Sorgerecht aktuell: AG Goslar zu familiengerichtlichen Maßnahmen bei Kindeswohlgefährdung

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Nach § 1666 Abs. 1 BGB hat das Familiengericht im Falle einer Kindeswohlgefährdung die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen, wenn die Kindeseltern selbst nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden. Ein solches Verfahren wird in der Praxis meist seitens des Jugendamts eingeleitet, wenn dieses insoweit Kenntnis von einem entsprechenden Sachverhalt erlangt.

Das Familiengericht in Goslar hat sich kürzlich mit der Frage befasst, ob hörbehinderte Eltern durch den Entzug von Sorgerechtsteilen vom Gericht gezwungen werden können, bei ihrem ebenfalls hörbehinderten Kind eine sog. Chochlea-Implantation durchführen zu lassen (AG Goslar, Beschluss vom 28.01.2019, Az. 12 F 226/18 SO). Im Rahmen einer Cochlea-Implantation, welches seine Funktion nur im frühen Kindheitsstadium erfüllt, wird der hinter dem Ohr liegende Knochen fast ganz von Zellen befreit, ein zusätzlicher Zugang zum Mittelohrraum installiert und das Innenohr an der Stelle der runden Fenstermembran zur Einführung einer Elektrode geöffnet. 

Das gerichtliche Verfahren wurde zunächst auf Mitteilung des Jugendamts eingeleitet, welches wegen der Weigerung der Eltern zur Durchführung der Implantation eine nachhaltige und erhebliche Schädigung des Kindes kommen sah. Die Eltern des Kindes bewerteten hingegen das Operationsrisiko insbesondere mit Blick auf mögliche Hirn- und Nervenschäden als im Vergleich zur der Wahrscheinlichkeit einer eintretenden Verbesserung des Sprach- und Hörvermögens deutlich zu hoch. Das Familiengericht verneinte eine Kindeswohlgefährdung. Die erstrangige Entscheidungszuständigkeit zur Förderung liege nach Art. 6 Abs. 2 Grundgesetz bei den Eltern. Diese hätten sich im konkreten Fall auch ausführlich mit der in Betracht kommenden Implantation und dem Für und Wider auseinandergesetzt. In dem Verfahren hatten sich letztlich auch die von dem Gericht bestellte Verfahrensbeiständin sowie das Jugendamt gegen familienrechtliche Maßnahmen ausgesprochen. Im Ergebnis sah das Familiengericht nach den angestellten Ermittlungen, die auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens beinhalteten, keine ausreichenden Gründe für familienrechtliche Maßnahmen. Eine Kindeswohlgefährdung lag nach der Einschätzung des Familiengerichts nicht vor. Aufgabe des Staates im Rahmen seines „Wächteramtes“ sei es nicht, gegen den Willen von Eltern für eine bestmögliche Förderung des Kindes zu sorgen. Der Staat muss grundsätzlich auch in Kauf nehmen, dass Kinder durch eine Entscheidung ihrer Eltern wirkliche oder vermeintliche Nachteile erleiden. Wenn in die Entscheidungsbefugnis der Eltern eingegriffen werden soll, muss der drohende Nachteil nachhaltig und schwerwiegend sein. Dies konnte das Gericht im vorliegenden Fall nicht feststellen.


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