Strafverteidigung: Schweigen trotz erdrückender Beweislage?

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Der Beschuldigte im Strafverfahren muss sich nicht selbst belasten. Er darf schweigen und dieses Schweigen darf nicht zu seinem Nachteil gewertet werden. Was vielen aus Filmen bekannt ist, erweist sich in der Praxis oft als schwierig. Immer wieder muss der Strafverteidiger im Zuge der Akteneinsicht feststellen, dass sein Mandant gegenüber der Polizei vorschnell Angaben zum Tatvorwurf gemacht und sich damit der besten Verteidigungsmöglichkeiten beraubt hat. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Beschuldigte sich „auf frischer Tat ertappt“ fühlen musste und es ihm sinnlos erschien, auf Fragen der Polizei nicht zu antworten. In diesem Artikel erklärt Rechtsanwalt Dr. Maik Bunzel aus Cottbus anhand eines Beispiels aus der Gerichtspraxis, warum es selbst bei scheinbar erdrückender Beweislage von großem Vorteil sein kann, während des gesamten Ermittlungsverfahrens von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen.

In einer Nacht im Dezember werden zwei junge Männer auf einem Autobahnparkplatz festgenommen. In ihrem Kleintransporter befinden sich Gegenstände, die vor wenigen Stunden aus Lastkraftwagen auf anderen Autobahnparkplätzen entwendet wurden. In der Lokalpresse ist seit Monaten von der sogenannten „Planenschlitzer-Bande“ zu lesen: Unbekannte Täter schneiden die Planen von Lastkraftwagen auf Autobahnparkplätzen auf und nehmen mit, was ihnen stehlenswert erscheint. Der Ermittlungsdruck ist groß, denn die Täter entkommen rasch über die Autobahnen, ehe die Kraftfahrer den Diebstahl überhaupt bemerken. In dieser Nacht wittern die Ermittler einen großen Erfolg: Seit knapp zwei Jahren überwachen sie zahlreiche Mobilfunkanschlüsse mit unbekannten Inhabern. Mit stillen SMS und Funkzellenabfragen wollen sie herausfinden, wo die Täter demnächst zu erwarten sind. Der Umfang der Ermittlungsakten ist auf knapp 10.000 Seiten angewachsen.

Die beiden jungen Männer werden dem Haftrichter vorgeführt. Einer spricht Deutsch und macht umfassende Angaben. Er verspricht sich davon, rasch zu seiner Familie zurückkehren zu können, denn ein Polizeibeamter hat ihm dies auf der Fahrt zum Gericht in Aussicht gestellt. Ein Vermerk hierzu findet sich freilich nicht in der Akte. Der Betroffene erklärt auf Nachfrage des Haftrichters, dass er seit Anfang 2014 mit einer „Planenschlitzer-Bande“ in wechselnder Beteiligung verschiedener junger Männer unterwegs sei. Es tue ihm sehr leid, aber er benötige das Geld dringend für seine kranke Mutter. Das bei ihm aufgefundene Mobiltelefon nutze er schon seit vielen Jahren. Der andere junge Mann spricht kein Deutsch. Der nachts eilig herbeigerufenen Dolmetscherin misstraut er. Er schweigt. Gegen beide Männer wird Haftbefehl erlassen. Beide kommen in Untersuchungshaft. Jetzt erst bekommen sie anwaltlichen Beistand.

Knapp drei Monate später stehen die beiden Männer vor Gericht. Die Hauptverhandlung ist auf neun Tage anberaumt. Angeklagt sind etliche Fälle des schweren Bandendiebstahls aus den vergangenen zwei Jahren. Der Strafrahmen für jede Tat beträgt zwischen einem und zehn Jahren Freiheitsstrafe. Die Anklage wurde zur Großen Strafkammer eines Landgerichts erhoben – der für derartige Fälle höchsten Eingangsinstanz mit der größten Strafgewalt: Der zuständige Staatsanwalt erwartet für die beiden Männer Freiheitsstrafen von über vier Jahren.

Der von Anfang an geständige Angeklagte schweigt auf Anraten seines Verteidigers in der Hauptverhandlung. Der Rechtsanwalt des anderen Mannes verliest eine Einlassung seines Mandanten: Er sei im November von einem Bekannten angesprochen worden, ob er nicht in Deutschland auf Diebestour gehen wolle. Er habe zu dieser Zeit händeringend nach Arbeit gesucht, aber nichts finden können. Aufgrund eines tragischen Vorfalls in seiner Familie habe ihm ab Herbst weder Zeit für schlecht bezahlte Gelegenheitsjobs noch genügend Geld für den Lebensunterhalt zur Verfügung gestanden. Er habe deshalb das Angebot, in Deutschland Straftaten zu begehen, schweren Herzens angenommen. Der in Aussicht gestellte Lohn für die Tat im Dezember hätte für drei Monate gereicht, danach hätte er im Frühling sicher Arbeit auf dem Bau gefunden. Er habe den – ihm namentlich unbekannten – Hintermännern auch deutlich gesagt, dass er nur einmal mitfahren werde. Schon die erste Tour ging schief. Seinen Mitfahrer habe er erst an diesem Tag kennengelernt, zu dessen Taten der Vergangenheit könne er daher nichts sagen. Um bei den Hintermännern nachfragen zu können, ob in Lastwagen gefundene Gegenstände mitgenommen werden sollen, habe man ihm ein Mobiltelefon mitgegeben.

Die weitere Hauptverhandlung gestaltet sich zäh: Es werden Telefonüberwachungen eingeführt, Ermittlungsbeamte und Kraftfahrer als Zeugen gehört. Das Ende vom Lied: Dem frühzeitig geständigen Mann können Diebestouren in acht Nächten nachgewiesen werden. Er wird wegen Bandendiebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren und 3 Monaten verurteilt. Der andere Mann wird wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall – eine Bandenmitgliedschaft konnte ihm nicht nachgewiesen werden – zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr verurteilt und kann das Gericht nach der Urteilsverkündung als freier Mann verlassen.

Es mag darüber spekuliert werden, ob dieses Urteil in der Sache richtig ist, ob insbesondere der Letztgenannte die Wahrheit gesagt oder seinen Tatbeitrag nur „entlang der Beweissituation“ eingeräumt hat. Hierauf kommt es jedoch nicht an: Im Strafprozess muss die Schuld des Angeklagten nachgewiesen werden, damit er verurteilt werden kann.

Dieses Beispiel zeigt: Ein Geständnis wirkt in aller Regel strafmildernd. Ob man aber durch ein Geständnis seine Situation verbessert oder verschlechtert, weiß man erst, nachdem man über einen Verteidiger Einsicht in die Ermittlungsakten genommen hat. Egal, welche Vergünstigungen Polizei oder Staatsanwaltschaft daher im Ermittlungsverfahren für eine geständige Einlassung in Aussicht stellen: Ohne Akteneisicht sollten niemals Angaben zum Tatvorwurf gemacht werden – egal wie erdrückend einem die Beweislage zu diesem Zeitpunkt vorkommen mag.


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