Neues Bundesarbeitsgericht - Urteil - gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit - rückwirkende Gehaltserhöhung möglich
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Unter #equalpay findet man die Bemühungen, die Gleichberechtigung bei der Bezahlung von Arbeitnehmern durchsetzen wollen. Eine aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts stärkt diesen Anspruch, wirft aber auch Fragen auf. Die Konsequenzen des Urteils sind insbesondere für Arbeitgeber schwer zu beurteilen.
Zum Sachverhalt
Geklagt hatte eine Mitarbeiterin eines Metallunternehmens in Meißen bei Dresden. Zu Beginn des Arbeitsverhältnisses im März 2017 wurden ihr 3500 Euro monatlich in der Probezeit angeboten. Die Frau willigte ein. Sie stellte später fest, dass zwei männliche Kollegen deutlich höhere Gehälter hatten als sie. Ein Kollege, der drei Monate früher eingestellt wurde und den gleichen Vertriebsjob bei der Firma machte, verdiente in der Probezeit rund 1000 Euro mehr. Er hatte - anders als die Klägerin - das auch ihm angebotene Grundgehalt zunächst abgelehnt und 4.500 Euro gefordert. Der Arbeitgeber willigte ein.
Zwar fand in der Folgezeit eine gewisse Annäherung der Gehälter beider Arbeitnehmer statt, eine Differenz blieb aber auch in der Folgezeit erhalten.
Zum Urteil
Während die Klägerin vor dem Arbeitsgericht und in der Berufungsinstanz unterlegen war, gab das Bundesarbeitsgericht ihr nun Recht. In der Pressemitteilung vom 16.02.2023 führt das Bundesarbeitsgericht zu der im Volltext noch nicht vorliegenden Entscheidung aus:
" Der Umstand, dass die Klägerin für die gleiche Arbeit ein niedrigeres Grundentgelt erhalten hat als ihr männlicher Kollege, begründet die Vermutung nach § 22 AGG****, dass die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts erfolgt ist. Der Beklagten ist es nicht gelungen, diese Vermutung zu widerlegen. Insbesondere kann sich die Beklagte für den Zeitraum von März bis Oktober 2017 nicht mit Erfolg darauf berufen, das höhere Grundentgelt des männlichen Kollegen beruhe nicht auf dem Geschlecht, sondern auf dem Umstand, dass dieser ein höheres Entgelt ausgehandelt habe. Für den Monat Juli 2018 kann die Beklagte die Vermutung der Entgeltbenachteiligung aufgrund des Geschlechts insbesondere nicht mit der Begründung widerlegen, der Arbeitnehmer sei einer besser vergüteten ausgeschiedenen Arbeitnehmerin nachgefolgt." (...)
Der Senat hat dem auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG***** gerichteten Antrag der Klägerin teilweise entsprochen und dieser eine Entschädigung wegen einer Benachteiligung aufgrund des Geschlechts iHv. 2.000,00 Euro zugesprochen."
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16. Februar 2023 – 8 AZR 450/21 –
Vorinstanz: Sächsisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 3. September 2021 – 1 Sa 358/19 –
Zur Einordnung
Eine Frau hat Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit, wenn der Arbeitgeber männlichen Kollegen aufgrund des Geschlechts ein höheres Entgelt zahlt. Es ist traurig, dass dieser Grundsatz in der Praxis immer noch nicht beachtet wird und dass Frauen wegen ihres Geschlechts auch heute noch oft durch geringere Bezahlung benachteiligt werden. Gleiche Bezahlung der Geschlechter sollte selbstverständlich sein.
Mit der genannten Entscheidung sagt das Bundesarbeitsgericht nun aber auch, dass es keine Rolle spielt, wenn ein Arbeitnehmer "geschickter verhandelt" als ein anderer. Dabei wird man annehmen müssen, dass dies auch in umgekehrter Richtung gelten muss, also wenn die Frau ein höheres Gehalt aushandelt als ein Mann in vergleichbarer Stellung. Dies stellt einen weitreichenden Eingriff in die Vertragsfreiheit der Parteien dar und erschwert die Argumentation, eine ungleiche Bezahlung zweier Arbeitnehmer sei aufgrund sachlicher Unterschiede gerechtfertigt.
Für Unternehmen, die z.B. mehrere "gleichrangige" Stellen z.B. auf Sachbearbeiterebene einer Abteilung zu besetzen haben, wird dies im Ergebnis möglicherweise heißen, dass man sich echte Gehaltsverhandlungen von vorne herein sparen kann. Denn nimmt man diese Entscheidung ernst, wird man allen Bewerbern das gleiche Grundgehalt zahlen müssen. Jedenfalls dann, wenn es Bewerber unterschiedlicher Geschlechter gibt. Ist das eigentlich fair gegenüber mehreren Bewerbern des gleichen Geschlechts? Es ist zu erwarten, dass Unternehmen die Stellenbeschreibungen zukünftig schon deshalb leicht unterschiedlich ausgestalten, weil sie eine unterschiedliche Bezahlung der neuen Arbeitnehmer rechtfertigen möchten.
Die Klägerin im Ausgangsfall erhielt nun eine Gehaltsnachzahlung von weit mehr als 10.000 Euro. Wegen der erlittenen Ungleichbehandlung sprach das Bundesarbeitsgericht der Klägerin nach § 15 AGG außerdem eine Geldentschädigung in Höhe von 2.000 Euro zu. Das weckt Begehrlichkeiten, zumal die Grundsätze der Gleichbehandlung nicht nur das Geschlecht, sondern weitere Merkmale wie Religion, Hautfarbe, Nationalität usw. betreffen können.
Arbeitnehmer, die in vergleichbarer Weise unfair behandelt wurden, sollten deshalb jetzt prüfen lassen, ob auch ihnen eine rückwirkende Gehaltserhöhung zusteht.
Arbeitgeber sollten das Prozedere bei zukünftigen Einstellungen und die Handhabung und vor allem die Rechtfertigung unterschiedlicher Bezahlung von Arbeitnehmern dringend prüfen. Es drohen erhebliche Zahlungspflichten und Streitigkeiten, die bei richtiger Vorbereitung vermeidbar oder in ihren Folgen jedenfalls zu begrenzen sein können.
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Stephan Stiletto
- Rechtsanwalt -
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