OLG Köln zur Frage der Veruntreuung von Arbeitsentgelt bei fehlender Rücklagenbildung

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Das OLG Köln hat sich mit der Frage des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitnehmerendgeldern befasst. Das OLG Köln stellt dabei nicht allein auf die Frage ab, ob der Beklagte als Geschäftsführer die Löhne nebst Lohnnebenkosten nicht mehr zahlen konnte, sondern insbesondere darauf, dass er rechtzeitig Rücklagen hätte bilden müssen. Notfalls müsse ein Geschäftsführer die Nettolöhne kürzen.

Die Entscheidung des OLG Köln im Einzelnen:

Die prozessual bedenkenfreie Berufung ist unbegründet. Der Klägerin steht gegen den Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit den §§ 266a Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB ein Schadensersatzanspruch für im Zeitraum vom 1. Juli 2006 bis zum 31. Mai 2007 vorenthaltene Arbeitnehmerbeiträge in Höhe des eingeklagten Betrages von 15.463,63 € zu.

Zur Vermeidung von unnötigen Wiederholungen ist auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung zu verweisen, die durch die Angriffe der Berufung nicht entkräftet werden. Ergänzend und vertiefend ist wie folgt auszuführen:

Im streitgegenständlichen Zeitraum war der Beklagte Geschäftsführer der am 17.12.2007 in Insolvenz geratenen L GmbH. Damit ist er gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB bezogen auf die Vorschrift des § 266a Abs. 1 StGB als strafrechtlich verantwortlich anzusehen. Dass Verwandte des Beklagten daneben bzw. ausschließlich die Position von faktischen Geschäftsführern gehabt haben sollen, die, wie der Beklagte anführt, ihn „völlig" aus der Geschäftsführung heraus gedrängt haben sollen, ist ohne Belang. Die Verantwortlichkeit des Beklagten als Geschäftsführer (§ 15 HGB) bleibt jedenfalls daneben bestehen.

Mit dem Landgericht ist auch davon auszugehen, dass bezogen auf den streitgegenständlichen Zeitraum Arbeitnehmeranteile in Höhe von 15.463,63 € nicht an die Klägerin als zuständige Einzugsstelle abgeführt worden sind. Dies ist von der Klägerin schon mit der Klageschrift konkret unter Verweis auf die Übersichten gemäß Anlage K 3 und Anlage K 4 (Bl. 17 und Bl. 18 GA) vorgetragen worden. Zu Recht hat das Landgericht das nur pauschale Bestreiten der berechneten Höhe der Rückstände als unsubstantiiert angesehen. Durch die Insolvenzeröffnung sind zwar gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 1 InsO die Geschäftsakten in den Besitz des Insolvenzverwalters. Dass er versucht hat, die diesbezüglichen Unterlagen dort einzusehen, trägt dieser noch nicht einmal vor.

Die Haftung des Beklagten ist auch nicht wegen der Unmöglichkeit normgerechten Verhaltens ausgeschlossen, wie gleichfalls das Landgericht zutreffend ausführt.

Zwar haftet der Geschäftsführer nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB nicht, soweit ihm die Abführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung zum Fälligkeitszeitpunkt mangels verfügbarer Mittel nicht möglich war. Dabei liegt die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Möglichkeit normgemäßen Verhaltens des Geschäftsführers bei der Sozialkasse, also der Klägerin (vgl. BGH Urteil vom 25.09.2006 II ZR 108/05 zitiert nach juris Rn. 8), den Beklagten als Geschäftsführer trifft aber eine sekundäre Darlegungslast (Wagner im Münchener Kommentar zum BGB § 823 Rdnr. 407 a.E. zitiert nach beck-online). Es entspricht weiter höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass der Geschäftsführer einer GmbH als Arbeitgeber im Sinne von § 266a StGB dafür Sorge zu tragen hat, dass ihm die zur ordnungsgemäßen Abführung der - auf den geschuldeten Lohn entfallenden - Arbeitnehmeranteile notwendigen Mittel bei Fälligkeit zur Verfügung stehen. Drängen sich wegen der konkreten finanziellen Situation der Gesellschaft deutliche Bedenken auf, dass zum Fälligkeitszeitpunkt ausreichende Zahlungsmittel vorhanden sein werden, muss der Geschäftsführer durch Bildung von Rücklagen, notfalls durch Kürzung der Nettolöhne sicherstellen, dass am Fälligkeitstag die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung fristgerecht an die zuständige Einzugsstelle entrichtet werden können (vgl. BGH oben genannt, zitiert nach juris Rn. 10, auch Spindler in Beck'scher Online-Kommentar BGB Hrg Bamberger Roth § 823 BGB Rdnr. 207a). Selbst wenn überhaupt kein Lohn ausbezahlt wurde, können also Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung vorenthalten werden (BGHZ 144, 311).

Unstreitig sind hier Arbeitsentgelte bis April 2007 (einschließlich) von der L GmbH gezahlt worden, so dass von der Unmöglichkeit der Abführung der Sozialversicherungsbeiträge keine Rede sein kann, worauf zu Recht das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung hinweist (vgl. auch so ausdrücklich BGH oben genannt, Rn. 9), denn notfalls hätten die Nettolöhne gezahlt werden müssen. Da Klagegenstand ohnehin nur der Zeitraum bis 31.05.2007 ist, wobei die Abführung für April 2007 erst im März 2007 eingetreten ist, bedarf es keiner weiteren Darlegung zu dieser Frage.

Der Beklagte hat auch schuldhaft gehandelt, also, da ein Verstoß gegen § 266a StGB als Schutzgesetz in Rede steht, mit dem erforderlichen Vorsatz (vgl. BGH Urteil vom 15.10.1996 VI ZR 319/95 zitiert nach juris Rn. 13). Soweit der Beklagte schon mit der Klageerwiderung anführt, er sei davon ausgegangen, dass die Beiträge ordnungsgemäß berechnet und abgeführt werden, vermag dies nichts an seiner Verantwortlichkeit zu ändern. Dies gilt auch für seine vertiefende Ausführung, er sei von seinen Söhnen, welche faktische Geschäftsführer der später insolventen L GmbH gewesen seien, bei der Geschäftsführung völlig verdrängt worden. Denn zu den Aufgaben des Geschäftsführers einer GmbH gehört es, dafür zu sorgen, dass die der Gesellschaft auferlegten öffentlich-rechtlichen Pflichten, zu denen die Abführung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung gehört, erfüllt werden. Diesen Pflichten kann sich der Geschäftsführer weder durch Zuständigkeitsregelungen noch durch Delegation auf andere Personen entledigen. Interne Zuständigkeitsvereinbarungen oder die Delegation von Aufgaben können zwar die deliktische Verantwortlichkeit des Geschäftsführers beschränken. In jedem Fall verbleiben ihm Überwachungspflichten, die ihn zum Eingreifen verpflichten können. Eine solche Überwachungspflicht kommt vor allem in finanziellen Krisensituationen zum Tragen, in denen die laufende Erfüllung der Verbindlichkeit nicht mehr gewährleistet erscheint (vgl. grundsätzlich Urteil des Bundesgerichtshofs vom 15.10.1996 VI ZR 319/95). Vom Beklagten selbst so vorgetragen und damit als unstreitig zu behandeln ist aber, dass alle drei Wochen seine Söhne zu ihm nach Hause gekommen sind, um Bericht zu erstatten. Aus Anlass dieser Berichterstattungen hätte sich der Beklagte erkundigen müssen, ob denn nun die Arbeitnehmerbeiträge auch abgeführt werden bzw. diesbezüglich in konkreter Weise nachfragen müssen. Im Zweifel waren Kontrollen nötig.

Dem Schadensersatzbegehren steht auch nicht etwa eine Deliktsunfähigkeit des Beklagten entgegen, die dieser behauptet.

Gemäß § 827 BGB ist derjenige, der im Zustand der Bewusstlosigkeit oder in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit einem anderen Schaden zufügt, nicht für den Schaden verantwortlich. Dabei trifft die Beweislast für die Unzurechnungsfähigkeit den Täter, also hier den Beklagten (Palandt-Sprau BGB 71. Aufl. § 827 Rn. 3).

Der Beklagte hat indes bezogen auf den streitgegenständlichen Zeitraum nicht nachgewiesen, dass er deliktsunfähig war, was zu seinen Lasten, gehen muss.

Nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen P im schriftlichen Gutachten lassen sich bei der Beurteilung des körperlichen und emotionalen Zustandes des Beklagten nur punktuell Zeiten der eingeschränkten Wahrnehmungs- und Verarbeitungsfähigkeit sowie Handlungsfähigkeit ableiten. Diese Zeiträume umfassen danach nur wenige Tage, maximal Wochen. In der mündlichen Anhörung hat der Sachverständige seine Ausführungen dahingehend klargestellt, dass punktuell die Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit ganz gefehlt habe, aber nicht über den gesamten „Zeitpunkt" (ersichtlich gemeint ist Zeitraum). Eine genaue zeitliche Einordnung der diesbezüglichen Zeiträume ist danach nicht möglich. Maßgeblich für die sachverständigen Feststellungen sind insbesondere die Angaben des Beklagten, die er gegenüber seinem behandelnden Arzt Prof. Dr. U gemacht hat. Diese durften verwertet werden, auch wenn der Beklagte seine umfassende Schweigepflichtentbindung vom 30.06.2011 (Bl. 210 GA), aufgrund dessen Prof. U dem gerichtlichen Sachverständigen die ärztliche Dokumentation überlassen hatte, nachträglich mit Schreiben vom 11.09.2011 (Bl. 211 GA) widerrufen hat. Wird die Befreiung von der Pflicht zur Geheimhaltung widerrufen, so sind nämlich die bisherigen Angaben voll verwertbar (Damrau in Münchener Kommentar zur Zivilprozessordung, 4. Aufl. 2012, § 385 ZPO Rn. 11, zitiert nach beck-online; auch OLG Braunschweig Beschluss vom 05.11.2008 - 1 W 64/08 - Rdnr. 20 zitiert nach beck-online). Zu Recht verweist das Landgericht im Übrigen darauf, dass insoweit Erwägungen der Beweisvereitelung in Rede stehen, die auch einschlägig sind, angesichts des Umstandes, dass es Sache des Beklagten ist, seine Deliktsunfähigkeit zu beweisen (siehe oben).

Wie der gerichtlich bestellte Sachverständige im Einzelnen ausgeführt hat, schließen die vom Beklagten im Zeitraum vom 1. Juli 2006 bis zum 31. Mai 2007 danach entfalteten Tätigkeiten die Möglichkeit aus, dass der Beklagte durchgehend aufgrund einer krankhaften seelischen Störung oder wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung unfähig war einzusehen, dass die Nichtabführung der Arbeitnehmeranteile unrecht ist. Denn nach der ärztlichen Dokumentation von Prof. U hat der Beklagte angegeben, er sei im September 2006 intensiv mit Erdwärmebohrungen und Wärmepumpen für Fertighäuser als Geschäftsidee beschäftigt gewesen. Im Oktober 2006 habe er sich intensiv mit dem Betrieb, den Bankgeschäften und den konkreten Zahlen zu den Schulden beschäftigt. Für Januar 2007 hat der Beklagte seinem behandelnden Arzt erfüllt von einem Urlaub mit seiner Partnerin in New York berichtet. In der Folgezeit hat er weiterhin Verhandlungen mit Banken geführt und sich mit der Frage eines Erdwärmegeschäftes auseinandergesetzt, im April 2007 eine Kreuzfahrt unternommen. Aus den Gesprächsprotokollen von Prof. U wird also eine eingehende Beschäftigung des Beklagten auch mit betrieblichen Angelegenheiten offenbar; die Angaben von konkreten Zahlen und differenzierten Planungen für die Zukunft werden erkennbar, ohne dass Prof. U in seinen Anmerkungen etwa festgehalten hat, dass die Einsichtsfähigkeit oder Wahrnehmungsfähigkeit oder Konzentrationsfähigkeit bei den Patientengesprächen in signifikanter Weise gestört gewesen oder dass es - medikamentenbedingt - zu einer diesbezüglichen Verlangsamung gekommen sei. Nach den Feststellungen des Sachverständige P ist vielmehr davon auszugehen, dass sich im ersten Halbjahr 2007 sogar eine Eindämmung der Symptome vollzogen hat mit der Folge der Reduktion der verschriebenen Antidepressiva und der angstlösenden Medikamente.

Der gerichtliche Sachverständige hat dabei die Erwägungen der behandelnden Ärzte, etwa auch die von Prof. Dr. U berücksichtigt, der im Wesentlichen die Erkrankung des Beklagten auf eine ungelöste Vater-Sohn-Beziehung zurückführte. Hiervon geht auch der gerichtliche Sachverständige aus, der beispielsweise auf Seite 51 seines Gutachtens, Bl. 289 d. A. ausführt, dass unzweifelhaft bei dem Beklagten eine pathologisch einzustufende fehlende Ablösung aus der väterlichen Dominanz, mit Auswirkung auf die Selbstwert- und Stimmungsregulation bestehe, die zu Ambivalenzkonflikten in Entscheidungs- und Entschlusssituationen bei direkter Übernahme von Verantwortlichkeiten führe.

Des Weiteren führt der gerichtliche Sachverständige nachvollziehbar in diesem Zusammenhang aus, der Beklagte habe sehr wohl Strategien entwickelt, sich nicht direkt in einer Konfrontation mit dem väterlichen Führungsmuster identifizieren zu müssen; der Beklagte habe den Konflikt mit aufwertender Übernahme von Leistungs-/Steuerungsaufgaben durch Handeln im Hintergrund mit Delegation der direkten Entscheidungen und Verantwortlichkeiten an den Sohn bzw. den Vertreter des Sohnes gelöst. Dies alles wird überzeugend vom Sachverständigen P ausgeführt, und zwar in Auseinandersetzung mit den Expertisen der behandelnden Ärzte, so dass zu deren Einvernahme als sachverständige Zeuge kein Anlass bestand. Der gerichtlich bestellte Sachverständige verfügt auch als Facharzt für Psychiatrie und Physiotherapie - suchtmedizinische Grundversorgung - über die erforderliche Sachkunde. Soweit der Prozessbevollmächtigte des Beklagten demgegenüber darauf verweist, aus Anlass seiner Anhörung habe sich der gerichtliche Sachverständige bezogen auf die Frage der Abrechnung seiner gerichtlich angeordneten Tätigkeit unsicher gezeigt, so besagt dies natürlich nichts über dessen fachliche Kompetenz. Auch dass der gerichtliche Sachverständige etwa keine klaren Vorstellungen über den Aufbau des streitgegenständlichen Betriebes zu erkennen gegeben hat, ist nicht geeignet, seine Ausführungen in Zweifel zu ziehen. Zu vergegenwärtigen ist in diesem Zusammenhang, dass es im vorliegenden Fall im Hinblick auf die vorgetragene Delegation nur um die Erhaltung der oben wiedergegebenen Überwachungspflichten geht.

Für die Einholung eines „Obergutachtens" bestand und besteht nach allem keine Veranlassung (vgl. Thomas/Putzo ZPO 30. Aufl. § 412 Rdnr 3).

Schließlich greift der nunmehrige bezogen auf die angebliche alleinige (faktische) Geschäftsführerstellung der Söhne durch den Beklagten erhobene Mitverschuldenseinwand im Verhältnis zu der Klägerin nicht, dies schon deswegen nicht, da dem Beklagten zum Vorwurf gemacht wird, nicht ausreichend die Tätigkeit seiner Söhne überwacht zu haben. Eine den Mitverschuldenseinwand begründende Obliegenheitsverletzung der Klägerin ist angesichts dessen nicht ersichtlich.

(OLG Köln, Urteil vom 14.03.2013 - 7 U 138/12)


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