Schadenersatzrecht: Anwaltshaftung bei fahrlässiger Fristversäumnis

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In Anlehnung an das von mir vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf zu dem AZ.: I-24 U 110/22 (1. Instanz: Landgerichts Duisburg, Az.: 10 O 112/21) erstrittene Urteil zur Anwaltshaftung:


Am 22.11.2023 hatte das Oberlandesgericht Düsseldorf (I-24 U 110/22) über die Berufung eines von uns erfolgreich erstrittenen Urteils des Landgerichts Duisburg (10 O 112/21) zu entscheiden. In der erstinstanzlichen Verhandlung sprach das Landgericht dem Kläger einen Schadensersatzanspruch in Höhe von insgesamt 125.000,00 € gegen seinen ehemaligen Duisburger Rechtsanwalt zu. Diesen Anspruch bestätigte das Oberlandesgericht nun. 


Was ist der Hintergrund des Rechtsstreits ?


Der beklagte Duisburger Familienrechtler vertrat unseren Mandanten zuvor in seinem Scheidungsverfahren in den Jahren 2019 bis 2020. In dem Ehevertrag zwischen unserem Mandanten und seiner damaligen Frau, waren zahlreiche Regelungen über die Verteilung der Vermögensgegenstände, inklusive der Mieteinnahmen einer sich im Familienbesitz gehörigen Immobilie geregelt. Im Juni 2020 unterbreitete der Anwalt der damaligen Frau unseres Mandanten, dessen damaligen Scheidungsanwalt (dem Beklagten) ein Vergleichsangebot bezüglich der Ausgleichszahlungen, mit dem unser Mandant inhaltlich auch einverstanden war. In dem Ehescheidungsverfahren verhandelte unser Mandant, vertreten durch den Duisburger Anwalt, und seine Ehefrau, vertreten durch deren damaligen Rechtsanwalt, 14 Monate lang über einen Vergleich. Die Ergebnisse der Vergleichsverhandlungen stellte der RA der Ehefrau mit Schriftsatz vom 14.05.2020 dem damaligen Anwalt unseres Mandanten per beA am gleichen Tag zu.Der Duisburger Anwalt versäumte es aber eine von der Gegenseite zur Annahme und Beurkundung gesetzte Frist wahrzunehmen und leitete diese Schreiben nicht an den Kläger weiter, sodass die von der Gegenseite gesetzte Frist Ende Juni 2020 ablief. Die Frau unseres Mandanten wechselte anschließend den Rechtsanwalt. Aufgrund des Fristversäumnisses des Anwalts lehnte die Gegenseite, nun vertreten durch eine neue Rechtsanwältin, weitere Verhandlungen ab, sodass es bei der für unseren Mandanten schlechteren Ausgangslage blieb. Die neue Anwältin der Ehefrau wollte sich auf den „alten“ Vergleich nun nicht mehr einlassen. In dem seinerzeit zwischen den Parteien vor dem Amtsgericht Gießen stattfindenden Scheidungsprozess, konnte unser Mandant gegenüber seiner Frau über den damaligen Anwalt nun nur noch einen deutlich schlechteren Vergleich durchsetzen.  Unser Mandant war der Auffassung, wenn sein damaliger Rechtsanwalt den Vergleichstext rechtzeitig übermittelt hätte, wäre der Vergleich genauso protokolliert worden und die Angelegenheit abgeschlossen gewesen. Durch Fristablauf habe sich seine Ehefrau an die Abmachung nicht mehr halten müssen.Nun habe unser Mandant mangels anderer Möglichkeiten den gerichtlichen Vergleich mit wesentlich schlechteren Bedingungen abschließen müssen.Als Schaden sei ihm die Differenz der vereinbarten Zahlungen aus dem ersten Vergleichsvorschag mit dem gerichtlich protokollierten Vergleich in Höhe von 97.662,50 € entstanden. Mit Schreiben vom 06.01.2021 forderte unser Mandant seinen bisherigen Rechtsanwalt zur Zahlung von 97.662,50 €, also der Differenz zwischen dem Vergleichsentwurf aus Mai 2020 und dem gerichtlichen Vergleich bis spätestens zum 20.01.2021 auf. Mit Schreiben vom selben Tag wies der Beklagte die Ansprüche zurück.Unser Mandant ersuchte im Nachgang dann den Unterzeichner zur Untersuchung des geplatzten Vergleiches und des gesamten Scheidungsprozesses auf etwaige Schadenersatzansprüche gegen den damaligen Anwalt.Der Unterzeichner kam zu dem Ergebnis, dass der bisherige Anwalt im Rahmen seines Mandatsverhältnisses mehrfach seine anwaltlichen Pflichten verletzt hat und der Schaden auch kausal aus diesen Pflichtverletzungen entstanden ist.Vorgerichtliche Aufforderungen wies der Duisburger Anwalt jedoch als unbegründet zurück.Wir erhoben sodann Klage vor dem Landgericht Duisburg, das Landgericht folgte unserer Rechtsauffassung, welche ebenfalls vom Oberlandesgericht Düsseldorf bestätigt worden ist.


Wie sieht es rechtlich aus?


Ein Anwalt hat seinen Mandanten allgemein, umfassend und möglichst erschöpfend zu beraten (BGH, NJW-RR 2008, 1235, OLG Brandenburg, NJOZ 2015, 210). Dabei muss ein Anwalt die geeigneten Schritte zur Erreichung des Ziels vorschlagen, voraussehbare rechtliche Nachteile für den Auftraggeber vermeiden und den Mandanten über mögliche wirtschaftliche Gefahren belehren (stRspr., vgl. BGH, IBRRS 2011, 2622; 2012, 2441; NJW 2007, 2485; 2006, 501 ff.).Er ist verpflichtet, den „sichersten Weg” zu gehen, also diejenige Vorgehensweise zu wählen, die für den Mandant der sicherere oder weniger gefährliche ist.Nach § 11 Abs. 1 S. 1 BORA muss der Anwalt seinen Mandanten über alle für den Fortgang wesentlichen Vorgänge und Maßnahmen unverzüglich unterrichten und ihm nach § 11 Abs. 1 S. 2 BORA von allen wesentlichen erhaltenen oder versandten Schriftstücken Kenntnis geben.Der Duisburger Anwalt (nachfolgend: Beklagter) war entsprechend verpflichtet, im Rahmen seines Auftrages unserem Mandanten (nachfolgend: Kläger) das Vergleichsangebot des Rechtsanwalts XXX so rechtzeitig zu übermitteln und sodann auch anzunehmen, dass dem Kläger keine Nachteile entstehen.Der Beklagte hat fahrlässig seine Pflichten aus dem zwischen ihm und dem Kläger bestehenden Anwaltsvertrag verletzt und ist ihm somit schadensersatzpflichtig (§§ 280 Abs. 1, 675 Abs. 1, 611 BGB). Er hat insbesondere versäumt dem Kläger das Vergleichsangebot so rechtzeitig zuzusenden, dass dem Kläger keine Nachteile entstehen würden (stRspr. vgl. BGH IBRRS 2011, 2622; 2012, 2441; NJW 2007, 2485; 2006, 501 ff.). Aufgrund des dadurch geschlossenen, für den Kläger nachteiligen Vergleiches, hat der Kläger einen Schaden erlitten, wodurch der Beklagte nun den Zustand wiederherzustellen hat, der ohne das schädigende Ereignis bestehen würde (§ 249 BGB), also den Schaden zu ersetzen. Um für den Kläger keine Nachteile entstehen zu lassen, wäre der Beklagte gehalten gewesen, den Vergleichsentwurf unverzüglich, jedenfalls aber noch so weit vor dem 23.06.2020 weiterzubearbeiten, dass die Ehefrau des Klägers in der Lage gewesen wäre, den – von der Klägerseite unveränderten – Vergleichsentwurf nochmals zu prüfen und im Rahmen eines Notartermins anzunehmen.Der Beklagte hat aber auch das Schreiben vom 15.06.2020 mit der Nachfristsetzung dem Kläger nicht vor Fristablauf, sondern sogar erst auf Nachfrage am 14.07.2020 weitergeleitet. Hierzu war der Beklagte allein schon nach dem Gebot des sichersten Weges als Ausprägung der allgemeinen Schadensverhütungspflicht eines Rechtsanwaltes verpflichtet. Damit hat der Beklagte zugleich gegen seine Pflicht verstoßen, den Kläger vor voraussehbaren und vermeidbaren Schäden zu bewahren und sicherzustellen, dass ihm keine rechtlichen Nachteile entstehen.Die Annahmefrist wurde seitens des Beklagten aus Sicht des Landgerichts Duisburg auch schuldhaft versäumt. Das Verschulden wird gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet.Entgegen der Ansicht des Beklagten kommt es nicht darauf an, ob es sich bei der Annahmefrist des Beklagten um eine Not- oder Ausschlussfrist handelte. Das Scheitern der Vergleichsbemühungen ist allein auf das mehrfache Verabsäumen einer Reaktion auf die Anfragen der Rechtsvertretung der ehemaligen Ehefrau und letztlich das Versäumen der ausdrücklich gesetzten Annahmefrist bis zum 23.06. / 30.06.2020 zurückzuführen. Das Vergleichsangebot konnte nach dem 23.06. / 30.06.2020 nicht mehr angenommen werden, so dass es sich letztlich doch um eine Ausschlussfrist handelte.Hätte der Beklagte seine Pflichten nicht verletzt, wäre es für unseren Mandanten zu einem finanziell besseren Vergleich gekommen. Der Beklagte muss den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Hätte der Beklagte den Vergleich, der durch den Kläger bestätigt wurde, fristgerecht an den Notar und an die Gegenseite übermittelt, so wäre der Vergleich mit dem vorgegebenen Inhalt zustanden gekommen und ein Schaden des Klägers ausgeblieben.Das Oberlandesgericht wies zudem die Berufung des Beklagten als offensichtlich unbegründet zurück und bestätigte damit zugleich unsere Rechtsauffassung. Weder hat das Landgericht rechtlich falsche Erwägungen getroffen noch hat es die zugrundeliegenden Tatsachen falsch ermittelt. Das Oberlandesgericht stellt in seinem Hinweisbeschluss noch folgendes hinaus:Um die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung eines Rechtsanwalts für den geltend gemachten Schaden festzustellen, ist zu prüfen, welchen Verlauf die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten genommen hätten (BGH NJW 2008, 1309 (1310)). Der Kausalitätszusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden ist im Grundsatz vom anspruchsstellenden Mandanten darzulegen und zu beweisen (BGH NJW 2000, 1572 (1573); BGHZ 123, 311 (313) = NJW 1993, 3259 (3260)). Dabei ist zu klären, was geschehen wäre, wenn der Rechtsanwalt sich vertragsgerecht verhalten hätte, und wie die Vermögenslage des Mandanten dann wäre (BGH NJW 2005, 3275 (3276); BGH NJW 2000, 1572 (1573)). Das Gericht entscheidet hierüber unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung (§ 287 Abs. 1 ZPO ZPO). Für die richterliche Überzeugungsbildung nach § 287 ZPO genügt eine deutlich überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit, dass ein Schaden entstanden sei (BGH NJW 2004, 444 (zur Steuerberaterhaftung); BGH NJW 1994, 3295 (3297)).Der Zurechnungszusammenhang zur Pflichtwidrigkeit des Rechtsberaters kann ausnahmsweise unterbrochen sein, wenn der Mandant oder ein Dritter in völlig ungewöhnlicher und unsachgemäßer Weise in den Geschehensverlauf eingreift und eine weitere Ursache setzt, die den Schaden erst endgültig herbeiführt (BGH NJW-RR 2017, 566 (568); BGHZ 137, 11 (19) = NJW 1998, 138). Diese Voraussetzung liegt aber nicht vor, wenn für die Zweithandlung ein rechtfertigender Anlass bestand oder diese durch das haftungsbegründende Ereignis herausgefordert wurde und eine nicht ungewöhnliche Reaktion auf das Ereignis darstellt (BGH NJW 1995, 449 (451)).Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist im Streitfall die haftungsausfüllende Kausalität gegeben. Aus Sicht des Senats besteht jedenfalls eine - hinreichende – weitaus überwiegende Wahrscheinlichkeit (§ 287 Abs. 1 ZPO) dafür, dass bei pflichtgemäßem anwaltlichen Handeln des Beklagten eine auch die erforderliche Form einer notariellen Beurkundung gem. § 1378 Abs. 3 S. 2 BGB wahrende Vereinbarung zustande gekommen wäre, so dass die Entstehung des gesamten vom Landgericht erkannten Schadens des Klägers mit weitaus überwiegender Wahrscheinlichkeit vermieden worden wäre.Ebenso wenig begegnet die Annahme des Landgerichts Bedenken, wonach der Umstand, dass die durch den Beklagten einzufügenden Änderungen nochmals von der Gegenseite zu prüfen gewesen wären, allein der anwaltlichen Vorsicht des gegnerischen Rechtsanwalts geschuldet gewesen sei und demnach nicht die Einigungsbereitschaft der Gegenseite zum Abschluss der Vereinbarung mit dem konkreten Inhalt als solche in Frage stellte. Im Gegenteil hat das Landgericht zutreffend erkannt, dass sich in der von der Gegenseite gesetzten Nachfrist für die Annahme des Vorschlags deren unbedingter Abschlusswille manifestierte.Dass die Ehefrau nach den gescheiterten Vergleichsbemühungen ihren Rechtsanwalt wechselte und fortan nicht mehr zu den früheren Bedingungen vergleichsbereit war, streitet nicht für die Zweifel des Beklagten an der Kausalität seines pflichtwidrigen Handelns. Diese Reaktion war keineswegs völlig fernliegend vor dem Hintergrund, dass die Vergleichsbemühungen unstreitig bereits mehr als ein Jahr angedauert hatten. Es war in dieser Situation insbesondere nicht ungewöhnlich, dass die damalige Ehefrau des Klägers fortan nicht mehr zu den ursprünglichen Bedingungen einigungsbereit war. Insofern lässt sich daraus keineswegs ein Argument dafür ableiten, dass die entsprechende Einigungsbereitschaft zu den früheren Bedingungen schon während der seinerzeit noch laufenden Fristen ernsthaft in Frage gestanden hätte. Es ist vielmehr weitaus überwiegend wahrscheinlich, dass der spätere Sinneswandel der Ehefrau letztlich durch das säumige Handeln des Beklagten herausgefordert wurde.Der Beklagte hat seine Berufung anschließend zurückgenommen. 
Festgehalten werden kann, dass Rechtsanwälte, welche fahrlässig Fristen versäumen, ihrem Mandanten zu Schadensersatz verpflichtet seien können.


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