Nachbesichtigungsrecht der gegnerischen Haftpflichtversicherung nach Verkehrsunfall

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Dass nach einem Verkehrsunfall die gegnerische Haftpflichtversicherung grundsätzlich keinen Anspruch auf eine Nachbesichtigung hat, dürfte mittlerweile vielen bekannt sein. Hierzu gibt es diverse Gerichtsentscheidungen. Danach gilt, dass jeder Geschädigte das Recht hat, einen Sachverständigen seiner Wahl mit der Besichtigung des Fahrzeugs und der Schadensschätzung zu beauftragen. Von diesem Recht darf der Geschädigte Gebrauch machen, ohne zuvor den gegnerischen Versicherer zu kontaktieren und seinen Schaden allein auf der Grundlage des von ihm eingeholten Gutachtens abrechnen. Ein Nachbesichtigungsrecht wird von der Rechtsprechung nur dann anerkannt, wenn beispielswiese ein Verdacht auf eine Unfallmanipulation oder Verschweigen von Vorschäden besteht. Wenn keine Anhaltspunkte hierfür vorliegen und das Gutachten keine offensichtlichen Fehler aufweist, darf der Geschädigte grundsätzlich von der Richtigkeit des Gutachtens ausgehen und den vom Sachverständigen festgestellten Schaden geltend machen.

Häufig verlangen jedoch die Versicherer eine Nachbesichtigung mit der Begründung, dass bestimmte Positionen nicht nachvollzogen werden können. Bevor die Nachbesichtigung abgelehnt wird, sollte man jedoch Folgendes bedenken:

Wenn die gegnerische Versicherung die Zahlung verweigert, muss der Schaden gerichtlich geltend gemacht werden. Sofern keine Rechtsschutzversicherung vorhanden ist, bedeutet das zunächst für den Geschädigten, dass er die Gerichtskosten einzahlen, häufig auch für die Rechtsanwaltskosten des eigenen Rechtsanwalts in Vorleistung treten muss und das Gericht zur Feststellung der Schadenshöhe die Durchführung eines Sachverständigengutachtens auf Kosten des Geschädigten anordnet. Kommt der gerichtlich bestellte Sachverständige zum selben Ergebnis wie der vom Geschädigten beauftragte private Gutachter und erkennt die Versicherung daraufhin die Klageforderung sofort an, kann das Gericht dem Geschädigten die Kosten des Rechtsstreits auferlegen. Derartige Entscheidungen werden damit begründet, dass keine Veranlassung zur Klageerhebung bestand. In einem solchen Fall hat der Geschädigte zwar ein Anerkenntnisurteil und den Rechtsstreit „gewonnen“, bleibt jedoch auf den Gerichts- und Rechtsanwaltskosten sitzen, was unter Umständen teuer werden kann. Denn ein durch das Gericht angeordnetes Gutachten kann schnell 2.000,00 € übersteigen.

Eine andere mögliche Konstellation ist, wenn der gerichtlich bestellte Sachverständige tatsächlich zu einem anderen Ergebnis kommt und der Schaden geringer ausfällt als im Privatgutachten. Auch in diesem Fall gewinnt der Geschädigte und Kläger nur zum Teil, sodass die Kosten des Rechtsstreits gequotelt, also im Verhältnis Obsiegen/Unterliegen auf die Parteien verteilt werden. Auch hier ein wirtschaftlicher Nachteil für den eigentlich Geschädigten. Ein weiterer Nachteil des Klageverfahrens ist, dass es mehrere Monate bis Jahre dauern kann, bis der Geschädigte überhaupt zu seinem Geld kommt.

Diese Beispiele zeigen, dass im Einzelfall abgewogen werden muss, ob eine Nachbesichtigung zu verweigern ist oder dieser, am besten in Gegenwart des eigenen Sachverständigen, zustimmt. Obwohl rechtlich kein Anspruch besteht, kann es für den Geschädigten im Einzelfall taktisch von Vorteil sein, um eine Verzögerung der Regulierung zu vermeiden.

Rechtsanwältin Helena Meißner, Kanzlei Wohlfeil, Gießen


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