der Ehemann hatte den Ärzten der Beklagten vorgeworfen, während der stationären Aufenthalte vom 23.08.2010 bis 02.09.2010 am 13.10.2010 sowie vom 24.08.2011 bis 02.09.2011 keine zwingend medizinisch notwendigen diagnostischen Differenzialuntersuchungen zum Ausschluss eines Bronchialkarzinoms durchgeführt zu haben. Hierauf sei der Tod seiner Ehefrau zurückzuführen.

Der gerichtliche Sachverständige bestätigte diese Vorwürfe: Da die Patientin durch den Stationsarzt dokumentiert während des Aufenthaltes vom 23.08.2010 bis 02.09.2010 unter Schmerzen in der Brust- und Lendenwirbelsäule gelitten habe, hätte es den ärztlichen Standards entsprochen, eine radiologische Bildgebung der Brustorgane anzufertigen. Eine Röntgen-Thorax-Aufnahme hätte auch vor Einleitung einer immun-modulatorischen Therapie mit Methotrexat zum Ausschluss einer chronischen Infektionskrankheit erfolgen müssen. Die fehlende klinische Besserung, die wechselnde Symptomatik und vor allem die Gewichtsabnahme von 17 kg innerhalb von 6 Monaten hätten spätestens am 10.01.2011 Anlass sein müssen, eine Röntgenaufnahme der Brustkorborgane anzufertigen, um eine paraneoplastische Genese der rheumatischen Beschwerden auszuschließen.

Trotz der dokumentierten Schmerzen im Brustkorbbereich am 30.08.2011 und 01.09.2011 sei sogar eine Intercostalinfiltration, also eine Schmerzbehandlung der Brustschmerzen durchgeführt worden, ohne dass eine entsprechende radiologische Bildgebung, mindestens aber eine Röntgen-Thorax-Aufnahme, in zwei Ebenen erfolgt sei. Bei auffälligen Befunden der Röntgen-Thorax-Aufnahme (Hinweise auf Bronchialkarzinom, Hinweise auf Knochenmetastasen) hätten weitere diagnostische Schritte (Bronchoskopie) erfolgen müssen. Der starke Gewichtsverlust, die starke Übelkeit und die fehlende klinische Besserung trotz der Behandlung mit MTX hätten Anlass zu weiteren Untersuchungen sein müssen (Röntgen-Thorax-Aufnahme in zwei Ebenen, Ultraschalluntersuchung der Bauchorgane, gynäkologische Untersuchung, Stuhluntersuchung auf occultes Blut).

Bei einer radiologischen Untersuchung der Brustkorborgane und der Wirbelsäule wäre es mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zur Verdachtsdiagnose eines Bronchialkarzinoms gekommen. Diese auffällige Röntgen-Thorax-Aufnahme wäre Anlass für eine weitere Diagnostik (Computertomographie der Brustorgane) gewesen. Mit einer hohen Wahrscheinlichkeit wäre auch eine Röntgendiagnostik der Wirbelsäule und eine Skelett-Szintigraphie durchgeführt worden. Die Nichterhebung dieser Befunde sei unverständlich.

Allerdings: Ob bei Durchführung dieser Untersuchungen die weitere Metastasierung des Karzinoms und der Tod der Patientin hätten vermieden werden können, sei offen. Ebenso sei offen, zu welchem Zeitpunkt das Bronchialkarzinom entdeckt worden wäre. Es sei zweifelhaft, ob bereits beim ersten stationären Aufenthalt vom 23.08.2010 bis 02.09.2010 oder aber erst beim zweiten Aufenthalt im August und September 2011 das Karzinom entdeckt worden wäre. Ob dann noch Heilungschancen bestanden hätten, sei völlig offen.

Aufgrund der Schwierigkeiten bei der Kausalität zwischen Behandlungsfehler und Schaden haben die Parteien sich auf einen Betrag in Höhe von 130.000 Euro geeinigt.

(Landgericht Hagen, Vergleichsbeschluss vom 26.06.2015, AZ: 10 O 431/13)

Christian Koch, Fachanwalt für Medizinrecht



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